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Die Welt Von Gestern

Die Welt von Gestern

Kaum wiederzuerkennen ist der Marktgraben auf diesem Bild aus einer Welt von Gestern, kurz vor dem Ersten Weltkrieg. So viel hat sich hier verändert. Den wohl größten Unterschied zu heute machen die nicht mehr existenten Vorbauten und Boutiquen aus, die für eine gewisse Ostverschiebung der Straße sorgen und die Proportionen der Straße verändern. Diese Vorbauten beherbergten heute längst verschwundene Geschäfte und Dienstleistungen. Besonders gefällt mir dabei der große Fisch, der gewissermaßen über dem Trottoir schwimmt und wohl auf den Fisch- und Wildbrethändler Zack verweist. Prominent im Bild ist auch das Schild des Geschäfts von Julius Bauer, das im Adressbuch unter der schönen, aber heute nicht mehr gebräuchlichen Berufsbezeichnung Pfaidler (Hemdenmacher – für die, die das Hemd im Dialekt benennen, ist die Bedeutung eh offensichtlich) zu finden ist.

Das Ursulinenkloster besaß damals noch seine ursprüngliche Funktion und der fehlende Durchgang und die noch nicht durchgebrochenen Schaufenstern verdeutlichen, dass hier nur hinein- oder eher hinausdurfte, wer dazu berechtigt war. Der beeindruckende Garten des Klosters, der auf Luftaufnahmen zu erkennen ist, bleibt somit fremden Blicken verschlossen.

Der Straßenkehrer muss noch nicht fürchten von einem der heute hier zahlreich verkehrenden Bussen überfahren zu werden und kann in Ruhe seinen Dienst versehen. Auch die Handwagen und Karren unterschiedlichster Art, die auf Bilder aus dieser Zeit nie fehlen, sind hier zu sehen. Die Expert*innen zum Innsbrucker Nahverkehr können uns bestimmt auch etwas zur dort verkehrenden Linie erzählen. Oder?

(Stadtarchiv/Stadtmuseum Ph-25996)

Dieser Beitrag hat 7 Kommentare
  1. Zur Straßenbahn fällt mir als Laie auf, dass man in der Fenstermitte keinen Fahrer sieht und wir den Wagen in dem Fall wohl von hinten sehen. War damals nicht noch Linksverkehr und die Bahn auf der falschen Seite unterwegs? Fragen über Fragen.
    Von der rechten Seite schickt sich eine kleine Gruppe an, die Straße im Gleichschritt zu überqueren. Man sieht nur 2 Personen obwohl es den Beinen nach eigentlich 3 sein sollten. Wie häufig doch heute die Geschäfte wechseln und man sich dabei ertappt angestrengt nachdenken zu müssen, was denn da vorher ‚drin‘ war. Nicht selten bleibt alle Anstrengung vergeblich. Umso erfrischender ist es zu sehen, dass der ´PIPAL‘ heute noch an der selben Stelle existiert. Umgekehrt könnte man auch bemerken, dass es ihn damals schon gab. Sagt es was über den Mensch aus wie er es sieht ? Ich bin kein Psychologe und beende hier lieber meine Eindrücke vom schönen Wimmelbild.

  2. Die Strassenbahn verläuft noch eingleisig. Datierung auf jeden Fall nach 1909 wegen der bereits erfolgten Elektrifizierung, stimmt nach 1911 weil es vorher das Liniensignal (in dem Fall „2“) noch nicht gegeben hat? Wohl auch wieder vor ca. 1915, das Bild wirkt irgendwie wie zu Monarchie Zeiten aufgenommen, später im Krieg hat man wohl weniger derartige Fotos gemacht.

  3. Sehr gutes Motiv!
    Das Vorhandensein der Linie 2 (die den Westbahnhof ausgehend von der Endstation Fischergasse via Maria-Theresien-Straße, Innbrücke und durch den östlichen Saggen mit Mühlau verband und mit der heutigen Linie 2 nichts zu tun hat) lässt eine Grobdatierung auf 1910-1920 oder Frühjahr 1926 zu, wobei nicht ganz auszuschließen ist, dass diese Linie auch später noch mal kurzzeitig existiert haben könnte, bis die Gleisstrecke Marktgraben – Innbrücke – Herrengasse – Saggen – Hungerburgbahn 1939 aufgelassen wurde.
    Während der meisten Zeit ihrer Existenz verkehrte die Linie 2 abgestimmt mit der Linie 4 und fuhr deren Zügen in kurzem Abstand nach. Das war ein Dauerprovisorium und hatte den Grund, dass weite Streckenteile noch eingleisig waren und es nicht genügend Ausweichen gab für einen unabhängigen Verkehr der Linien 2 und 4.

    Hier dürfte also gerade ein 4er-Zug ums Eck gebogen sein, vielleicht hat er schon die Maria-Theresien-Straße erreicht, das werden wir niemals erfahren. 🙂 Die Fahrtrichtung des Tramwagens lässt sich aus der Neigung des Lyra-Stromabnehmers ablesen, der immer gegen die Fahrtrichtung gekippt an der Fahrleitung anlag. Demnach fährt die Tram Richtung Zentrum.
    Das Bild ist mit ziemlich großer Sicherheit zu Zeiten des Linksfahrgebotes entstanden, die Tram fährt auf dem Foto auf der „falschen“ Seite. Schienenfahrzeuge sind eben keine Busse und haben Sonderrechte; Gleiskörper in Straßenrandlage sind unabhängig vom Links- oder Rechtsfahrgebot, auch heute noch. Es gibt sowohl in Österreich (Gmunden) als auch in der Schweiz Streckenabschnitte von Straßenbahnen und Eisenbahnen, wo diese auf der „falschen“ Seite oder in Straßenmitte verkehren. Auch in Innsbruck haben wir auf der Linie 6 in der Klostergasse noch ein kurzes solches Streckenstück in Randlage.

  4. Was für ein passender Titel für diese schöne Aufnahme! Mit den Namen der in den Vorbauten angesiedelten Geschäfte geht es mir ähnlich wie Herrn Pechlaner. Auf die Schnelle fallen mir dazu nur das Bettwarengeschäft der Notburga Tyrler und das Schuhgeschäft Dialer ein. Das Korbwarengeschäft Mitterhofer kannte ich an dieser Stelle nicht, wohl aber den Laden in der Maria-Theresienstraße (Servitenkloster) mit der beeindruckend großen, wunderschönen eisernen Kassa auf dem Tresen.

    Es muss wirklich an geeigneteren Möglichkeiten gefehlt haben, wie sonst käme man auf die Idee, die frisch gewaschene Wäsche über einer Fischhandlung aufzuhängen. Auf dem Dach einer Metallwarenhandlung (Franz Schweiggl) hätte man eigentlich auch eine Aufhängevorrichtung erwarten können. In Ermangelung einer solchen wurde hier die Wäsche kurzerhand in der Wohnung getrocknet.

    Am Eingang zur Seilergasse befand sich bis 1779 das Picken-/Frauentor. Das Bild an der Fassade des Hauses Marktgraben 3 (Rainerhaus) sollte daran erinnern. Es wurde um 1900 vom Innsbrucker Verschönerungsverein in Auftrag gegeben und befindet sich heute im Stadtarchiv. Aus: https://amtsblatt.stadtarchiv-innsbruck.at/bild.php?id=5959

    In Tirol fuhr man bis 1915 rechts, von 1915 bis 1930 links, ab April 1930 wieder rechts.

  5. Herzlichen Dank Frau Stolz für diesen Input. Die Sache mit der ‚richtigen‘ Straßenseite animierte mich zu weiterer Recherche.
    Vorab darf ich ergänzen dass man bei uns vor 1805 (meist) links fuhr und dann von 1805 bis 1915 rechts
    und das kam so:
    Wie Sie bereits andeuten galten ja nicht überall die gleichen Regeln. Vor der napoleonischen Besatzung fuhr man demnach zwar unheitlich, vorzugsweise aber auf der linken Seite. So auch bei uns und über’m Brenner. Genauer gesagt fuhr man eher in der Mitte und stellte bei Bedarf nach links aus. Man fuhr ja noch auf Sicht und hatte mit dem Gespann zusätzliche Augen, also quasi Abstands- und Spur Assistenten, wenn auch nicht immer Zuverlässige.
    Vermutlich 1805 traf die französische Umstellung auch uns in Tirol.
    Auch wen’s Fuhrleut, Rösser und Ochsen nicht verstanden, mussten sie nun plötzlich nach rechts, immerhin nun alle einheitlich. Im Gegensatz zu unseren Nachbarn, stellte Österreich gleich nach 1815 bereits wieder auf Linksverkehr zurück, allerdings mit Ausnahme von Tirol und Vlbg. Mit dieser Ausnahme war es dann 100 Jahre später, nämlich 1915 wieder vorbei und nun musste man in ganz Österreich wieder links fahren. Auslöser war wohl der aufkommende Autoverkehr, den es zu vereinheitlichen galt. Ironischer Weise blieben die angrenzenden Nachbarn – wegen deren Transitverkehr man ja praktischerweise auf rechts blieb – weiterhin beim Rechtsverkehr. Nun ja 1930 wars dann ohnehin vorbei und wir in Tirol und Vlbg fuhren wieder rechts. Die anderen Bundesländer folgten sukzessive bis 1938.

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