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8 Monate Anno 1902 (57)

8 Monate anno 1902 (57)

Endlich, am Ziel. Aber nicht ganz so erfreulich wie gewünscht. Zunächst wurde die Nachtruhe durch Tunnellärm und Angst gestört. Und dann trat bei der Ankunft auch noch jenes ein, das alle Reisende früher oder später ereilt: Unzufriedenheit mit dem Hotel und Überraschungen ob der anderen Kultur, auch was die kleinen Dinge des Alltags betrifft… (Die Bemerkung über die Uhrzeit deutet übrigens darauf hin, dass die Mitteleuropäische Zeit in Frankreich – ebenso wie in den Benelux-Ländern – erst während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg eingeführt wurde.)

Jetzt war es schon ganz dunkel; tausende von Lichtern aber flammen auf hinter uns, man fährt wie in einem Sternenmeer; dann dunkel. Baden, eine große Ortschaft. Wieder 2 große Orte, dann über ein Wasser, wahrscheinlich die Limmath. Vom Nachthimmel heben sich anfänglich die Conturen niederer Berge deutlich ab, dann scheints flacher zu werden; am Firmamente schimmern Sterne. O Hochgenuss des Reisen! – Große Haltestelle, Weindele od. wie? – Basel, 1 Stunde Aufenthalt. Wir stiegen aus u. tranken Thee u giengen wieder spazieren. Um 10h wieder weiter. Inzwischen hatte der Schaffner die Betten im Waggon bereitgemacht, wir legten uns in den Kleidern nieder, ich über dem Bett der l. Tante Anne. Es schüttelte arg hin und her, manchmal schlief ich; wenn aber der Zug durch Tunnels in rasender Eile, mit ohrenbeträubendem Lärm sauste, wachte ich wieder auf. In Delles war kurze Zollrevision; ich schaute auf die Uhr, es war 12h nachts. Nun gieng’s mit dem Schlafen nicht mehr gut; mir wurde ganz angst in meinem Bette oben, endlos schien die Nacht. Endlich fieng es an zu grauen. Um 3/4 6h nach Pariser Zeit, auf meiner Uhr war es schon 1/2 7h, standen wir auf u. empfahlen dem lieben Gott den heutigen Tag. Wir schauten dann hinaus auf unsere Umgebung, wo sich ein Gemüsebeet an das andere reihte, mit kleinen Häuschen inmitten der Gärten. Endlich waren wir am ziel, dem Ostbahnhof, Gare de l’Est de Paris! – Schnell wurde ausgestiegen, das Gepäck revesiert, u. ins Hôtel du Louvre gefahren. Dort bekamen wir trotz vorheriger Bestellung nur 2 entfernte Zimmer im 4. Stock. Alles war stockfranzösisch, das Regiment führten die Hausknechte! Wir waren noch nüchtern u. warteten sehnsuchtsvoll auf den Kaffee, welcher endlich erschien. Die Schalen waren immens groß, die Semmeln u. Kipfen detto. Desgleichen auch die Zuckerstücke. Als Umrührwerk dienten vergoldete Suppenlöffel, der Kaffee selbst aber schmeckte uns nicht. Überhaupt sah es uns hier nicht gleich. Wir giengen nun auf die Hôtelsuche und zwar ins Grand Hôtel Bellevue, welches von Deutschen bevorzugt sei; wir fanden es gleich, es liegt in der Avenue de l’Opéra nicht allzu weit vom unsern entfernt, wir wurden gleich auf deutsch begrüßt, schlossen ab u. nahmen 2 Zimmer im II. Stock, giengen aber noch in’s Grand Hôtel du Louvre retour das Frühstück bezahlen u. das Gepäck holen zu lassen. Jetzt aber kamen wir nicht mehr fort, man gab uns gleich 2 ineinandergehende Zimmer im 3. Stock, der Director, Herr Lotti stellte sich vor und sprach Deutsch, desgleichen noch ein Herr. Die ganze Sachlage war verändert; wir blieben. – Ich wurde ins Hôtel Bellevue gesandt per Wagen, die Zimmer abzubestellen, dann fuhr ich zurück. Jetzt konnte ich mir einmal Paris erst ein bischen ansehen. Wie herrlich ist doch die lange Avenue de l’Opéra! unzählige Wägen u. Automobils bewegen sich auf und ab! – Unser Wohnsitz, das Gr. Hôtel du Louvre liegt gerade am untern Abschluss derselben, während eine Front dem Louvre selbst zugekehrt ist, eine andere auf die Place du Palais Royal mündet u. die 4. in die rue de Rohan. Unsre Zimmer liegen in der rue de Rivoli, also dem Louvre gegenüber u. zwar dem Pavillon de Rohan; wo das Ministère des finances untergebracht ist. Ehrwürdig schauen die rauchgeschwärzten Mauern des ehemaligen Königsschlosses auf uns, die Generäle Masséna, Ney etc. schauen ebenfalls aus Stein gehauen herab. – Um 12h begaben wir uns in den schönen fürstlichen Speisesaal, wo das Dejeuner genommen wurde, alles elegant serviert u. schmackhaft, wenn auch eigenartig, bereitet. Jede Familie speist an einem separatem Tischchen u. erhält eigenes Gedeck.

Text: Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Cod-2072-1 (Transkription: Katharina Schilling)

Bild: Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Bi-1025 (Karl Häupl, „Paris“, undatiert).

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Dieser Beitrag hat 2 Kommentare
    1. Lieber Herr Schönherr! Herzlichen Dank für Ihren Kommentar. Die Irritation zwischen Gemälde und 1902 kann ich damit erklären, dass wir als Stadtarchiv Innsbruck leider praktisch kein Bildmaterial zu Paris haben. Ich muss also bei den Tagebucheinträgen etwas improvisierten. Ich dachte, da Marie zum ersten Mal das Straßenleben in Paris wahrnahm, passt das Bild vielleicht als Impression. Was die Jahreszahl betrifft, touché, ich habe einfach ganz vertrauenswürdig die Daten aus der Archivdatenbank übernommen, ohne den Maler zu recherchieren. Danke für die Korrektur und den Link! Mea culpa und wird korrigiert. Das 2000 ist übrigens nicht das Aufnahmedatum sondern die zwei Ringerln unter der Signatur wurden wohl als „[20]00“ gedeutet. 😉 Ich habe nun das Original überprüfen, man sieht tatsächlich nur zwei Kreise, ich sehe keine Anzeichen, dass einer davon ein 6er, oder 9er sein könnte.

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