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Dezember 1943

Dezember 1943

Der 15. und der 19. Dezember 1943 haben sich in das Stadtbild und das kollektive Gedächtnis eingebrannt. Auch heute noch, 78 Jahre nach den ersten beiden Luftangriffen auf Innsbruck im Zweiten Weltkrieg, tauchen immer wieder neue Quellen auf, wie etwa die hier gezeigten Aufnahmen. Der Fotograf dürfte der sogenannten Feuerschutzpolizei angehört haben und – zumindest zeitweise – in Hötting stationiert gewesen sein.

Feuerwehrmänner bei der Brandbekämpfung, 15. Dezember 1943.

Eine plastische Schilderung der beiden ersten Angriffe auf Innsbruck entält auch ein Brief vom 30. Dezember 1943, der vor kurzer Zeit zu uns ins Archiv gelangt ist. Der (noch) unbekannte Briefschreiber wohnte wohl im Saggen und dürfte dem NS-Regime und seiner Propaganda eher distanziert gegenübergestanden sein…

Lieber Gustav!
[…] Dem ersten Fliegerangriff von Mittwoch dem 15. folgte, wie Ihr inzwischen ja aus dem Wehrmachtsbericht erfahren habt, Sonntag den 19. der zweite. Beidemale kamen wir wie auch all unsere näheren Bekannten unverletzt und ohne Zerstörung unseres Heims durch. Im oberen Saggen fiel noch keine einzige Bombe. In der Nähe vom Haus, in dem Lisbeth wohnt, ging es dagegen beim ersten Angriff lebendiger zu. An der Kreuzung Saggengasse Siebererstrasse schlugen vier, in der Kochstrasse drei, unmittelbar vor Lisbeths Haus, kaum 4m von ihm entfernt, eine Bombe ein. Der Trichter der letzteren reichte bis an die Hausmauer, gerade dort, wo Lisbeths Esszimmer liegt.
Lisbeth und Gertrud, die bei ihr Klavierstunde hatte, waren im Klavierzimmer, als die Bombe einschlug. Sie hatten das Fliegeralarmzeichen überhört und beim Krachen der ersten Detonationen daher geglaubt, es finde eine Flakübung statt. Als Lisbeth hinausschauenund deshalb das Fenster öffnen wollte, flogen ihr die Scherben der zertrümmerten Scheiben ins Gesicht, glücklicherweise ohne sie irgend wie zu verletzen, und das ganze Haus schien zu wanken.
Aber weder Lisbeth noch Gertrud oder einem anderen der im Haus wohnenden geschah etwas. Nur die Fenster und einige Türen wurden zertrümmert oder beschädigt. Mann mus schon sehr dankbar dafür sein, dass es so abging.
Der Angriff vom 15. wurde von etwa sechzig Fliegern ausgeführt, welche die Stadt in Richtung Ostnordost Westsüdwest überflogen, was nach dreviertel 1 Uhr geschah. Beim Angriff von Sonntag erschienen etwa achtzig amerikanische Kampfliegern in zwei einander folgenden Wellen zwischen 12 und halb 1 Uhr. Sie kamen vom Oberinntal her und überflogen die Stadt in Richtung Westsüdwest Ostnordost. Beim ersten Angriff fielen mindestens 200 Bomben, nur Sprengbomben bis zum 500 kg. Sie schlugen vor allem im südlichen Saggen, in der Viadukt-, Sill-, Landhaus- [und] Theresienstrasse [und] in der Altstadt, in Wilten und im westlichen Pradl ein. Vor allem der Teil von Wilten nächst dem Westbahnhof und die Gebäude nächst dem Hauptbahnhof litten stark. Beim zweiten Angriff trafen die Bomben – auch diesmal wieder nur Sprengbomben bis zu 500 kg. – vor allem den Westbahnhof, die Gleisanlagen südlich des Hauptbahnhofs, ferner Häuser in Wilten und einen Teil von Pradl.
Aus der Verteilung der Bombeneinschläge und der Art wie die Angriffe durchgeführt wurden, ergab sich: es handelte sich um keine Terrorangriffe. Abgesehen war es auf Zerstörung der Bahnhofanlage, vor allem der grossen Gleisanlagen beim Hauptbahnhof. Beim ersten Angriff kamen die Flieger etwas zu weit rechts und taten daher ihrem Angriffsziel weniger Schaden als der Stadt. Beim zweiten Angriff gelang die Sache besser. Bedenkt man dies alles und dazu, dass in letzter Zeit auch Angriffe auf Bozen, andere Orte im Etschtal, auf Verona usw. stattfanden, so sieht man deutlich, dass gleich diesen Angriffen auch die auf Innsbruck lediglich der Störung des Nachschubs auf der Brennerlinie galten. Man braucht also etwaigen künftigen Fliegerangriffen auf Innsbruck nicht mit allzu grosser Besorgnis entgegenzusehen. Hätte man mit Terrorangriffen zu rechnen, so wäre es viel schlimmer. Unter den gegebenen Umständen teilen wir denn auch die grosse Angst vieler Leute nicht, sind ganz ruhig und haben denn auch Weihnachten ganz in gewohnter Stimmung gefeiert.
Dass sich das Stadtbild recht verändert hat, könnt Ihr Euch denken. So liegen Schutt und Trümmerhaufen namentlich in der oberen Mariatheresienstrasse [sic] gegen die Triumphpforte zu, auf dem Boznerplatz usw. Die Riesen- und Seilergasse in der Alstadt sind durch solche Haufen ganz gesperrt usw. Namentlich in dem Westbahnhof nahen Teil von Wilten fehlen in vielen Strassen Häuser. An hochwertigen Baulichkeiten haben die Jesuitenkirche (Apsis zerstört), und die Servitenkirche (Bresche in der Seite gegen die Theresienstrasse zu) gelitten. Das Bedauerlichste ist, dass ein Volltreffer die schöne Barockkapelle im Hof des Landhauses zerstörte.

Das Leben hat natürlich einen etwas veränderten Anstrich schon durch die fast alltäglichen stattfindenenden Fliegeralarme, bei denen man jetzt natürlich den Luftschutzkeller aufsucht und einige ganz wichtige Sachen dabei mitnimmt. Neuartig ist auch, dass man, wenn man sich von einander trennt, so am Morgen, wenn ich auf die Universität gehe, immer den Gedanken hat, ob und wie man sich wiedersehen würde, auch wenn etwas Schlimmes nur als eine entfernte Möglichkeit betrachtet wird.
Allein man gewöhnt sich überraschend schnell an all das und im Bewusstsein, dass es doch nur so kommt, wie es kommen soll, geht Alles in gewohnter Weise dahin, ohne wirkliche Störung des Gleichgewichts und der gewohnten Tätigkeit.
[….]

15. Dezember 1943. Vor dem schwer beschädigten Hotel Maria Theresia.
Bombenschaden in der Maria-Theresien-Straße, Dezember 1943.
[StAI, SammelA-443 / StAI, Fotos Dr. Bergauer – ohne Sig.)

Dieser Beitrag hat 9 Kommentare
  1. Besonders viele Innsbrucker wird es ja nicht mehr geben, die das alles noch selbst mitgemacht haben! Meine Erinnerungen daran: Ich lebte damals mit meiner Mutter im 2. Stock des Hauses Pradlerstraße 15, weitere neun Personen befanden sich im Haus. Wir hatten gerade fertig zu Mittag gegessen, es gab Fliegeralarm. Meine Mutter befahl mir, ich solle inzwischen hinunter gehen, sie mache in der Küche noch fertig. Hinunter hieß: Zwei lange Holzstiegen zum langen Hausgang im Parterre. Keller hatte das Haus (Baujahr 1828) keinen, nur ein Kellerloch mit einer hölzernen Falltüre. Aber im Parterre war ja die Bäckerei und da gab es die Backküche mit dem Backofen. Dieser Raum hatte ein Gewölbe und irgendwer hatte meinen Tanten weis gemacht, dass dies ein sicherer Platz sei, dem könnten Bomben nichts anhaben!!!! Aber zur Vorsicht hatte mein Onkel doch alte Backofenziegel vor dem Fenster aufgeschlichtet, sozusagen als Splitterschutz! Das war unser Luftschutzraum!!! Aber so weit bin ich gar nicht gekommen, denn als ich von der letzten Stiege in den Gang einbog, krachte es. Was mir eigentlich wirklich noch in Erinnerung blieb, war nicht das Krachen, sondern das ‚Naggeln‘ unserer großen Haustüre! Nun kamen die anderen Hausbewohner doch auch heruntergerannt, davor hatte sich niemand um den Fliegeralarm gekümmert.
    Da es inzwischen ruhig geworden war, wagten wir uns auf die Straße hinaus. In Richtung Stadt sahen wir Rauch aufsteigen, da brannte es anscheinend, hier mussten die Bomben eingeschlagen haben. Wir erfuhren später, dass es in der Rhombergfabrik war, gute 200 m Luftlinie entfernt. Wir waren mit dem Schrecken davongekommen.
    Aber was hätte uns alles passieren können!!
    Sollte am 19.12. in „innsbruck-erinnert“ wieder ein Erinnerungsbild an den zweiten Angriff kommen, dann werde ich noch weiter berichten!

  2. Leider ist gestern kein Beitrag zum 2. Bombenangriff auf Innsbruck vom 19.12.1943 gekommen – ich wurde vom Stadtarchiv auf das nächste Jahr vertröstet – siehe https://innsbruck-erinnert.at/im-westen-nichts-neues/ . Die Fortsetzung der obigen Geschichte möchte ich aber doch noch heuer wegbringen!
    Der 19.Dezember 1943 war so wie heuer auch ein Sonntag. Um Mittag war wieder Fliegeralarm – und die Mitbewohner hatten aus den Ereignissen der letzten Tage gelernt: Alles marschierte rechtzeitig in unseren „Luftschutzkeller“, der ebenerdigen, aber gewölbten Backküche mit den aufgeschlichteten Backofenziegeln vor dem Fenster. Sogar die über 90-jährige Frau Pichler wurde von ihrem Sohn und meinem Onkel – den einzigen Männern in dieser Runde von heute sogar elf Personen – die steilen Stiegen heruntergeschleppt. Wir saßen alle auf der Bank entlang der Innenwand. Dann hörten wir die Flieger, ein Pfeifen, ein Krachen und die ganze Ziegelwand kam beim Fenster herein! Klar, dass alles aufschrie, das wir uns alle aneinanderdrückten – was hatte ich für eine Angst! Als es wieder ruhig war, getraute sich anscheinend vorerst niemand hinaus, es hieß ja immer, man müsse warten, bis die Entwarnung kam. Mama erzählte danach, dass die ganze Backküche voll Staub war, das hatte ich aber gar nicht bemerkt, ich hatte mich ja inzwischen in den Mantel von Mama verkrochen! Anscheinend war mein Onkel doch nach einer Weile nachschauen gegangen, ob nicht etwa irgendwo ein Brand ausgebrochen ist.

      1. Ich danke Ihnen, Herr Auer, sehr, dass Sie wieder den Beitrag https://innsbruck-erinnert.at/ein-schiessstand-fuer-pradl/#comment-5979 ins Spiel gebracht haben! Beim Schreiben des obigen Eintrags dachte ich mir immer, irgendwann habe ich das schon einmal erzählt, ich suchte auch und fand auf die Schnelle nichts. Aber es schadet eigentlich ja nicht, wenn man so etwas wiederholt. Wichtig ist dabei, dass, wohl mit etwas anderen Worten, das Gleiche herauskommt – und das passt ja meines Erachtens. Es ist ja auch nicht schlecht, wenn die heutige Menschheit öfters drauf aufmerksam gemacht wird, dass es schon schlimmere Zeiten gegeben hat wie derzeit. Vielleicht hilft das manchen der heutigen Jammerer!

      2. Noch was zur „Gänsehaut“: Ja, die bekomme ich immer wieder, wenn ich an dies Bombenzeit denke, wenn ich davon lese. Besonders der einzige Nachtangriff auf Innsbruck war für mich Buben ein Horror, der mir sogar heute noch zu schaffen macht, z.B. wenn uns in der Nacht eines dieser Transportflugzeuge überfliegt oder gar ein nächtlicher Sirenenalarm! Dann spring ich sofort aus dem Bett und stürze mich zum Fenster!
        Vielleicht ergibt sich einmal ein Beitrag, in dem ich über dieses schreckliche Ereignis berichten kann.

        1. In der Zeit vom 16.12.43 – 22.12.43 waren meine Kusine Helga (2 1/2 ) und ich (5) tagsüber der Großmutter, meiner „Nonna“ anvertraut. Mama und Tante Pepi nahmen gemeinsam das Spießrutenlaufen auf sich: alle Formalitäten für „Bombenflüchtlinge waren zu erledigen. Da das ja der allererste Angriff gewesen war – die „Alpenfestung“ galt ja in „deutschen“ Gehirnen als bombensicher (Nein! Ich sag jetzt sicher nicht, daß mir eine „Premstraßlerin später erklärt hat: „Es hoaßt nitt umsonscht: DUMM, DALKERT und DEUTSCH!!!)
          Übrigens: Jenes Frauengesicht, das ich beim Bombenangriff in derv Maximilianstraße als letztes gesehen habe – das war eine Frau aus dem Ruhrgebiet, die sich nach Innsbruck geflüchtet hatte…
          …ja, also das mit den ganzen Formalitäten war noch nicht ganz „angelaufen“… und das „Anstellen“ mit den Lebensmittelmarken für die „täglich aufgerufeneMenge“ an Milch und Brot „pro Person“ – bis das alles besorgt war und die beiden Frauen zwischendurch kurz und gegen Abend dann endgültig wieder in Hötting heroben waren…
          Ich bitte um Entschuldigung, aß ich jetzt, solange das noch einigermaßen geht, jetzt die Wohnsituation meiner Tante genauer schildere:
          Man mußte also zunächst über die zwei, drei Stufen von der Höttingergasse aus in den Gasthof Stamser hinein, durch den breiten gewölbten Flur durch, an einem kleinen Anbau mit einer Türe (zu diesem später!) vorbei in den Hof hinaus, wo dann rechts nach der Ecke eine Haustüre war. Durch diese hinein, eine Wand zur Linken mit einer Tür, da wohnte anscheinend ein alleinstehender Mann, dann ging der Gang lange, lange ums §Eck nach links – und bevor er bei dr Küchentüre endigte, verzweigte er sich noch zu einem Seitengangl, das ins Schlafzimmer führte.
          Das Fenster der Küche ging nach Westen und war teilweise „schräg“ unterirdisch, man sah die Schuhe und Beine der Vorübergehenden (Zugang zum „Stamserfeld“?)
          Und die Küche dürft nicht größer als 2 – 2 1/2m im Quadrat gewesen sein.
          Das Zimmer war größer und hatte 2 Fenster gegen Süden.
          Nicht unerwähnt bleiben sollen die „sanitären Einrichtungen“ des gesamten Anwesens:
          Nämlich der berühmte „Stamser Doppeldecker“! Dieses „SIMULTANKLOSETT“ mit gleichzeitig 4-6 Stehplätzen an den beiden abwärts führenden Holzrinnen an den Seitenwänden, der „Sitzbank“ mit den beiden kreisrunden Öffnungen
          und dem an der Mitte der Hinterwand herabführenden eckigen Holz“rohr“, in dem es manchmal „rauschte“, ja- und einem kleinen Guckfensterl hoch oben in derc Westwand, das stand auch für uns im „Stöckl“ zur Verfügung.
          Ein Fall für die „MITTELALTERARCHÄOLOGIE“! (Man wird es doch nicht abgerissen haben???)
          Ja, das ging bis einwchließlich 22.12.43 ab3nds – da war schon Aufbruchstimmung! – und am 23.12.43 in der Früh bei völliger Finsternis tasteten wir drei – die Mama, die Nonna und ich in der Mitte – die Höttingergasse hinunter – über die Innbrücke – durch die düstere Altstadt – Universitätsstraße – und da hat sich mir die Fassade der Jesuitenkirche buchstäblich EINGEBRANNT
          …mit den beiden leeren „Augen“ der Fenster, durch die man im allerersten Morgengrauen den steilen Schuttkegel vor dem Himmel sah.
          Und an der Wand – herunten – zwischen den beiden Kirchentüren – stand jenes Kruzifix mi dem verzweifelt nach oben gerichteten Kopf aus der Kirche – und davor eine „Betbank“ – und auf dieser kniete – trotz der frühzen Morgenstunde – in verzweifelter Haltung ganz allein eine schwarzgekleidete ältere Frau….
          Dieses Bild hat mich noch die ganze Sillgasse und bis hinauf zum Bahnhof verfolgt.

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