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8 Monate Anno 1902 (55)

8 Monate anno 1902 (55)

9:35, es geht los! Maries Beschreibung von vor 120 Jahren spiegelt jenes wider, was einmal jemand vor einigen Jahren mir gegenüber beklagte: Dass der Innsbrucker Blickwinkel so stark nach Süden ausgerichtet sei, Bozen schiene den Leuten so nah und Reutte so fern, obwohl letzteres doch um einiges näher liegt. Ins Außerfern geht es heute nicht, aber nachdem die 19-jährige Marie erst vor wenigen Wochen zum ersten Mal nach Stams gefahren war, offenbart sie heute wieder, dass sie noch nie weiter westlich gekommen war – und deutet an, dass das wohl auch für ihre Tante Anna galt. Und das, obwohl es offenbar einige Verbindungen gegeben hätte: „Madeleines Haus“ befindet sich in Landeck, in Dalaas dachte Marie „an die liebe Martha“ und in Feldkirch weilten zwei von Maries Brüder „im Institut “ (wohl bei den Jesuiten).

Die beiden genannten Frauen gehören übrigens – zusammen mit Margreth – zu den meistgenannten Personen in den Tagebüchern. Jeweils über 300 mal werden sie in den Tagebüchern zwischen 1897 und 1905 erwähnt. Während bei Martha die Verbindung zur Familie Bechtold klar ausgesprochen wurde, trifft das auf Madeleine nicht zu. Die fehlende Anrede oder Beifügung weist darauf hin, dass es sich weder um eine Respektsperson noch um eine Verwandte handelte. Die Tagebücher verweisen darauf, dass es sich um ein vertrautes Verhältnis handelte, Marie besuchte Madeleine immer wieder in ihrer Wohnung in Hall, sie gingen zusammen in die Kirche oder auf Wanderungen. Madeleine war oft bei Maries Familie, durchaus auch längere Zeit. Dabei ist dann oft von gemeinsamer Arbeit die Rede, insbesondere von Bügeln und Nähen. Es ist also am ehesten davon auszugehen, dass Madeleine eine langjährige Bedienstete und auch Freundin der Familie war. Am 14. Juni 1900 erzählte Marie, dass sie zusammen mit Margreth Madeleine besuchte und „ihr nebst unserer Gratulation zu ihrem 25 jährigen Haller=Jubiläum auch einen Blumenstrauss“ überbrachte. Obwohl nicht erwähnt wird, wann Madeleine von Landeck nach Hall gezogen war, ist somit doch klar, dass sie zumindest um einige Jahre älter als Marie war.

9. October 1902. Donnerstag.

Beginn der Reise nach Paris.

Um 9’35 fuhren wir von Innsbruck fort. Das Wetter war schön, überall blickten uns schneebedeckte Berge an; über Hall lag ein Nebelstreif. In der Frühe war ich bei der hl. Messe, um Gottes Schutz und Segen für die Reise zu erflehen! – Margreth war beim Abschied zu Thränen gerührt, was auch bald mir zu Herzen gegangen wäre. Als wir aber im Coupé saßen, hatten wir alle drei einen vortrefflichen Humor u. waren voll Reiselust. Wir hatten ein Schlafwagencoupé für vier Personen allein, sehr angenehm. In Völs mussten wir eines Wechfels halber stehenbleiben u. blickten nun empor zum Blasiusberg u. hinüber nach Kranebitten. Dann giengs hurtig weiter. Im Vorüberfahren zeigte ich der lieben Tante Anna den Locherboden und Stams. O Maria schütze uns! – Von hier an war mir alles neu; es kam zuerst Silz; immer empor wird das Thal, die Felsen rücken näher, auf denen wahrscheinlich die Felder liegen. Imst ist die 1. eigentliche Haltestelle; man sieht die neugeadelte Stadt sehr hübsch drüben in der Ferne liegen, so ähnlich wie Kaltern. – Nun Zams, dann Landeck, über welches ich sehr staunen musste. Wie nett liegt doch das burggekrönte Dorf zu beiden Seiten des hier nur bachbreiten Inns. Unsere Blicke suchten Madeleines Haus u. fanden es auch, doch nicht lange hielt der Zug. Pians in der Tiefe. Die Bahn geht unter einem Viaduct durch u. bleibt nun in riesiger Höhe, auf abschüssigem Terrain neben der Rosanna. Dann kommt das große alte Schloss Wiesberg, dahinter die Trisannabrücke, knapp neben der Mündung in die Rosanna. Tafeln geben Aufschluss über den Kunstbau dieser Brücke; selbe ist 86m hoh (sic!) u. hat 120m Spannweite. Nun kommt das lange Weinzierltunnel, dann gleich darauf wieder ein kurzes, dann wieder ein langes Tunnel. Flirsch in einer Gegend wie am Brenner. Etwas früher fuhren wir unter dem Klausbachaquaduct durch. Die wilde Rosanna braust neben uns; einige arme Dörfer liegen daneben oder kleben an steiler Höhe. Nun giengen wir in den Speisewagen, um das Diner zu nehmen. In St. Anton war Haltstelle, dann erglühten im Coupé die elektrischen Glühlampen: wir fuhren durch den Arlberg! Wir durchquerten den Berg genau in 1/4 Stunde, dann kam Strengen, u. gleich darauf wieder ein großes Tunnel. Großtobeltunnel, u. später ein kleineres, worauf wir zu den Lawinenschutzdächern kamen. Unheimlich fährt die Bahn nur so an der Wand, ein Tobel folgt dem andern, eine Brücke der anderen. Danöfen, Brunnentobel, dann fahren wir durchs Engelwäldchentunnel, auf welches die Engelwald folgt, ein jäh abstürzender Fels, von herrlich gefärbten Zwergbüschen bewachsen. Buchen sind es, die unter der Bahn dem steilen Hügel Halt geben, u. welche mit ihrer edlen Zeichnung des Geästes und Laubwerks und mit der prächtigen Herbstfärbung das Auge des Reisenden erfreuen. Pfaffentobel, Masonbachbrücke, dann Dalaas, wo ich an die liebe Martha dachte. Grubertobel. Rechts geht ein Thal hinein, vorher war der Ort Braz im schon bedeutend erweiterten Thal. Dann kam Bludenz, das mir sehr klein u. wenig hübsch vorkam; hier ist F. Bikl zuhause. Es ist die 2. Station nach dem Arlberg. Das Thal wird weit und flach, ein Wald; wir trinken eine Tasse café noir. Rechts wird’s immer weiter, ferne Berge tauchen auf, lichte Wolken drüberhin, dann kommt eine Brücke über einen Fluss, links geht auch ein Thal hinein; Meenzing [sic!]. Rechts liegt ein Weiler mit alter Schlossruine. Nun fahren wir längere Zeit im weiten Thal bis Frastanz, wo rechts ein größerer, links ein kleiner Ort liegt. – Feldkirch. Vorher mussten wir durch eine Schlucht fahren, zwischen Fels und Wasser. Am Bahnhof, war längere Zeit Aufenthalt; man sah aber nicht viel vom Ort, erst von der Entfernung dann. Ich dachte an meine beiden hier im Institut weilenden Brüder.

Text: Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Cod-2072-1 (Transkription: Katharina Schilling)

Bild: Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Ph_G-25871 (Schloss Wiesberg und die Trisannabrücke, noch vor der Verstärkung durch den Fischbauchträger von 1923).

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Dieser Beitrag hat 3 Kommentare
  1. Schau, schau – Imst! Bisher hörte man nur von „Meran Nordtirols“, nun auch noch Kaltern!! Weiters „neugeadelte Stadt“: Imst erhielt gerade erst 1898 das Stadtrecht!

    Bei der Weiterfahrt hat dann Maria Strengen und Langen verwechselt – kann passieren!

  2. Über Feldkirch: Da es heißt, dass zwei Brüder Marias „im Institut“ weilten, nehme ich eher an, dass es die Stella Matutina der Jesuiten war und nicht St. Josef der Barmherzigen Schwestern

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