Das königliche Spiel – Teil 2
Im ersten Teil dieser Serie wurde die Geschichte des Schachspiels in Innsbruck bis zum Ersten Weltkrieg behandelt. Der Krieg bedeutete für den Innsbrucker Schachklub und dessen Tätigkeiten einen markanten Einschnitt. Hatte bis 1914 noch ein reges Vereinsleben geherrscht, gab es während des Krieges nur vereinzelt Aktivitäten. Nach Ende des Krieges nahm der Innsbrucker Schachklub indes rasch wieder seine Tätigkeit auf. Die Klubmitglieder trafen sich nun wieder regelmäßig im Café Central zu Klubabenden und man veranstaltete auch bald wieder erste kleinere Wettkämpfe. Im Jahr 1920 wechselte der Klub für einige Jahre in das neue, mondäne Café München in unmittelbarer Nähe.
Ähnlich wie vor dem Krieg zog der Klub vor allem Beamte und Akademiker an. Allerdings gab Walter Flir vom Schachklub auch Schachunterricht im Innsbrucker Gesellenverein, auch wurde im Jahr 1924 ein Arbeiterschachklub gegründet, von dem jedoch nichts weiter bekannt ist. Walter Flir versucht das Spiel auch durch eine Schachspalte im Tiroler Anzeiger zu popularisieren und weitere Kreise für das königliche Spiel zu interessieren.
Ein erstes Highlight der Nachkriegszeit war die Austragung der Süddeutschen Meisterschaft des Bayerischen Schachbundes in Innsbruck im Jahr 1922. Hier zeigt sich die schon in der Vorkriegszeit entstandene Verbundenheit der Tiroler Schachspieler mit den bayerischen Kollegen, gleichzeitig äußert sich hier auch der vielfach vorhandene politische Anschlusswunsch an das Deutsche Reich. Als Sieger dieses Turnier gingen die beiden Spitzenspieler Rudolf Spielmann und Ernst Grünfeld hervor.
Nachdem im Sommer 1926 mit der Innsbrucker Schachgesellschaft ein zweiter, wenngleich kurzlebiger Klub gegründet worden war, erfolgte ein Jahr später die Gründung eines weiteren Klubs in Innsbruck, die des Schachklubs Schlechter. Erste Obmänner waren der spätere Tiroler Landesmeister Peter König und Kuno Gozzi. Der Klub benannte sich nach dem 1918 verstorbenen Wiener Schachspieler Carl Schlechter, der zu seinen Lebzeiten als einer der besten Spieler der Welt galt und enorm populär gewesen war. Die Gründung des Klubs war auch eine Reaktion auf Streitigkeiten innerhalb des Innsbrucker Schachklubs gewesen. In wie weit sich damit unterschiedliche politische Auffassungen oder gar der wachsende Antisemitismus, der auch in der Schachwelt um sich griff, verbanden, ließ sich nicht eruieren. Dies ist aber durchaus wahrscheinlich, lässt sich dieser Trend zur Politisierung auch in anderen Städten – allen voran in der Wiener Schachgemeinde – feststellen. Der neue Klub traf sich im Café Klenk (Andreas-Hofer-Straße, Ecke Müllerstraße) Montags und Donnerstags, also zur gleichen Zeit wie die Rivalen vom Innsbrucker Schachklub. An allen anderen Tagen lud man zum Schachspielen im Café Max ein. Cafés und Gasthäuser blieben somit weiterhin die wichtigsten Treffpunkte für die Schachspieler*innen in und um Innsbruck.
In den folgenden Jahren entwickelte auch der Schlechter-Klub eine rege Vereinstätigkeit mit Klubturnieren und Einladungen an internationale Schachgrößen. Regelmäßig kam es nun auch zu Duellen der beiden Klubs innerhalb der Stadt. Der Schachklub Schlechter gründete schließlich 1929 in Pradl eine zweite Sektion des Klubs, die sich im Café Aukenthaler (Leipziger Hof) traf. Der allgemeine Aufschwung des Schachsports in Tirol zeigte sich nicht nur in Innsbruck, sondern auch in anderen Orten Tirol gründeten sich in diesen Jahren Schachvereine, sodass am 27. März 1927 auch der Tiroler Landesschachverband gegründet wurde. Das Spiel hatte damit in Tirol einen weiteren Schritt hin zu einem organisierten Wettkampfsport genommen. Anlässlich der Gründung des Landschachverbands spielte Richard Réti, einer der besten Spieler der Zeit, blind gleichzeitig gegen 12 Gegner.
Auch in den folgenden Jahren spielten immer wieder internationale Schachgrößen auf Einladung der beiden Schachklubs in Innsbruck. Wenngleich Schach eine Randerscheinung blieb, so gewann es in den folgenden Jahren doch an Popularität. Im Jahr 1929 konnte der Innsbrucker Schachklub bereits auf ein Vierteljahrhundert seines Bestehens zurückblicken und er feierte dieses kleine Jubiläum mit mehreren Veranstaltungen. Den Höhepunkt bildete eine Feier anlässlich der Österreichischen Schachmeisterschaft, die damals erstmals außerhalb Wiens ausgetragen wurde. Bei dieser Feier führten die Mitglieder und Funktionäre des Schachklubs ein kleines Theaterstück auf, bei dem sie – Schachfiguren gleich – in die Rollen von Landsknechten, Rittern und Fürsten schlüpften.
Den Glanzpunkt des Jahres 1929 bildete jedoch das Österreichische Meisterschaftsturnier, das überraschend der damals erst 16-jährige Innsbrucker Erich Eliskases (geteilter erster Platz mit Esra Glass) gewinnen konnte. (siehe Titelbild) Eliskases hatte das Spiel mit zwölf Jahren von seinem Bruder erlernt und war später regelmäßig Gast beim Schachklub Schlechter gewesen, wo er auch Unterricht erhalten hatte. Eliskases dominierte in der Folge die Schachbretter in Innsbruck, weshalb er auch bald vom Innsbrucker Schachklub abgeworben wurde. Die Österreichische Meisterschaft war indes nur der Auftakt zu einer grandiosen Karriere von Erich Eliskases. Das faszinierende Leben dieses Innsbrucker Schachspielers wird im dritten Teil dieser Serie behandelt werden.
(Titelbild: Zum Abschluss der Österreichischen Meisterschaft fuhren die Teilnehmer, darunter die beiden neuen Österreichischen Meister, Erich Eliskases und Esra Glass, sitzend in der Mitte, mit der Seilbahn auf das Hafelekar. Wiener Schachzeitung, 19/1929, Titelblatt.)
Christof Aichner