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Fliegeralarm! (XII.)

Fliegeralarm! (XII.)

Auf obiger Postkarte erinnert eigentlich nichts an das Wort Fliegeralarm. Es scheint ein warmer Sommerabend zu sein, der Türken steht am Feld und unter dem wolkenlosen Himmel lässt nichts darauf schließen, was kommen wird. Das Bergpanorama rund um den Glugezer und die Viggarspitze über Schloss Ambras und dem Dorf Aldrans strahlt eine gewisse Ruhe aus.

Ein Karton voller Feldpost, der dem Stadtarchiv Innsbruck dankenswerterweise von Ho&Ruck übergeben wurde, offenbar ganz andere Einblicke in den Innsbrucker Alltag während des Zweiten Weltkriegs.

Ein in Norddeutschland stationierter Soldat korrespondiert per Brief mit seiner aus Oslo stammenden Ehefrau, die er meist mit dem Kosenamen „Nussilein“ anspricht. Die junge Frau hat zwei kleine Kinder und wohnt bei ihrer Schwiegermutter in Hötting. Sie meistert ihren Alltag zwischen Wäschewaschen, Zahnschmerzen und Fliegeralarm.

In einem Brief vom 18. November 1944 geht es erst um ein Geschenkpaket des Ehemanns an seinen Sohn. Die Pullover „waren recht nett“, doch „die zwei mal gestreiften waren ein bischen eng“. Am meisten habe sich der Bub aber „über die Zuckerlen gefreut.

Der nächste Absatz bricht die Beschaulichkeit:

Heute waren wir wieder im Stollen; aber gar nicht sehr lange. Es ist jetzt jeden Tag Alarm, so wir machen uns schon in der Früh stollenbereit, sodass wir nur die Kinder packen brauchen wenn die Sirenen pfeifen. Blöd ist es schon mit so viel Alarm, weil man wird mit der Arbeit nicht fertig. Ich glaube auch dass die Christinchen so zwieder ist weil sie vollkommen aus der Ordnung kommt, die ist ihr regelmässiges Leben gewöhnt und möchte es so weiterhin haben.
Trotzdem im Stollen ist sie immer brave, aber hinterher tut sie leicht heulen. Paulchen freut sich ja auf das Stollen gehen, das habe ich Dir schon schon früher erzählt. Er benimmt sich musterhaft; nur will er immer im Stollen essen, das meint er gehört dazu. Er hat immer einen herrlichen Appetitt.
(sic)

Die manchmal abweichende Orthographie verrät die Osloerin in Schreiberin. (StAI, Korrespondenz Familie Pfretschner: „Nussilein“ an ihren Mann Norbert. Brief Nr. 38, Innsbruck am 18.11.1944; Feldpost Nr. 59873B)

Spurlos geht der Kriegsalltag auch an „Nussilein“ nicht vorüber und sie erzählt ihrem Mann, es sei „doch schrecklich, dass ich mit 26 Jahren schon graue Haare kriege.“ Ende November 1944 sitzen sie wieder einmal von 4 bis halb 6 in der Früh in einem Stollen. Davon berichtet „Nussilein“ ihrem Norbert und erwähnt das Resultat des Angriffs. Ein paar Häuser im Pradl „sind wieder hin“ und später sei noch ein Zeitzünder mit gewaltigem Knall explodiert. Die mit Verzögerungszünder ausgestatteten Bomben konnten bis zu vier Tage nach dem eigentlichen Angriff explodieren. Der von „Nussilein“ erwähnte Luftangriff fand in den frühen Morgenstunden des 25. Novembers 1944 statt. Es war der erste Nachtangriff auf Innsbruck. Drei Flugzeuge warfen neun Bomben ab und wäre das Haus Grenzstraße 3 nicht schon seit dem 19. Dezember 1943 zerstört gewesen, hätte es eine von diesen sein können, die den Schaden anrichteten. Der Beitrag Fliegeralarm! (I.) bespricht die ersten Angriffe im Dezember 1943, der Beitrag Fliegeralarm! (IV.) erzählt von den weiteren Angriffen 1944.

Die Häuser Grenzstraße 1 und 5. In der Mitte der Schutthaufen von Grenzstraße 3 nach dem Bombentreffer vom 19.12.1943 im Pradl. (StAI, Ph-A-7-48)

Die von der Idylle der Postkarte ist hier nichts mehr zu sehen. Nur die metallene Kuppel des zerstörten Türmchens erscheint fast unversehrt und liegt wie herabgeschwebt auf dem Schutthaufen. Die beiden Nebenhäuser blieben größtenteils verschont und vermitteln heute noch eine Ahnung davon, wie die Ruine zuvor ausgesehen hatte.

Text: Wolfgang Wanek
Titelbild: StAI, Ph-15428
Literatur: Michael Svehla, Als die Sirenen in Innsbruck heulten. Luftangriffe 1943–1945, Innsbruck 2018.

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