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„Verlorene Heimat“

„Verlorene Heimat“

Als ich dieses Gemälde zum ersten Mal im Depot in der Feldstraße sah, dachte ich, es sei ein Gemälde von Prometheus. Aber es ist war als Gemälde mit einer besonderen Botschaft gedacht.

Gemalt hat es Thomas Riss (1871-1959). Der Tiroler Künstler wurde in Haslach geboren und besuchte nach einer Ausbildung zum kunsthandwerklichen Maler an der Staatsgewerbeschule in Innsbruck die Kunstakademie in München, wo er unter anderem bei Franz von Defregger studierte. 1898 kam der junge Thomas Riss nach Meran, um ein Lungenleiden auszukurieren, und blieb dort. Riss war vor allem für seine Porträts und Landschaften bekannt, neben denen er auch einige religiöse Motive auf die Leinwand brachte. Das Porträt eines amerikanischen Ehepaares brachte ihm 1904 eine Einladung in die USA ein, wo er an der Weltausstellung in St. Louis teilnahm und eine Goldmedaille erhielt. 1914 zog er als Standschütze in den Ersten Weltkrieg und wurde schnell ein geschätzter Kriegsmaler. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und der Abtretung Südtirols an Italien kehrte Riss mit seiner Familie nach Nordtirol zurück. In Innsbruck Mühlau hatte er ein Haus gekauft, in das er 1927 mit seiner Familie einzog. In Mühlau lebte er bis zu seinem Tod 1959.

Für Thomas Riss war der Verlust der von Südtirol an Italien ein schwerer Schlag. Er fühlte sich immer eher als deutsch und hatte große Schwierigkeiten, sich mit Italien und seiner Kunst zu identifizieren. Im Gegenteil, er hatte eine eher abwertende Haltung gegenüber den großen italienischen Künstlern und sah die Qualitäten eher bei den nordischen Malern wie Rembrandt. Die Abtrennung Südtirols machte Riss zu einem glühenden Patrioten und Verfechter eines geeinten Tirols. Diesen Gefühlen verlieh er in seiner Kunst Ausdruck. So entstand 1919 das Gemälde „Verlorene Heimat“, das sich heute im Depot des Stadtarchivs befindet.

Aber ich lag wohl nicht falsch, als ich an Prometheus dachte. Hans-Peter Ofer schreibt in seiner Dissertation über Thomas Riss, dass dieser sich sehr von der Idee des großen Heroen angezogen fühlte und ein durch und durch romantisches Wesen hatte. So könnte Riss mit dem Hinweis auf Prometheus die Leiden Tirols hervorgehoben haben wollen.

Der Adler, der Prometheus in der Geschichte täglich ein Stück Fleisch ausreißt, ist hier der trauernde und erschöpfte Adler, das Wappentier Tirols.

Riss hat sich zeitlebens sehr direkt und klar zum Wunsch nach Wiedervereinigung geäußert. Und seine Ansichten fanden viel und gerne Gehör. Seine Werke wurden als Zeichen für Alttirol und als Werbung und Aufruf zur Wiedervereinigung verstanden. 

Durch sein Bekenntnis zu Tirol hatte Riss nach dem Ersten Weltkrieg Bekanntschaft mit vielen bekannten Verfechtern der patriotischen Bewegung gemacht, etwa mit Dr. Anton Müller, bekannt als Seelsorger Bruder Willram, oder auch mit dem Dichter Bartholomäus del Pero.

Während sich die Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg mit den Entwicklungen zur Neuen Sachlichkeit, zum Expressiven und zum Expressiv-Monumentalen weiter entwickelte und auch immer richtungsweisender wurde, blieb Thomas Riss seinem alten Stil treu. Er sah seine Aufgabe mehr in der Fortführung der traditionellen Tiroler Kunst des 19. Jahrhunderts. 

Für Tomas Riss bedeutete seine konservative Kunst keine politische Verfolgung oder unangenehme Veränderung. Im Gegenteil, seine Kunst passte sehr gut in den vom Nationalsozialismus bewunderten Naturalismus. Er wurde geehrt und schuf auch einige Auftragsporträts für NS-Parteifunktionäre.

Inwieweit Thomas Riss selbst dem nationalistischen Gedankengut verhaftet war, ist allerdings unklar. Seine Kunst fügte sich nicht in die übliche Kunst des Nationalsozialismus ein und auch seine eigenen Äußerungen aus dieser Zeit lassen keine direkte Zugehörigkeit erkennen. Seine jüdische Frau Friederike floh in den 30er Jahren vor der Verfolgung nach Meran und lebte dort unauffällig. Ende der 30er Jahre trennte sich Thomas Riss auf politischen Druck offiziell von seiner Frau aus Gründen des beruflichen Überlebens, wie aus einem Brief seiner Tochter hervorgeht. Nach dem Ende des Nationalsozialismus kehrte Friederike nach Tirol und zu ihrer Familie zurück.

Nach dem Zweiten Weltkrieg genoss Thomas Riss weiterhin hohes Ansehen. Er nahm an zahlreichen Ausstellungen teil und hatte auch einige Einzelausstellungen. 

Im Alter wurde Thomas Riss von einem starken Händezittern geplagt, das sich auch in seinen späteren Werken bemerkbar machte und ihnen eine neue, andere Qualität verlieh. Kurz nach einem schweren Schicksalsschlag in der Familie wurde ihm am 20.12.1956 der Goldene Ehrenring der Stadt Innsbruck verliehen. Im Herbst desselben Jahres verstarb seine Frau.

Drei Jahre später, am 27.10.1959, starb Thomas Riss selbst an den Folgen einer Lungenentzündung.

Das Gemälde des heutigen Beitrags hing bis 2014 noch im Adlersaal der Stadtsäle Innsbruck und kam vor dem Abriss selbiger ins Stadtarchiv Innsbruck. Hier sehen sie es im Hintergrund während einer Gemeinderatssitzung 1962.

Gemeinderatssitzung 1962, Foto Frischauf, Ph-3415

Amelie Sturm mit Unterstützung von Renate Ursprunger (Stadtarchiv/Stadtmuseum; Hans-Peter Ofer, Thomas Riss. Künstler am Anbruch einer neuen Zeit, Innsbruck, 2002.; Bi-3059_667)

Dieser Beitrag hat einen Kommentar
  1. Ein sehr gelungener und informativer Beitrag, vielen Dank!

    Dieses Motiv mit dem roten Tiroler Adler hat der Künstler Thomas Riss mindestens zwei Mal gemalt, ein weiteres Bild mit einem expressiveren Hintergrund befindet sich im Kaiserjägermuseum.

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