Halblustige Radler
Die „Radfahrer-Riege im Verein der Deutsch-Südtiroler in Innsbruck“ begeht um 1940 vermutlich eine Fahnenweihe. Im Zuge der „Option“ der Südtiroler wuchs die Zahl der BewohnerInnen aus dem ehemaligen südlichen Landesteil auch in Nordtirol sprunghaft an. Entsprechend wurden auch die Südtiroler-Siedlungen in vielen Orten Nordtirols errichtet. Es ist nur folgerichtig, dass sich diese NeubürgerInnen in Vereinen organisierten. Bezeichnenderweise ist der Fotograf Hugo Jäckel aus der Gumppstraße 16 der Künstler der Aufnahme.
Eine dieser Organisationen war die Radfahrer-Riege. Die 23 Personen, die in einem bekannten Innenhof Platz genommen haben, feiern vermutlich ein Fest. Die Fahne, die einheitliche Kleidung, der würdige Blick. Und da sind wir nun.
Aber wenn man in die Gesichter der Radfahrerinnen und Radfahrer blickt, so kommt man schon ins Grübeln, ob diese schon über die neue Fahne begeistert sind. Nur die Wenigsten lächeln. Die Meisten schauen ernst oder neutral in die Kamera. Das ist aber im kulturellen Kontext zu sehen, dass es bis nach dem Zweiten Weltkrieg eher unüblich war, dass Menschen bei Fotoaufnahmen gelächelt oder gar gelacht haben. Bis dahin war ein ernster Blick bei den meist gestellten Aufnahmen normal, um die Würde des Moments zu unterstreichen.
(Stadtarchiv/Stadtmuseum, Ph-31.286)
Kann mir bitte jemand beim „bekannten Innenhof“ helfen …?
Man ist geneigt an den Hof der ehemaligen Klosterkaserne zu denken, wie schon einmal bei einem anderen Beitrag. Hat sich damals aber, sehr zur Freude von Herrn Bürgschwentner, erst nach einigen Anläufen herauskristallisiert, dass es sich um den „bekannten Innenhof“ der Landesbaudirektion, Herrengasse handelt: https://innsbruck-erinnert.at/spiel-satz-und-sieg/
Hab ich auch gemeint, sieht aber bis auf die generelle Kombination großes Haus, rechtwinklig dazu kleines Haus, völlig anders aus. Außerdem erscheint das kleine Haus hier freistehend und am Tennisbild angebaut. Und das Parterre des größeren Hauses ist beim Fahrradfoto wesentlich höher und reicht fast zur Dachkante des kleineren, am Tennisbild sind die Stockwerke beider Gebäude gleich hoch.
Da müßten schon große bauliche Veränderungen stattgefunden haben Ornamentfries weg, Bogenfenster weg, Gitter weg, Lücke zwischen beiden Gebäuden geschlossen – damit es sich um die gleiche Lokalität handeln kann.
Sie haben völlig Recht, Herr Hirsch! Den Unterschied, die Rundbogenfenster und den Fries betreffend, hatte ich schon bemerkt, mich aber zu sehr von dem niederen Quertrakt täuschen lassen und tatsächlich einen radikalen Umbau angenommen. Da war eindeutig der Wunsch Vater des Gedankens.
Trotzdem wage ich noch einen Anlauf. Meine Überlegungen dazu:
1.) Die Radler-Riege hielt ihre jährlichen Generalversammlungen in der Kundler Bierhalle ab. Dort gab es auch einen Gastgarten. Die Stühle sehen so aus als gehörten sie in einen solchen. Garten der Kundler Bierhalle? Dann wäre den Hinweis auf einen bekannten Innenhof wieder einmal eindeutig „Morscher-Style“.
2.) Die Fahnenweihe fand vermutlich in oder in der Nähe einer Kirche statt. Falls es die Spitalskirche war, könnte das Bild auch im Hof des Bundesrealgymnasiums Adolf Pichler Platz entstanden sein.
Hofburg, Zeughaus, Ferraripalais, Palais Trapp und Ursulinenkloster habe ich schon erfolglos abgeklappert …
Ich habe fast den Verdacht, daß Herr Morscher selber auf diese Ähnlichkeitsfalle hereingefallen ist.
Weiters fürchte ich, daß das Ensemble den Krieg oder unsere Bauwut nicht überlebt hat. Der Kundler Biergarten hat am Luftbild 1940 leider keine ähnlichen Häuser um sich herum.
Das ganze hat schon etwas kasernenartiges, die Klosterkaserne hatte unten auch solche Bögen, aber kein solches Nebengebäude und auch in den oberen STockwerken große Fenster. Wobei die alte Regel „Schulen und Kasernen sehen sich gerne ähnlich“ auch noch eine Möglichkeit sein könnte. Aber Schulen haben wieder keine Schanigartenstühle. Die Realschule paßt gebäudemäßig auch nicht. Daneben wäre das Breinößl gewesen(?).
Der Bau selber sieht recht alt aus, aus der Zeit vor den großen Stadterweiterungen um die Jahrhundertwende und schon zur Zeit der Aufnahme recht abgewohnt.. Also irgendwo in der Innenstadt. Jetzt so ein zweiteiliges L suchen. Püh!
Ist der kryptische Hinweis „bezeichnenderweise“ der Fotogrf Jäckel ein Tipp oder war Herr Jäckel ein Vereinsradler?
Manchmal machts Spaß nix zu wissen.
Und was macht eigentlich das winzige, aber erwachsene (Schnurrbart), völlig aus dem Maßstab gefallene Mandl im Hintergrund? Paßt ja überhaupt nicht z’amm. Geist.
https://postimg.cc/xcZfRw9W
Heureka, Frau Stolz und Herr Hirsch! Das Foto wurde direkt vor der Westfassade der alten Fleischbank aufgenommen. Man sieht die Fassade mit ihren Details sehr schön in diesem Beitrag auf dem 3. Foto:
https://innsbruck-erinnert.at/das-innsbrucker-schlachtwesen-in-der-neuzeit/
Die Fleischbank war am Innrain und wurde nach dem 2. Weltkrieg als Bombenruine abgerissen!
Gleich vor den Füßen der Radlergruppe verlief früher der Holztriftkanal. Auf diesem wunderbaren Plan sieht man den Platz hinter der Fleischbank genau:
https://innsbruck-erinnert.at/holz-trifft-kanal-oder-holztriftkanal/
Danke für des Rätsels Lösung, Herr Auer!
Die Gartenstühle werden somit Eigentum des nahen Bierwastlgartens gewesen sein.
Und ein „Bekannter Innenhof“ war es auch nicht, nur ein ähnlicher 🙂
Genau, die Fleischbank – danke, Herr Auer! Sie hatte ja wirklich eine markante Fenstergestaltung vorzuweisen und wurde hier schon öfters erwähnt, nicht nur als reines Titelbild. Wenn die Radler*innen quasi am Holztriftkanal saßen, dann war der Ort dieser Aufnahme nicht nur kein bekannter Innenhof, sondern gar kein Innenhof. Dass der niedrigere rechte Bauteil kein Quertrakt sein kann, wie von mir ursprünglich angenommen, hat Herr Hirsch schon mehr als glaubhaft argumentiert. Aber auch nach Ihrem Hinweis, Herr Auer, auf die Fleischbank, war mir die bauliche Situation bzw. der Standort des Fotografen noch nicht ganz klar. Irgendwie konnte ich die abgelichtete Szenerie nicht zweifelsfrei nachvollziehen.
Die Suchfunktion mit dem Schlagwort „Fleischbank“ wirft 19 Beiträge aus. Bei Nr. 18 bin ich fündig geworden. Die Aufnahme um das Jahr 1900 zeigt, dass die niedrige Fassade auf dem Titelbild rechts zu einem Gebäude gehörte, das gewissermaßen in der 2. Reihe der Innrain-Häuserzeile stand; parallel zum Innrain aber quer zur Fleischbank. Wenn meine Überlegungen stimmen, hat das Fotoshooting dort stattgefunden, wo dieses Haus seinen Schatten auf die Fassade der Fleischbank wirft: https://innsbruck-erinnert.at/panoramablick/