Album Tiroler Landestheater 1939-1944, Teil 10: „Hänsel und Gretel“ und „Wir tanzen durch die Welt!“
Komponiert wurde die Märchenoper „Hänsel und Gretel“ von Engelbert Humperdinck. Das Libretto schrieb seine Schwester Adelheid Wette.
Engelbert Humperdinck wurde am 1. September 1854 in Siegburg geboren. Bereits im Alter von sieben Jahren erhielt er Klavierunterricht, und als er zwölf Jahre alt war, begann er zu komponieren. 1872 begann er ein Studium am Kölner Konservatorium. Vier Jahre später gewann Humperdinck den Mozart-Preis der Stadt Frankfurt und erhielt ein Stipendium, das ihm ermöglichte, seine Studien in München fortzusetzen. 1879 wurde Humperdinck mit dem 1. Preis der Mendelssohn Stiftung ausgezeichnet. Dies ermöglichte ihm eine Studienreise nach Italien, auf der er den Komponisten Richard Wagner in Neapel besuchte. Dieser bot dem jungen Künstler an, bei der Vorbereitung und Einstudierung der Uraufführung des „Parsifal“ mitzuarbeiten. Humperdinck nahm dieses Angebot gerne an und arbeitete bis zu Wagners Tod im Jahr 1883 mit ihm zusammen und blieb auch danach mit der Familie Wagner freundschaftlich verbunden. Humperdinck erhielt 1882 das Meyerbeer-Reisestipendium, das ihm eine Studienreise durch Frankreich, Spanien und Marokko ermöglichte. Danach arbeitete er unter anderem als Lehrer in Barcelona und am Kölner Konservatorium, später als Lektor beim Musikverlag Schott in Mainz. Ab 1890 unterrichtete er am Konservatorium in Frankfurt am Main, zehn Jahre später wurde er zum Leiter einer Meisterklasse für Komposition an die Königliche Akademie der Künste in Berlin berufen. 1911 wurde Humperdinck schließlich zum Direktor der Theorie- und Kompositionsabteilung der Königlichen Hochschule für Musik in Berlin ernannt. Engelbert Humperdinck starb am 27. September 1921 in Neustrelitz.
Seine größten Erfolge als Komponist feierte Humperdinck mit der 1893 fertig gestellten Märchenoper „Hänsel und Gretel“, die unter der Leitung von Richard Strauss am 23. Dezember 1893 in Weimar uraufgeführt wurde und in Folge rasch und unerwartet zum Welterfolg wurde.
Am 25. November 1939 wurde die Märchenoper „Hänsel und Gretel“ am Tiroler Landestheater in Innsbruck in folgender Besetzung aufgeführt:
Die Innsbrucker Nachrichten berichteten am 27. November 1939 begeistert von der erfolgreichen Opernaufführung: „Zart und innig wie ein Bild von Schwind ist die Märchenoper „Hänsel und Gretel“, die auf ganz eigenartige Weise entstand. Als sich der 36jährige Engelbert Humperdinck nach mancherlei Wanderjahren 1890 in Frankfurt a. M. niedergelassen hatte und am dortigen Konservatorium als Lehrer wirkte, da schrieb er für die Kinder seiner verheirateten Schwester kleine Tanzstücke, die sich allmählich fast von selbst zu einem Märchenspiel zusammenfügten und schließlich doch ihren Weg auf die Bühne fanden. […] Seit vielen Jahren in Innsbruck nicht mehr aufgeführt, wurde diese reizendste aller deutschen Märchenopern mit ihrer vorweihnachtlichen Stimmung nun gerade zur richtigen Zeit wieder in den Spielplan unseres Tiroler Landestheaters aufgenommen und von Spielleiter Ottomar Mayr am Samstagabend in einer geradezu mustergültigen Neuinszenierung herausgebracht, zu der Hans Siegert entzückende Bühnenbilder geschaffen hatte. […] Fritzi Heinen und Virginia Mott waren ein herziges Geschwisterpaar, der warme Alt und der helle Sopran wetteiferten miteinander an Schönheit und Frische […] Ungewöhnlich war die Darstellung der Hexe durch einen Mann, doch Rudolf Hille gelang diese Zauberei ganz ausgezeichnet: er war in Maske, Haltung und Spiel kaum zu übertreffen und erntete wie alle Mitwirkenden reichen Beifall.“
Die Märchenoper wurde in Folge einige weitere Male am Tiroler Landestheater aufgeführt. Am 14. Dezember 1939 erschien dann unter dem Titel „Daran hat Humperdinck nicht gedacht“ ein etwas kritischerer Artikel über das Stück in den Innsbrucker Nachrichten: „[…] Es wird immer ein Rätsel bleiben, Kindern den Sinn einer Oper begreiflich zu machen. Sie suchen vor allem das Geschehen, die Handlung, in diesem Falle die bildhafte Verwirklichung des ihnen bekannten Märchens. Die Kinderphantasie ist nie die der Erwachsenen, sie sehen infolgedessen bei einer Aufführung auf ganz andere Dinge, nehmen als selbstverständlich hin, was dem Erwachsenen gar nicht so scheint, und stolpern über Sachen, die für den Erwachsenen selbstverständlich sind. […] Je nach dem Alter der Kleinen sind auch deren mehr lauten als leisen Einwürfe. Sie treffen aber immer den Nagel auf den Kopf. Haben etwa die Zwischenbemerkungen: „Warum singt die Mutter, wenn sie schimpft? Meine Mutti singt dabei gar nicht!“ oder: „Seit wann ist denn der Vater ein so alter Mann mit weißen Haaren und einem so großen Bart wie Großpapi?“ nicht ihre gewisse Berechtigung? […] Lieber Humperdinck, nimm dir’s zu Herzen und denk‘ das nächste Mal daran!“ Da Humperdinck zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Artikels schon beinahe zwanzig Jahre tot war, konnte er sich an diesen Ratschlag leider nicht mehr halten!
Am 25. November 1939 wurde vor der Märchenoper „Hänsel und Gretel“ das Tanzstück „Wir tanzen durch die Welt“, das von Lisa Diederich choreographiert wurde, aufgeführt. Dabei zeigte das Ballettensemble des Tiroler Landestheaters elf verschiedene Tänze aus allen Teilen der Welt:
Zwei Tage nach der Aufführung des Tanzstücks erschien in den Innsbrucker Nachrichten folgender Artikel, in dem es nur lobende Worte für die Choreographie und das Ensemble gab: „Der vorzüglichen Opernaufführung ging das Ballett „Wir tanzen durch die Welt“ voraus, das Lisa Diederich entworfen und einstudiert hatte. Wie die Musik ist auch der Tanz gesteigerter Ausdruck menschlicher Empfindungen, höchster Lebenslust und tiefsten Leides. Jeder Zeit und jedem Volk sind bestimmte Ausdrucksformen eigen und unsere verdienstvolle Ballettmeisterin führte uns davon eine reiche Auswahl vor Augen, die mit einem anmutigen Menuett eingeleitet wurde. Ihm folgte eine indischer Opfertanz, bei dem Lisa Diederich als Bajadere ihren geschmeidigen Leib in vollster Beherrschung wie eine Schlange wand und drehte. Japan war mit einem reizenden Laternentanz vertreten, Holland selbstverständlich mit einem klappernden Holzschuhtanz. Eine russischer Tscherkessentanz stellte große Anforderungen an die Geschicklichkeit von Lu Erlich und Else Beierlein, die später mit einer grotesken böhmischen Polka schallende Heiterkeit hervorriefen. Bei den italienischen und ungarischen Volkstänzen fiel besonders die hübsche Siegried Zander auf, Lisa Diederich tanzte mit spanischem Temperament einen Tango und ein exakt einstudierter Girltanz führte nach Amerika. Von dort ging es aber gleich wieder zurück nach Wien, wo uns Johann Strauß die „G’schichten aus dem Wienerwald“ erzählte. Oft schon haben wir disen unsterblichen Walzer getanzt gesehen, aber wohl selten mit solcher Anmut, mit so wundervoller Beschwingtheit wie von Lisa Diederich, Karl Ball, Edi Keicher und den Damen der Tanztruppe. […] Es war ein selten schöner Abend, der wohl noch zahlreiche Wiederholungen finden dürfte.“
(Stadtarchiv Innsbruck, Ph-A-994-018, Ph-A-994-016, Ph-A-994-023)