Zum Welttag des Destillateurs
Heute ist gar nicht der österreichische Welttag der Destillateure, wie man auf dieser überkompletten Webseite sehen kann. Mit den Welttagen ist es so eine Sache: Sie neutralisieren sich ein wenig, gestern noch der wichtige Tag gegen Gewalt an Frauen, nächsten Mittwoch schon der halbwitzige „Bring-deinen-Pez-Spender-zur-Arbeit“-Tag.
Die Brennsaison 2022 hat natürlich längst begonnen, irgendwo in Tirol destilliert gerade ein Mitarbeiter des Stadtarchivs legal die Quitten des elterlichen Gartens und freut sich über die magische Verwandlung von stinkender vergorener Maische in duftend-klaren Schnaps.
Das Handwerk des Schnapsbrennens wurde in Ost- und Mitteleuropa oft von jüdischen Pächtern betrieben. Im Bemühen, die Früchte des Herbstes nachhaltig zu konservieren, war und ist neben der Marmeladen- und Saftherstellung die Destillation relativ am Ende der Verwertungskette angesiedelt. Wenn eine Eisenbahnladung Obst aus Südtirol verspätet oder im nicht mehr 1a Zustand nach Innsbruck gekommen ist konnte man sie (nach Entfernung der wirklich schlechten Stücke) im Zweifelsfall immer noch fermentieren lassen und brennen.
Die jüdischen Destillateure Innsbrucks um 1900 hießen Dubsky (Heilig-Geist-Straße), Hermann (Leopoldstraße), Steiner, Grätzer&Seidl und Schindler (Andreas-Hofer-Straße). Samuel Schindler gründete hier seinen Betrieb – falls Sie das Buch seiner Urenkelin Meriel Schindler noch nicht gelesen haben, holen Sie das bitte rasch nach – im Hinterhof des Hauses Nummer 13, wo man heute indisch inspiriert turnt oder Stangenakrobatik erlernen kann.
Samuels Söhne Hugo und Erich mussten 1938 den Betrieb unter den Zwangsbedingungen der Arisierung verkaufen. Vorher jedoch erstellten sie ein einzigartiges Abschiedsalbum, das, mit deutschen und englischen Bildunterschriften versehen, den gesamten Betrieb dokumentierte. Nicht nur die strahlenden Salons des Café Schindler, sondern auch alle Kellergebäude, die Fässer und Anlagen wurden professionell abgelichtet, um in der Fremde zeigen zu können was man beruflich so machte.
An der Brenn-Technik selbst hat sich, wie auch bei der Aufbewahrung, in den letzten hundert Jahren wenig geändert. Der Dampf sorgt dafür, dass in den doppelwandigen Kesseln nichts anbrennt.