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8 Monate Anno 1902 (58)

8 Monate anno 1902 (58)

Schon letzte Woche wurde bei der Ankunft im „stockfranzösischen“ Hotel, in dem es ein „elegant serviertes und schmackhaftes, wenn auch eigenartiges“ Dejeuner gab, deutlich, dass bei aller Vorfreude auf und Bewunderung für Frankreich auch kulturelle (und politische) Differenzen existierten. Dies setzt sich auch bei der im Anschluss unternommenen Stadtrundfahrt fort. Man vertraute sich dem französischen Kutscher an, aber zur Sicherheit reiste auch der Baedeker mit. Und am Place de la Concorde erinnert Marie an „Marie Antoinette’s edles Haupt„, das unter der Guillotine fiel. „France terrible!“ kommentiert sie dazu. Dazu erwähnt sie, dass von den „8 kolossalen Städtestatuen“, die den Obelisk von Luxor umgeben, eine, nämlich „Strassburg überhäuft mit Kränzen u. französischen Tricoloren“ war. Ein für Marie wohl befremdliches nationales Erinnerungszeichen, schließlich war die Stadt zu dieser Zeit schon seit fast einer Generation – seit dem Krieg von 1871 – als Hauptstadt des „Reichslandes Elsass-Lothringen“ Teil des Deutschen Kaiserreichs. Und es sollte noch einmal eine halbe Generation dauern, bis nach 1918 wieder die Tricolore dort wehte. Aber wer konnte das 1902 schon erahnen…

Nach Tisch beschlossen wir des herrlichen Wetter halber eine Rundfahrt in der Stadt zu machen. Wir nahmen „une voiture de place“ und überließen uns der Führung des Kutschers, der uns aufmerksam zu machen hatte, während ich noch den Bädeker mitführte. Zuerst giengs zur Seine! Ruhig, nur leise, lautlos wiegend, liegen die dunkelgrünen Wassermassen im tiefen, hin u. hin überbrückten Bett. Zahlreiche Dampfer, theils zum Personen- theils zum Frachtenverkehrs, gleiten ebenso lautlos auf u. ab. Wir fahren über eine der Brücken zur Ile de la Cité, wo wir zuerst beim Palais de justice, auch einer alten Königsresidenz, Halt machten u. ausstiegen. Dann giengen wir in den Hof, wo die Ste Chapelle liegt, der schönste gothische Bau in Paris u. traten ein. zuerst gelangt man in die ehemals für die Dienerschaft bestimmte Unterkirche, welche niedrig ist; die Wände sind mit Wappen geschmückt, Säulen u. Simse reichlich in Roth u. Gold gemalt. Eine schmale Wendeltreppe führt hinauf in die Hauptkirche, deren Eindruck herrlich ist; die Wände sind ganz aufgelöst in große bemalte Glasfenster, die Pfeiler sind die einzige Mauer noch, sind aber theilweise verdeckt durch die ideal schön geschnitzten Apostelstatuen. Leider ist die schöne Kapelle kirchlich ganz verlassen; nur mehr ein Museum. Nun fuhren wir zur weltberühmten Notre Dame-Kirche, giengen aber müdigkeitshalber heute nicht hinein, weshalb auch die Beschreibung später folgt. – Nun giengs wieder über die Seine zum Place de la Concorde, dessen Eindruck fast überwältigend ist; doch wie traurig stimmt er einen zugleich! hier mussten ja Marie Antoinette’s edles Haupt unter der Guillotine fallen; hier endete aber auch der Schreckensmann Robespierre, u. wie wie viele Schuldige, hauptsächlich aber Schuldlose haben diese Erde mit ihrem Blute getränkt! France terrible! – In der Mitte ragt wie ein rosa Haupt der schöne Obelisk von Luxor in die Lüfte, welcher im Jahre 183[6] hier aufgestellt wurde; er ist 22m hoh, aus einem Stück Rosengranit gehauen mit allerlei Schriftzeichen u. Vögeln, welche die Thaten Ramses II. v. Egipten rühmen! Rings herum stehen 8 kolossale Städtestatuen, darunter Strassburg überhäuft mit Kränzen u. französischen Cricoloren. Nun bogen wir in die Avenue des Champs Elisées ein u. fuhren kaum merkbar aufwärts bis zum Arc de Triomphe de l’Etoile, dem größten Triumpfbogen der Welt, von Napoleon I. zur Verherrlichung seiner Siege errichtet. Er ist m hoh, 22m tief u. m breit. Dicke eiserne Ketten schließen ihn vom Wagenverkehre ab. Einfach wunderbar ist die Aussicht von hier nach beiden Seiten. Durch die Baumreihen der Champs Elisées sieht man hinauf zum Obelisken u. auf das Louvre, auf der andere Seite dehnt sich das sanft ansteigende Bois de Boulogne aus, durch welches wir nun fuhren. Herrliche Wege führen durch einen Laubwald voll natürlicher Frische, kleine Wässerlein rieseln durch, während laubige Trottoirs Schutz vor den massenhaft verkehrenden Wägen gewähren. Wir kommen zum großen klaren, sonnenglänzenden See, wo sich Kähne u. Schwäne herumtreiben. Wirklich sehr hübsch! Wir aber kehrten um u. fuhren zum Eiffelthurm. Diesen Eindruck beim Anblick dieses höchsten Bauwerks der Welt zu beschreiben, ist mir unmöglich! Man ist einfach überwältigt, wenn sich der 300m hohe Eisenspitz vor einem in die Luft erhebt. Wie aus Tüll und Spitzen ist er zusammengefügt, so leicht u. zart, u. doch allen Stürmen trotzend! Die 4 Grundpfeiler stehen weit von einander entfernt; darunter sind Wege, Blumenanlagen etc! – Wir kamen nun auf Wunsch noch zur Esplanade des Invalides, wo man das ganze imposante Gebäude des Dôme et Hôtel des Invalides sah, wir aber nur vorbeifuhren u. zwar zu den Champs Elisés zurück. Hier konnte ich prachtvoll den Sonnenuntergang bewundern, mit den sonderbaren Erscheinungen in der Ebene; die Bäume waren ganz dunkelblau. Auf der Strasse wogen hunderte von Wägen auf und ab, u. balde waren wir nun im Grand Hôtel du Louvre angelangt, wo ich ein paar Ansichtskarten verschrieb. Dann wurde zum Diner gegangen, dann noch der Avenue de l’Opera entlang spazieren, worauf wir früh ins Bett giengen.

Text: Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Cod-2072-1 (Transkription: Katharina Schilling)

Bild: Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, 06.74.03-1-23-2 (Invalidendom, 1906-1914).

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