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„Zum Stiegele“

„Zum Stiegele“

Bereits vor eineinhalb Jahren stand dieses einst bekannte Wiltener Gasthaus im Mittelpunkt eines Rätsels und auch danach ist es noch ein- oder zweimal am Rande aufgetaucht. Höchste Zeit also, dass wir uns mit seiner Geschichte näher befassen. Die folgenden Streiflichter bieten Einblicke in die bewegte Geschichte des Gasthauses „Zum Stiegele“ in den Jahrzehnten vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs.

Beginnen wir unseren Streifzug in den 1870er-Jahren. Zu Beginn dieses Jahrzehnts trieben sich im „Stiegele“ auch zwielichtige Gesellen herum, die offenbar mit Vorliebe arglose Landbewohner ausnahmen. So berichteten etwa die Innsbrucker Nachrichten am 1. April 1873 unter der Schlagzeile „Bauernfängerei“:

In Inzing findet morgen [ein] Viehmarkt statt. Diesen gedachte auch ein Bauer aus dem Zillerthale zu besuchen, versah sich deßhalb mit einer ordentlichen Summe Banknoten, bestieg in Jenbach den Bahnzug und kam glücklich Vormittags hier an. Gleich am Bahnhof traf er einen städtisch gekleideten Mann, der sich an den Bauern heranmachte, ein Gespräch einleitete und ihn beredete, mit nach Wilten zu gehen. Der Bauer folgte und der Herr zeigte ihm als erste Sehenswürdigkeit die dortige Pfarrkirche, dann aber wahr­scheinlich durch das Amt eines Cicerone durstig gemacht, führte er ihn in das Gasthaus „zum Stiegele“, wo sich beide im Extrazimmer niederließen. Bald gesellte sich zu ihnen ein anderer, ebenfalls städtisch gekleideter Mann, der bereits früher in der Gaststube gesessen hatte. Dieser findet – natürlich nur ganz zufällig – unter dem Tische plötzlich ein Spiel Karten liegen, nimmt es, macht zuerst einige Kartenkünste und ladet dann den andern Herrn ein, einen Sechser auf Herzaßaufschlagen zu setzen. Derselbe geht darauf ein, beide spielen eine Weile miteinander und der Einsatz wird immer größer. Nun wird auch der Zillerthaler engagirt und richtig, wie der Einsatz recht hoch ist, verliert er, setzt wieder und sofort, bis er bei 300 fl. [knapp 3900 Euro] verspielt hatte. Nun hatte er nichts mehr, wohl aber die beiden Gauner, denn solche waren es, welche sich bald empfahlen und sich aus dem Staube machten. Mit dem Marktbesuch war es bei dem Bauern freilich vorbei, dafür aber machte er bei der Gendarmerie die Anzeige, welche die beiden Kosaken wohl vielleicht erwischen wird. Ein gleiches Manöver wurde übrigens im selben Gasthause im Dezember v. J. gegen zwei Bauern aus dem Vintschgau ausgeführt.

Auch sonst dürfte es um das „Stiegele“ nicht zum Besten gestanden sein. Erst mit der Übernahme durch Lorenz Fetz wehte ein neuer Wind durch die Gaststube – jedenfalls wenn wir einigen „Spaziergängern“ glauben dürften, die im Juli 1885 folgende Zeilen an die Redaktion der Innsbrucker Nachrichten sandten:

IN v. 4. Juli 1885, 11.

Ob es sich bei dieser Einsendung um eine „gekaufte Bewertung“ handelte, wie das heutzutage mitunter vorkommen soll, oder um die ehrliche Begeisterung labungsbedürftiger Spaziergänger, muss offen bleiben…

Nach dem frühen Tod von Lorenz Fetz im September 1893 führte seine Witwe Josefine, geb. Neurauter, den Betrieb fort. Sie rührte eifrig die Werbetrommel und veranstaltete regelmäßig Konzerte (u.a. gastierten die Musikkapelle Rum und der Zitherkranz Arion bei ihr). Kurz vor der Jahrhundertwende scheint dann Felix Meraner kurzzeitig als Pächter auf. Allerdings führte Josefa Zöhrer (verw. Fetz) – sie hatte mittlerweile wieder geheiratet – dann nocheinmal den Betrieb selbst, ehe sie ihn im Jahr 1901 an Josef Plank verkaufen sollte. Auf unserem Titelfoto scheint bereits sein Name auf der Fassade auf.

Lageplan des Gasthauses „Zum Stiegele“ aus dem Jahr 1939.

Um die Jahrundertwende zog das Stiegele vermehrt auch Vereine an. So zählten in jenen Jahren der Turnverein „Jahn“ aus Wilten, der „Kärntner Unterstützungs-Verein“ und die Männer der Freiwilligen Feuerwehr Wilten zu den Gästen.

Im Frühjahr 1908 verkaufte das Ehepaar Josef und Maria Plank das Gasthaus dann um 75.000 Kronen (rund 524.000 Euro) an den Krämer Franz Westermeier, der den Betrieb gemeinsam mit seiner Frau Johanna fortführte.

IN v. 4. Juli 1914, 15.

(StAI, Slg. Kreutz)

Dieser Beitrag hat 7 Kommentare
  1. Sehr interessant, das Titelfoto wurde somit zwischen 1901 und 1908 aufgenommen.
    Rechts auf der Plakatwand sieht man sogar eine Werbung für Nil Zigaretten. Diese Zigarettenmarke war damals brandneu. Die Produktion begann nämlich 1901.

  2. Ich glaube, von diesem Stück Sillkanal und dieser Brücke darüber gab es hier bereits einmal ein Foto aus späteren Jahren. Nichtsdestotrotz finde ich es vor allem wegend es Kanals sehr interessant.
    Ob es gelingen könnte, den gesamten Verlauf des Kanals auf Archivfotos nachzuvollziehen?

  3. Woher das Gasthaus wohl seinen Namen hat? In historischen Karten scheint das Haus bereits vor 1800 auf, 1835 ist es mit ‚Stigele Bierhäusel‘ bezeichnet. Alles ist dort heute bretteleben zumindest wenn man sich die Konzertkurve wegdenkt. Vielleicht war aber das Niveau vor der Brennerbahn namensgebend? Oder hat der Name mit Veldidena zu tun, wie etwa ‚Pradl‘ vom lateinischen Wort‘ ‚pratum‘ für Wiese ( u. A. auch die Prärie und der Wiener Prater) ? Mit der dortigen Sillkanal Brücke kanns nichts zu tun haben, die war wenig spektakulär und deren gab’s mehrere. Abgesehen davon hieß es dann ‚Brückele‘ wie früher hier schon mal angemerkt wurde.

  4. Der Sillkanal neben dem Gasthaus Stiegele war des Öfteren Schauplatz für menschliche Tragödien. So heißt es in den Innsbrucker Nachrichten vom 8. November 1902:
    „(In den Sillkanal gesprungen.) Ge-
    stern abends wurde der Polizei in Wilten die
    Mitteilung gemacht, das in der Nähe des Stiegele-
    Gasthauses ein Mann in den Sillkanal hineinge-
    sprungen wäre. Ein anderer Mann hörte noch
    die Worte: »Jesus, Maria und Josef steht mir
    bei, ich muß ins Wasser!« Die Polizei leitete so-
    fort Nachforschungen ein. Beim Rechen nächst
    des Adambräues wurde ein Hut herausgefischt und
    bei der Engelmühle der Leichnam selbst gefunden.
    Der Verunglückte, Thomas Guggenberger mit Na-
    men, ist aus Kötschach in Kärnten, wurde 1858 ge-
    boren und war ein dem Trunk ergebenes, wie-
    derholt abgestraftes Individuum. Die Leiche
    wurde ins pathologische Institut gebracht.“

  5. Auch 1917 kam es zu einem Vorfall, wie die Innsbrucker Nachrichten vom 11. September des Jahres berichten:
    „Ins Wasser gesprungen. Beim „Stiegele“ ist
    gestern vormittags ein vierzigjähriges lediges
    Weiblein in den Sillkanal gesprungen. Angeblich
    trieb Schwermut die Geistesgestörte ins Wasser.
    Das kalte Bad dauerte aber nicht lange, denn
    Wäschereiarbeiter zogen sie wieder aufs Trockene
    und die Freiwillige Rettungsabteilung holte sie
    ab.“

  6. https://photos.app.goo.gl/ZuEGyjBXKpUdR2st7

    Ein, mir natürlich völlig unbekanntes, Kind dirigiert hier mit dem Schlüssel der Großmutter mütterlicherseits seiner Cousine (ganz einfache Verwandschaftsverhältnisse) im September 1939 – im Hintergrund nicht nur Krautköpfe, sondern auch das Stiegele. Hiermit wünsche ich allen eine guten Rutsch in ein hoffentlich noch besseres 2023!

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