Die Geheimnisse der Anderen
In den letzten Monaten habe ich mich ziemlich intensiv mit dem Ordnen des Nachlasses der Familie Douschan beschäftigt. Der Nachlass wurde vom Stadtarchiv im Herbst 2023 angekauft und kam in mehreren Bananenkisten in teils recht großer Unordnung zu uns. Nach einer ersten Grobsortierung ging es schließlich darum, die unterschiedlichen Sorten von Dokumenten, Objekten und Fotos in eine sinnvolle Ordnung zu bringen und zu verzeichnen bzw. manches auch auszusondern. Mittlerweile ist alles erfasst und in Archivschachteln verpackt: die Geschichte einer Familie in 15 Kartons gewissermaßen.
Bei der Ordnung des Nachlasses tauchte ich natürlich tief ein in die Geschichte einer mir bis dahin vollkommen fremden Familie. Geht es zunächst darum die verwandtschaftlichen Verhältnisse zu klären, die einzelnen Familienmitglieder ‚kennenzulernen‘ und deren Verhältnis zueinander zu ergründen, dringt man allmählich immer tiefer in die Familiengeschichte ein. Man betrachtet unzählige Fotos, liest Briefe, Notizen und Aufzeichnungen und vor dem inneren Auge entfaltet sich ein Panorama einer Innsbrucker Familie im 20. Jahrhundert. Die Faszination, die einem bei diesem Eintauchen in eine fremde Zeit und in das Denken und Fühlen von unbekannten Menschen packt, hat unlängst Arno Geiger viel besser beschrieben als ich es je könnte. Ich musste dafür, anders als Arno Geiger, allerdings nicht in Mülltonnen steigen.
Auch wenn einem die Menschen zunächst vollkommen unbekannt waren, entwickelt man so etwas wie eine Beziehung zu diesen, blickt man doch hinter die Fassade der Familie und weiß am Ende vielleicht sogar Dinge, die einzelne Familienmitglieder selbst voneinander nicht wussten. So setzen sich die verschiedenen Schicksale und Geschichten auch im eigenen Leben irgendwie fest und verfolgen einen, man entwickelt Zu- oder Abneigung zu einzelnen Personen, staunt oft mit Unverständnis über Begebenheiten und Entscheidungen und weiß doch, dass man die Menschen hinter den vielen Fotos, unzähligen Briefen und sonstigen persönlichen Aufzeichnungen und Dokumenten nie ganz fassen wird können.
Ohne allzu tief in persönliche Dinge einzusteigen, werde ich in den kommenden Beiträgen einige Funde aus dem Nachlass der Familie Douschan hier präsentieren. Ein unscheinbares, für mich aber umso schöneres Stück habe ich neulich schon hier gezeigt.
Heute geht es stattdessen auf eine kleine Bilderreise mit dem ersten eigenen Auto der Familie Douschan. Fast schon idealtypisch ging es dabei mit dem VW Käfer im Herbst 1956 nach Italien. Bei der Hinfahrt nahmen Luise und Joseph Douschan sowie ein befreundetes Paar nicht, wie man vielleicht erwarten könnte die Strada statale 12 dell’Abetone e del Brennero, sondern die Route über den Passo Cisa, wie im Titelbild zu sehen ist. Prominent im Bild: der VW Käfer, den Familie erst in diesem Jahr erstanden hatte. Auf der Reise übernachtete die Familie Douschan mehrfach im Zelt, wovon mehrere Fotos zeugen, auch hier darf das Auto im Bild natürlich nicht fehlen.
Das primäre Ziel der Reise war Rom, wo man auf dem Petersplatz vorfuhr und direkt vor dem Eingang der Basilika das Auto abstellte, um erst einmal die Sehenswürdigkeiten des Vatikans zu erkunden. Heute absolut unvorstellbar, damals offenbar noch möglich – zumindest lassen sich auch andere Autos erkennen.
Natürlich sah sich die kleine Gruppe auch noch andere Sehenswürdigkeiten der Stadt an, etwa das Kolosseum. Auch hier war der Käfer mit von der Partie und stilsicher vor dem antiken Amphitheater geparkt und im Bild inszeniert.
Wenngleich es zahlreiche Bilder gibt, auf denen der Käfer nicht abgebildet ist, so ist das Auto vor Sehenswürdigkeiten ein wiederkehrendes Motiv. Die Vertreter von VW hätten es jedenfalls nicht besser machen können, um die Vorstellungen von Freiheit in den schweren Jahren nach dem Krieg vermitteln zu können. Auf der Rückreise machte die Reisegruppe noch einen Abstecher in Florenz und Siena (im Bild). Der Käfer ist zwar hier nicht so prominent platziert, aber doch im Bild.
Das Auto begleitete die Familie in den folgenden Jahren, oder vielmehr muss man sagen Jahrzehnten, in den Urlaub und im Alltag. Der Käfer ist dann in Bildern zwar immer wieder auszumachen, aber so auffällig wie auf seiner ersten große Reise, ist er nicht mehr abgebildet. Er wurde wohl langsam selbstverständlich. Es gibt allerdings noch ein Bild aus dem Jahr 1981, das mit „Abschied vom VW“ beschriftet ist. Ob es sich dabei um denselben Käfer handelt, konnte ich nicht eruieren, wenn ja, dann wäre er stolze 25 Jahre in Betrieb gewesen. So wie Joseph Douschan seinen Käfer ’streichelt‘, hatte er aber offenbar eine enge Beziehung zu dem Wagen, wie so oft bei der ersten Liebe.
(Stadtarchiv/Stadtmuseum Nachlass Familie Douschan, Fotos, Karton 6)
Der Originalkäfer hatte das ovale Fenster, während der gestreichelte schon ein rechteckiges aufzuweisen scheint. Endgültiges KO-Kriterium: Die moderne Kopfstütze. Oder war das eine der um Zubehörhandel erhältliche aufsteckbare?
Der gestreichelte „Abschied-vom-VW“-Käfer ist definitiv ein späteres Exemplar, erkennbar auch an den etwas größeren (Windschutz- und Seiten-)Scheiben der späteren Modelljahre, anderer Außenrückspiegel, fehlende Chromleiste, und ja, großes Heckfenster und Kopfstütze.
Ist die als Streicheln interpretierbare typische Handbewegung am End‘ gar eine elegante Tür-Schließ-Bewegung, wofür traditionell gerne der Scheibenrahmen herhalten musste?
Danke für die rasche Aufklärung, wenn man weiß worauf man achten muss, dann fällt es einem natürlich wie Schuppen von den Augen – aber da merkt man wieder einmal, dass Autos nicht mein Metier sind.