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Public Listening 1933

Public Listening 1933

Vielleicht haben Sie sich ja schon so wie der Autor dieser Zeilen entschieden, kein einziges der Fußball-WM-Spiele in den kommenden Wochen in einem Gastgarten zu verfolgen. Es gibt viele gute Gründe: Corona, dass die Österreicher nicht dabei sind, dass Katar ein problematisches Gastgeberland ist… oder einfach weil auf der Nordhalbkugel gerade Winter ist. Die einzig brauchbare Alternative ist das indoor-public-viewing, diesmal aus oben genannten Gründen frühestens ab dem Viertelfinale diskutabel.

Auf unserem Titelfoto versammelte sich eine Gruppe Pradler SA-Männer mit Hakenkreuzbinden, um am 5. März 1933 der Durchsage der Wahlergebnisse in Deutschland zu lauschen, und dies eher nicht bei einem Wein im Café Alt-Wien . Aufregende Zeiten. Am Tag davor, dem 4. März 1933, hatte sich das österreichische Parlament durch den Rücktritt der drei Präsidenten selbst handlungsunfähig gemacht. Noch ein paar Wochen würde es in Innsbruck wie in ganz Österreich erlaubt sein, so adjustiert durch die Stadt zu gehen, schon am 24. Juni des selben Jahres sollte die NSDAP erstmals für fast 5 Jahre verboten werden.
Die Person, die das genaue Datum der Aufnahme auf die Fotografie geschrieben hat, hat wohl auch ein blaues Kreuz unter einem der Männer gemacht. Am Bildrand fragt der Werbespruch „Deutscher Pradler, warum fehlst Du da noch?“, und bald wird sich der abgebildete Sturm aufmachen, um in der Kundler Bierhalle den Abend beim public listening zu beschließen und sich dann im nationalen Taumel einen hinter die braune Binde zu gießen.

Dieser Beitrag hat 15 Kommentare
  1. Auch hier in dieser Bildunterschrift (abseits vom historischen Hintergrund) taucht wieder das eigenartige Phänomen auf, daß die Viaduktbögen stärker als S t a d t t e i l g r e n z e wahrgenommen werden als die Sill!
    Wie bin ich doch mit einem Abgesandten (und Kundenzufriedenheitsforscher) eines heimischen Tagblattes – der Aussprache nach stammte er allerdings aus Kärnten) übers Kreuz geraten…! Denn als er mich fragte, wie ich mit seiner Zeitung zufrieden sei, bat ich ihn, er möge doch der Redaktion mitteilen, daß die Jahnstraße n i c h t in PRADL sei, sondern , bitte!, in D R E I H E I L I G E N !
    „Naaa!“, sagte er, „weil dee is in Pradl! Mir hammer nemmlich a Landkoartn auf dar Wand hängen – und da san olle Ziuastellbezirke eintragen – und die Jahnstraßn gheart zum Ziustellbezirk Pradl und liegt darum in Pradl…!
    Aber was die begeisterten Butrschen am Foto anbelangt….“Mein Kampf“ hat sicher keiner von denen gelesen….

    1. Ob man damals mit einer Landkarte viel anfangen konnte, wenn man offensichtlich einen Stadtplan gebraucht hätte? 🙂 Vielleicht war aber das Konzept einer urbanen Verortungshilfe in Kärnten einfach unbekannt.

      Als in Dreiheiligen in der Jahnstraße Aufgewachsener weiß ich ganz sicher, dass zumindest in den 1980-ern und 1990-ern niemals irgendjemand davon gesprochen hätte, dass wir uns in Pradl befänden. Dreiheiligen war niemals Pradl. Pradl begann hinter der Soll. Allenfalls wurde von den Alten manchmal noch von einer ominösen „Kohlstatt“ gesprochen, die sich aber auch bloß auf das Gebiet südseitig direkt entlang des Bahnviadukts bis hinunter zum Schlachthofviertel erstreckt hätte (wie ich annehme entlang des Sillkanals, wo sich zu noch viel früheren Zeiten die Kleinindustrie angesiedelt hatte). Die Sill war in der Bewohner:innenwahrnehmung die Grenze zu Pradl, der „Viadukt“ jene zur Innenstadt. So einfach war das. Ob das den Katastralgemeindegrenzen entsprach, weiß ich bis heute nicht.

      Zum Foto selbst: historisch interessant, OK, mag sein. Mir wird trotzdem übel, wenn ich das sehe und die Bildbeschriftung und die Schilder am Gebäude im Hintergrund lese. Es muss uns erneut daran erinnern, dass wir so etwas künftig bitte ganz konsequent bereits im Keim ersticken.

        1. Die Stadt Innsbruck kann man je nach Anforderung in
          1. Katastralgemeinden,
          2. (statistischen bzw. umgangssprachlichen Stadtteilen) und
          3. In Pfarreien
          eingeteilt sehen.
          Die Grenzen sind nicht immer die selben. Z. B. gibt es keine Katastralgemeinde Dreiheiligen aber außer der Katastralgemeinde Innsbruck noch 8 weitere in der Stadtgemeinde Innsbruck. Es befindet sich der Stadtteil Reichenau in der Katastralgemeinde Pradl und Teile von Neu Arzl in Mühlau, hingegen ist Pradl wiederum ist in mehrere Pfarreien geteilt. Man könnte das alles strukturiert aufzählen und darstellen, aber so macht’s mehr Spaß.
          Dreiheiligen jedoch war nie in Pradl, nicht mal kirchlich, höchstens bei der Post.

          1. … aber Pradl in Dreiheiligen – zumindest schulmäßig. Ich kam im Schuljahr 1942 / 43 in die erste Klasse der Knabenvolksschule Pradl am Pradlerplatz. Im Sommer 1943 hieß es, Teile der Pradlerschule werden für andere Zwecke gebraucht und man schickte uns in die zweite Klasse nach Dreiheiligen.
            Mit der Bombardierung der Pradlerschule vor Weihnachten 1943 kam dann das endgültige Aus für die Pradler Volksschüler! Aber ein Großteil flüchtete damals eh aufs Land, die Daheimgebliebenen, wie ich zum Beispiel, durften (nach einem Gastspiel in Vorarlberg) im Rumpfschuljahr 1944 /45 täglich von Altpradl zu Fuß nach Amras marschieren!

      1. Anzumerken dazu ist, dass die Grenze Pradls gegenüber der Stadt zumindest im Dreiheiligenbereich dem Lauf der Sill entspricht, wobei die Sillverlegung 1840 (??) im Bereich des Rhomberggeländes berücksichtigt wurde („Diebstahl der Innsbrucker“), nicht aber die Sillverlegung 1910 im Bereich des Frachtenbahnhofes!
        Auch ein Pradler hat nie davon gesprochen, dass Dreiheiligen zu Pradl gehört, aber für einen alten Pradler begann die Stadt erst hinter den Viaduktbögen.

  2. …….wobei – für einen Onomastiker! – die „deutschen“ Namen der abgebildeten Männer möglicherweise manchen Grund zum Schmunzeln geben würden. Aber wer macht sich schon die Mühe, alle Namen hinten am Foto zu vermerken?!

    Aber vergessen wir nicht – die grauenvolle Arbeitslosenzeit Mitte der 30-er Jahre. Es waren wirkliche Hungerjahre für einen Teil der Bevölkerung…. Und so griff man wohl zu jedem Strohhalm, von dem man sich Rettung versprach.

  3. Und – vielleicht darf ich noch das erzählen:
    Bei der Post gab es den einen oder anderen, der „Glück“ gehabt hatte – er hatte bis Kriegsende als U-Boot überlebt…
    Wen wundert es, daß dieser Kollege scheu und mißtrauisch geblieben ist?
    Und es gab auch einen anderen der (wegen „Personalnot“ Ende der 50-er, Anfang der 60-er Jahre „wiedereingestellt“ worden ist.
    Damals tauchten zum erstenmal dunkelhaarige junge Männer aus Nordafrika oder dem Vorderen Orient im Innsbrucker Straßenbild auf.
    Der wiedereingestellte Kollege fragte sich, „was insere Madln an dee lei findn? Schaugen Sie sie an! Dee schaugen decht alle aus wia Affen!
    A schianer deitscher Bursch mit blonde Haar isch decht ganz was anders…!!!
    Gut – über „Geschmack“ kann man streiten, – und die Kulturunterschiede soll man nicht außer Acht lassen.
    Aber das Wort „deutsch“ – in diesem Zusammenhang und in Innschbrugg – das hat mir schon die Ganslhaut über den Buckel gejagt.
    „Ist das ein Gendefekt im Hirn?“ habe ich mich gefragt.

  4. Kaum, Herr Unterholzner, kaum.
    Und jetzt muß ich ganz dumm fragen: Wieviel von diesem ganzen Fassadenschmuck gibt es berhaupt noch an diesem Haus Museumstraße 37? Die zwei „Faßlreiter“-Engel sind mir, wie manches andere Detail, völlig neu…
    Wann wurde dieses Haus überhaupt erbaut? 20-er Jahre? In der Ö Kunsttopographie Ibk – Profanbauten hört die Museumstraße mit Nr. 31 auf….
    Übhrigens: „Bierversilberer“ ist schon ein schönes altes Wort! (Der Stifter des Klosters Reisach bei Oberaudorf war doch auch ein solcher!)

  5. Frage: W a n n ist eigentlich dieses Haus Museumstraße 37 erbaut worden
    (In der Österr. Kunsttopographie hört die Museumstraße mit der Nr. 31 auf…)Und an einen derartigen Fassadenschmuck mitt einem stilisierten Adler und fasslrutschenden Nackerpatzl-Engeln kann ich mich nicht erinnern.
    War das am Ende nur aiufmontiertes und angestrichenes Blech, das im Krieg heruntergefallen ist?)

  6. Ich weiß nur, dass in der Kundler Bierhalle der Lehrsaal der Tanzschule Max und Paula Plasser war. Aber wann bis wann weiß ich leider nicht.

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