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8 Monate Anno 1902 (39)

8 Monate anno 1902 (39)

Heute unternimmt Marie eine ausführliche Bergtour, die für mich einige Rechercheanstrengungen mit sich brachte, als zu all den genannten Orte bei uns keinerlei digitales Bildmaterial vorliegt. Also greifen wir halt in die Trick- bzw. Kitschkiste (damit die auch einmal zum Zug kommt). Zwar gab es bei Marie Reh, nicht Gemse zum Proviant, aber wer will sich schon mit solchen Details aufhalten? Zumal Marie gerade vorige Woche Jaggl mit einer Gemse abgelichtet hat…

10.8.1902, Sonntag, Lorenzi-Tag.

Aufstieg zur Largozer-Alm. Wie gewöhnlich giengen wir ins Volderthal zur hl. Messe um 6 Uhr, nahmen wir jedoch etwas Proviant mit, da Madeleine, Margreth u. ich mit Herrn Schmarl auf Largoz gehen dürfen. Das Wetter war sehr schön u. kühl; einige weiße Wölkchen verriethen den Scirocco in den Höhen, also war die Aussicht vom Joch aus gesichert. Nach der hl. Messe stärkten wir uns bei einem Stückchen Tellerfleisch u. einigen Gläschen weißen Wein; dann, so um ½ 8h, verabschiedeten wir uns vom l. Onkel Nicolaus, der heimwärts wanderte, während wir das jenseitige Joch zu erreichen trachteten. Der Weg bis zum Hasenbauern war Margreth u. mir schon früher bekannt; was nun folgte, war uns neu. Der hübsche Weg führte uns mäßig steil aufwärts durch dichten, dunklen Tannenwald, über dessen Wipfel die ersten goldigen Sonnenstrahlen funkelten, u. hie u. da in kleinen Fleckchen leuchtend niederfielen. Links sah man stellenweise die Einödhöfe des Volderberges durchblicken, dann nur mehr „Aschen“. Endlich kamen wir bei der neuerbauten Innsbrucker-Jägerhütte an, und obschon selbe etwas abseits liegt, giengen wir knapp dazu, um sie vollends zu betrachten u. mit unserer lieben Wetterburg zu vergleichen. Sie ist 10 Schritte lang u. 9 breit, während die unsere 12 lang ist u. 7 breit. Die Aussicht ist auch von uns aus bedeutend schöner und umfangreicher. Als wir alles „durchschnuget“[?] hatten, stiegen wir wieder weiter. Immer führte uns der Weg durch den Wald; bald aber wurden die Bäume vereinzelnter, mächtige, bemooste Zirbeln überschatteten die Alpenrosenstauden u. die überwachsenen Felsen; 1 ¾ Stunden waren seit unserm Aufbruch im Volderbad verflossen; der Zeit nach musste Largoz nicht mehr ferne sein, wenngleich wir uns viel niedriger wähnten, der nahe Zaun aber war schon der der Alpe. Noch ein paar Schritte empor und der Giebel einer Hütte wurde sichtbar, dann kam ein ganzes Dörfchen sonnengebräunter Hütten: Largoz! – Wir schauten hinein in die Sennhütte, wo einige Männer soeben fertig geschlögelt hatten; ein reizendes Bildchen, wie sie das „Rädchen“ um die große Butterkugel drehten! – Hinter einem kegelförmigen Hügel, auf dem sich ein abgewittertes hölzernes Kreuz befindet, ganz verschieden von jenem rothgestrichenen Christusbilde vor der Hütte unten, lehnen die Baulichkeiten der Alpe; wir zählten im Ganzen 11 Dachstühle, das meiste „Hag‘.“ Mit schlauderischen Strichen beeilte ich mich das Bildchen in mein Skitzenbuch zu bringen, wechselte noch einige Worte mit einem der Senner, der mir mittheilte, dass kürzlich Herr Dr. Cornet heroben gewesen sei, sowie die Zöglinge von Thurnfeld; alles Neuigkeiten! – Um 10 ¼h begannen wir weiterzumarschieren, denn auch das „Kreuzjoch“ sollte erklommen werden. Muthig empor! Rechts ließen wir den kleinen aber doch sehr idyllischen Largozersee liegen u. wandten uns serpentinenweise dem Joch zu. Über den niedern Übergang zogen dichte Wolkenschübe; wie wird‘s mit der Aussicht ins Wattenthal stehen? – ¾ Stunden nahm der Aufstieg Zeit ein. Dann jauchzte Hr. Schmarl als erster am Gipfel der von dem ihn überragenden Kreuze benannten „Kreuzjoch“. Gleich darauf hatten auch wir‘s erreicht; wir standen auf der Schneid zwischen Inn-, Volder- u. Wattenthal! Die Aussicht war sehr schön; jene in‘s Oberland war gleich als wie vom „langen Brand“ aus, jene ins Unterinnthal war weniger umfangreich, dafür lag das Wattenthal so entzückend schön unter uns mit seinen vielen Aschen u. Alpen, die wie Dörfer heraufblickten. Hr. Schmarl explizierte uns ihre Namen u. nannte uns deren Besitzer. Watz, Bofers, beim Walchen, beim Leisler, Möls, Litzum etc. lauteten die vielen Namen der Alpen. Schäumend, weiß wie Firnenschnee, brauste der Wattenbach durch‘s gleichnamige Thal. Rechts von uns waren die schroffen Abhänge des Hanneburger, der einem Riesenspitz gleich, vor unsern Blicken lag. Vis-à-vis ragten allerlei unbekannte Gipfel ins Blaue, dahinter aber die Tuxerferner, welche ich schon 3 mal gesehen. Hall lag so lieblich im tiefen, tiefen Thal des Innes drunten, dessen blaue Fluten zu den Füßen der Stadt spielen; alles sah man deutlich, die Pfarre, den Münzerthurm etc, etc. Wir wandten uns nun dem Volderthal zu; wie schwindlig steil fällt doch der Tulferberg ab; die Wiese von Stallsins scheint einwärts sich zu biegen! Deutlich sah man unsere liebe Wetterburg aus den Tannen- und Zirbelgipfeln herausleuchten. Wir winkten u. jauchzten hinüber, sahen auch die Leute drüben u. hörten den Brantl fortwährend bellen! Ob man auch uns hört u. sieht? – Nach langem Betrachten setzten wir uns nieder u. begannen uns an kaltem Rehschlögl zu laben, dann begann das Bewundern von Neuem. Margreth u. ich liefen dem Grat entlang u. schmückten unsere Hüte mit den farbenprächtigen Jochblumen, den tief blauen Vergissmeinnicht, den rothbraunen Brunellen u. den lilafarben Alpenastern mit den leuchtend gelben Korbblütchen in der Mitte. – Es war 12h vorüber, als wir munter bergab stiegen, um durch die ersten Bäume nach Haglahn zu wandern; dies war das III. Reiseziel. Der Weg dahin war über alles Erwarten schlecht. An den besten Orten glich das Terrain einem gigantischen Riebeisen, derart war er von Furchen durchzogen. Wir lenkten immer tiefer ein u. kamen in den urzeitlichen Zirbelwald; auf einmal nahmen wir argen Brandgeruch wahr; nach einigem Forschen entdeckten wir als Ursache einen noch glimmenden Zirbelbaum, der vom Blitz während der letzten Gewitter getroffen wurde. Die eine Seite war schon gelb, die andre grünte noch ein wenig, doch war auch sie ergriffen worden; es war nämlich ein Zwieselbaum. Nun begann die Tortur; Steinblöcke lagen übereinander, tückisches Moos verdeckte die inzwischenliegenden Gruben u. Löcher, jeder Schritt musste überdacht sein. Zum Überfluss rieselten nun Wässerlein von oben, Zirbeln lagen quer im Steig, dann zum Schluss mussten wir noch über den sehr primitiven Zaun von Haglahn. Auch in der Alpe waren die Wegverhältnisse nicht besser, endlich waren wir bei der Hütte, doch da waren anscheinend „Holzer“ innen, weshalb wir noch einen Zaun überwanden u. in der Hütte des Baron Sternbach Einkehr hielten. Hier trafen wir einen sehr missmuthigen Senner, der uns erst nach langem eine Schüssel Gaismilch anvertraute; alles war voll Schmutz, mich ekelte ganz etwas anzurühren. Schwarzen Kaffee hatten wir von zuhause mitgenommen, mit Gaismilch vermischt lieferte er nun unser Marend; ich zog es aber vor, mich an das kristallhelle Brunnenwasser zu halten, was wohl das einzig Saubere in der ganzen Alpe war. Wir bezahlten nun u. wandten uns thalwärts, dem Niederleger zu u. von dort direkt zum Bache. 1 Stunde lang währte der Abstieg bis zur Brücke, dann giengen wir dem Schwarzbrunnenweg entlang bis zur Stallsinser Aschen, dort trennten wir uns von Herrn Schmarl, der über die Stiftsalpen aufstieg, während wir den Steig über die Danneraschen wählten. Noch ¾ Stunden aufwärts bis zur Wetterburg, dann hatten wir das Ziel erreicht; es war ¾ 4h als wir froh und munter dort anlangten, bereits erquickt durch die vielen Erdbeeren, die unserm Weg entlang leuchteten. Oben hießen uns Tante Anna, Onkel Nicolaus u. Huisigenbäurin willkommen; wir waren gar nicht müde u. erzählten voll Begeisterung die Einzelheiten der herrlichen Partie. – Herr Schmarl kam nach uns hinauf u. gieng nach dem Abendessen nach Hall. –

Text: Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Cod-2072-1 (Transkription: Katharina Schilling)

Bild: Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Slg. Günter Sommer, Bd. 3, Nr. 24

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