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Bader Strikes Huter

Bader strikes Huter

Die fröhliche Arbeiterschar (Arbeiterinnen waren damals wie heute auf Baustellen unüblich), die im November 1898 die Firstfeier der Staatsbahn-Direktion bejubelte, ruft ihren Bauherren, Planern und Baumeistern ein donnerndes und kräftiges Hoch zu – zumindest auf den professionell gestalteten und prominent ins Bild gerückten Schildern. Über dieses Gebäude gibt es auf unserer Seite hier und hier schon zwei Artikel mit Informationen. Daher erzählen wir heute eine andere Geschichte aus dem Jahr der Fertigstellung.

Der Strike der Bauarbeiter: Vorwort

Im Mai 1898 lag Innsbruck im Taumel der Großstadtwerdung. Die Häuser- und Einwohnerzahl in Wilten allein verdoppelte sich im zwei-Jahres-Rhythmus und die großen Planer, Player und Profiteure der urbanen Erschließung der ehemaligen Prämonstratenser-Felder waren die großteils heute noch aktiven Baufirmen Huter, Mayr, Retter und Lubomirsky. In solchen Phasen der überhitzten Geschäftigkeit übersieht der Turbokapitalismus gelegentlich, wer im Baustellenalltag die Ziegel brennt und übereinander schichtet, den Sand herankarrt und hinaufzieht, die Dachstühle zimmert, die Dachrinnen lötet, die Glasscheiben schneidet und kittet, die Wasser-, Kanal- und Heizungsrohre installiert, die Böden legt und die Fliesen klebt: Es sind die gelernten und ungelernten Arbeiter, ohne die Baustellen mit 200 und mehr Beschäftigten nicht zu denken wären. So lange in Zeiten der dicken Gewinne ein gewisser Ausgleich der Interessen zwischen Arbeit und Kapital gesucht wird und erreicht werden kann, rennt das Werkl, geschmiert von den Kompromissen beider Seiten. Ignoriert der Unternehmer diese nicht erst seit Marx und Engels bekannte einfache Rechnung, kommt es zunächst zu Unzufriedenheit, dann zur Selbstorganisation der Unterdrückten und dann gelegentlich zum worst case aus Sicht der Industrie: Strike!

Im Mai 1898 reicht es

den vielen tausend Bauarbeitern wieder einmal und sie stellen eine überschaubare Liste an Forderungen zusammen. Sie haben Vorbilder in Südtirol: Dort haben 1600 Bauarbeiter im Jahr davor in Meran 14 Tage die Arbeit niedergelgt, die dortigen 63 Tischlergehilfen volle 76 Tage, die 60 Tapezierergelifen ebenso, in Lienz die Wasserbauarbeiter einen Tag, dazu die Werkstättenstreiks … die lange Liste wird bei der Landeskonferenz der Gewerkschaften vorgestellt, die Streikkassen-Abrechnungen machen der bekannte Sozialdemokrat Hermann Flöckinger und ein gewisser Wilhelm Bader.

Hier die Forderungen in Innsbruck:

  1. Einführung der 10stündigen Arbeitszeit wie folgt: Von 19. März bis Kirchweih, Anfang 6 Uhr früh bis 12 Uhr, 1½ stündige Mittagspause, nachmittag von 1½ bis Uhr bis 6 Uhr abends, vormittags und nachmittags eine viertelstündige Pause.
    Einführung der 8stündigen Arbeitszeit in den Wintermonaten: Anfang 7 Uhr früh bis 12 Uhr, 1 ½ stündige Mittagspause. Nachmittags von 1 ½ Uhr bis 5 Uhr Abends. Vormittags eine halbstündige Frühstückspause.
  2. Einführung des Stunden- und Minimallohnes :
    a) der Minimallohn für Maurer und Zimmerleute mit 15 kr. per Stunde;
    d) für Handlanger 12 kr., Taglöhnerbuben 7 kr.;
    c) für Maurerlehrlinge im ersten Jahre 7 kr., im zweiten 9 kr. und im dritten Jahre 11 kr. per Stunde;
    d) für Zimmerlehrlinge 9, 11 und 13 kr. per Stunde (gegenüber den Maurerlehrlingen, wegen der ungleich größeren Werkzeugskosten höher).
  3. Lohnauszahlung jeden Samstag mittelst Lohnzettel.
  4. Abschaffung der Accord- und Ueberstunden-Arbeit. Bei dringend nothwendigen Ueberstunden sind die Löhne um 25 %, bei Nachtarbeiten um 50% zu erhöhen.
  5. Bei Landarbeiten erfolgt ein Lohnzuschlag von 50 %, in den im Genossenschaftsbezirke gelegenen Dörfern Mühlau und Ambras 30%. Dach und Feuerungsarbeiten sind ebenfalls mit einer Lohnerhöhung von 30% verbunden, Abortarbeiten mit 50% Zuschlag.
  6. Einführung Regelung der Kündigungsfrist und zwar: 8tägige Probezeit, nach Ablauf dieser 8tägige Kündigung.
  7. Strenge Aufrechthaltung des § 1 der jetzt bestehenden Arbeitsordnung.
  8. Anerkennung der Vertrauensmänner der Organisation.
  9. Freigabe des 1. Mai als Feiertag und Lohnauszahlung am vorhergehenden Tage.

Innerhalb von zwei Tagen stehen alle Baustellen der Stadt still, obwohl an manchen Stellen Militär und Polizei zu Hilfe gegen die Arbeiterschaft gerufen werden. Die Forderungen sind so realistisch, dass nicht einmal die Bauherren vehement widersprechen können. Natürlich sind sie beleidigt ob der Usurpation der rechtlosen (aber neuerdings nicht machtlosen) Belegschaft. Aber sie akzeptieren bei den Verhandlungen so viele der Anliegen, dass sie danach im eigenen Interessenspool in Erklärungsnot geraten. Die Innsbrucker Nachrichten stellen sich auf die Seite der Arbeiter, die Neuen Tiroler Stimmen bleiben wenig überraschend im Lager der Unternehmer. Am Ende dieses Artikel steht eine Reihe von Links zur Berichterstattung.

Wer war Wilhelm Bader?

Die Genossen fangen ab dem 23. Mai 1898 schon auf der Innbrücke die Kollegen beim Weg in die Arbeit ab und schicken sie zum Adambräu und anderen Wiltener Wirtshäusern, wo jeden Tag über tausend Arbeiter den Worten der Aufrührer lauschen. Streikbrecher gibt es wenige und die organisierte Arbeiterschaft weiß, was dagegen zu tun ist.

Wortführer des Bauarbeiter-Vereins ist der St. Nikolauser Maurer Wilhelm Bader. Gemeinsam mit dem Sprecher der italienischen Arbeiterschaft Karmann (der gelegentlich auch als Simultandolmetscher fungiert) legt er alle Baustellen der Stadt lahm. Vormittags wird versammelt und agitiert, nachmittags verhandelt man mit den pikierten Arbeitgebern.

Zur Biografie von Wilhelm Bader gibt es, man muss leider sagen wie zu allen anderen interessanten Persönlichkeiten der Tiroler Sozialdemokratie, so gut wie keine wissenschaftliche Forschung geschweige denn eine kurze Biografie. Bader wird jedenfalls bald das personifizierte Übel aus Sicht der Bauunternehmer und findet keine Arbeit mehr in seinem Metier. Bis 1925 ist er dann Angestellter mehrerer Krankenkassen, bei seinem frühen Tod werden ihm lange Nachrufe und viele Parten in der Volkszeitung gewidmet. Seine ruhmreichste Woche war vermutlich jene der letzten Maitage 1898.

Was früher, so etwa bis 2021, links zu Anno.onb.ac.at waren, sind jetzt, Mitte 2022, Links zur Diglib.uibk.ac.at: Für Freunde der selbstorganisierten Arbeiterschaft und vielleicht auch Bachelor-Student*innen auf Themensuche hier eine Serie von Artikeln:

23.Mai 189824.Mai 189825.Mai 189826.Mai 189826.Mai 1898 2 228.Mai 189831.Mai 1898

Nach Beendigung der Streiks bittet Baumeister und Genossenschaftspräsident Huter noch um eine Darstellung aus seiner Sicht. Diese wird ihm in den Innsbrucker Nachrichten auf zwei Seiten gewährt, worauf, ganz 19. Jahrhundert, auch das Strike-Comité noch einmal auf zwei Seiten antwortet. Die englische Bezeichnung „Strike“, die hier nicht ganz exklusiv aber meistens Verwendung findet, wird übrigens nach diesen Ereignissen in Innsbrucker Printmedien vom andernorts bereits viele Jahre eingedeutschten Wort „Streik“ abgelöst.

(Stadtarchiv Innsbruck – Familienarchiv Nemec Brunner)

Dieser Beitrag hat einen Kommentar
  1. Die Krankenkontrollorswitwe Johanna Bader geb. Stocker überlebte ihren Ehemann um 30 Jahre. Sie starb am 17. April 1955 im Alter von 83 Jahren.

    Vielleicht finden Sie ja in der Pension die Muße, dieses Forschungsdesiderat der Tiroler Sozialdemokratie mit einer Publikation oder Dissertation zu bearbeiten.

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