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Wider „die Straßendirne Von Innsbruck“

Wider „die Straßendirne von Innsbruck“

Seit einigen Jahren werden soziale Medien zunehmend als Gefahr für die Demokratie wahrgenommen, weil in einschlägigen Gruppen abstruse „alternative“ Wahrheiten verbreitet werden, sich gewisse Kreise ganz in ihren eigenen ideologischen Blasen bewegen und sich dadurch zunehmend radikalisieren. Blickt man 120 Jahre zurück, so war das eigentlich ein Stück weit Alltag. Während es in Tirol seit Jahrzehnten praktisch nur eine Printmeinung gibt, existierte um die Jahrhundertwende eine vielseitigere Presselandschaft, die sich ganz gezielt an ihre jeweilige weltanschauliche Leserschaft richtete: die deutschliberal bis deutschnationalen Innsbrucker Nachrichten gegen die katholisch-konservativen Tiroler Stimmen und den Allgemeinen Tiroler Anzeiger. Man konnte also gut in seiner Blase leben. Die Zeitungen standen im Wettstreit um die Leser_innen und teilten im sogenannten „Kulturkampf“ heftig gegeneinander aus.

Vor diesem Hintergrund gründete sich im Anschluss an den fünften Allgemeinen Österreichischen Katholikentag 1905 der „Piusverein zur Förderung der katholischen Presse in Österreich“. Benannt wurde er nach dem später heiliggesprochenen Papst Pius V. (1504-1572), der unerbittlich gegen Gotteslästerer und sogenannte Ketzer vorging und „unter dem sich die Christen siegreich gegen den Erbfeind erhoben haben“. (Deutsches Volksblatt 20.11.1905) In seine Amtszeit fiel der als Wunder gefeierte Sieg der „Heiligen Liga“ in der Seeschlacht von Lepanto 1571 gegen das Osmanische Reich. Sein Namensvetter Pius X. (1835-1914) begrüßte als aktuell amtierender Papst das Wirken des neuen Vereins. Mitgründer und Hauptproponent war der aus Böhmen stammende Jesuitenpaters Viktor Kolb (1856–1928). Heute vor 115 Jahren füllte „der österreichische Preßapostel“ den Großen Stadtsaal praktisch bis zum letzten Platz. Wohl nicht ganz zufällig berichtete der katholische Allgemeine Tiroler Anzeiger am 24. April 1908 auf vollen zwei Seiten ausführlichst und wohlwollend über seine Rede.

Kolb sang zu Beginn ein Loblied auf „das Juwel des Inntales, die Metropole von Tirol„, in der er einige Jahre gewirkt hatte und „an die mich die teuersten Erinnerungen meines Lebens bin­den werden für immer„. Was Innsbruck von anderen Orten unterschied. „Ich habe die ganze Monarchie durchwandert, von Süden und Norden, habe Missionen gehalten in den verrufensten Städten, in Graz, Teplitz, Eger, Linz und vielen anderen„.

Der Pater zeichnet mit flammenden Worten ein Bedrohungsszenario von der Verfolgung und Ausrottung des Katholizismus im eigenen Land. Inklusive einer gehörigen Portion Rassismus, Antisemitismus und einer Breitseite gegen die Liberalen. Einige Zitate:

Was wird aus der Menschheit, was aus Staat und Familie ohne den Glauben an einen Gott? Schauen wir nach Afrika zu den Menschenfres­sern! Wir schicken unsere Missionäre hinüber nach Zentralafrika, um die Menschenfresser für das Christentum zu gewinnen. Wir wissen, daß ein Christ keinen Nebenmenschen auffrißt und dazu sind dann wir gut, die Leute zu kultivieren, da­mit dann die Kaufleute ungestört handeln, weil auch sie wissen, daß wir keinen Menschen fressen. Zuhause aber, im Reiche, da soll auf einmal die Religion nicht mehr gut genug sein, dort setzt man sichs zum Ziele, sie auszurotten. Glauben Sie mir, dann aber wird Österreich das gleiche Innerafrika.

Die Judenpresse hat nur eine Tendenz, und diese Tendenz ist die: die Christenheit muß ausgerottet werden! Täuschen wir uns nicht darüber hinweg! Dieser Stamm ist christenfeindlich durch und durch; […] Wir Katholiken haben geschlafen, und unterdes hat sich das Natterngezücht ausgebreitet über ganz Österreich. Und diese Presse ist vorgegangen nach dem Grundsatze: Weß Brot ich esse, des Lied ich singe, und dieses Lied klingt: Die Christenheit muß religiös, moralisch und wirtschaftlich zu­grunde gerichtet werden.

Auf lokaler Ebene widmete sich Kolb ganz besonders „einem Blatt, das ich mir gemerkt habe von der Studentenzeit. Damals war es noch klein und hat erzählt über umgefallene Heu­wägen und Gespenstergeschichten von Amras. Es hat sich in alle Häuser eingeschlichen und ist von der Innsbrucker Bevölkerung großgefüttert worden und jetzt hat es sich ausgewachsen zu einer leibhaftigen Straßendirne von Innsbruck. (Beifall.) Diese Dirne heißt „Innsbrucker Nachrichten“. Ohne Scheu und Scham, frech wie die Dirne, geht sie seit einiger Zeit durch die Straßen und schreit ihre Kuppelweisen aus.“ Zur Belustigung des Publikum zitierte Kolb dann „eine ganze Reihe von Unsittlichkeits- und Kuppelinseraten“ aus den Annoncenseiten, die der Anzeiger seinen Lesenden jedoch nicht mehr zumuten wollte.

Kolbs Auftrag an sein Publikum war ein ganz klarer: „Hinaus mit der Dirne! […] Wer von Ihnen mit diesem Übel behaftet ist, der ist sich und seiner Ehre schuldig, diese Zeitung mor­gen zurückzuschicken auf Nimmerwiedersehen! […] Katholische Völker, erwacht. Ihr seid noch da, gebt nicht mehr euer Geld den glaubentötenden, sittenmordenden und ausbeuterischen Raubtieren; die Fütterung dieser dürft ihr nicht bezahlen, damit sie etwa nicht euch oder eure Brüder fressen. Da gibt es keine Ausrede, nie­mand darf Räuber und Gotteslästerer bezahlen. Glaube nicht, daß die schlechte Zeitung dir nicht schadet! […] Wir dürfen der Innsbrucker Dirne kein Geld mehr geben. Keine Ausrede, wie, es nützt doch nichts u. dgl. Der Piusverein will keine solchen Männer: wir brauchen Soldaten, dann wird der Sieg unser sein. (Bravorufe.)“

Der Geifer hatte – leider – Erfolg: „Nachdem Hochw. P. Kolb seine großartige Rede beendet und der gewaltige, minuten­lang andauernde Beifall verrauscht war, dankte der Vorsitzende dem Redner und ließ eine Pause eintreten, während welcher eine große Anzahl neuer Piusvereinsmitglieder ausgenommen wurde. Einige Hundert Kronen wurden gleich als Beiträge eingezahlt.“

Abschließend sei noch angemerkt, dass natürlich weder die katholische Kirche noch der Piusverein ein Monopol auf Rassismus und Antisemitismus hatten und auch nicht auf verbale Attacken im allgemeinen; auch viele andere weltanschauliche Gruppierungen teilten kräftig gegen ihre Gegner aus.

(Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Slg. Günter Sommer Bd. 27, Nr. 270)

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