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8 Monate Anno 1902 (62)

8 Monate anno 1902 (62)

Nun taucht Marie also ein in die Welt von Versailles, das sie sichtlich beeindruckte und beschäftigte. Als aufmerksame Beobachterin hielt sie gleich die Innsbruck- bzw. Österreich-Bezüge fest und – das passt zu vorigen Bemerkungen – kommentiert wieder den französischen Patriotismus. Nachdem ich nie in Versailles war, kann ich leider keine eigenen Eindrücke mit jenen von Marie vergleichen. Aber vielleicht möchten Sie Ihre Erinnerungen und „Gefühle über den französischen Königssitz“ mit uns teilen?

So um 12h giengen wir in das Schloss u. begannen die Besichtigung desselben mit der schönen Kapelle. Vorher hatte uns zwar der Fiaker noch nach Trianon geführt, das wir auch von innen besichtigten; desgleichen die Remise mit den kaiserlichen Wagen. Retour gefahren begaben wir uns in das Schloss von Versailles. Wir durchgiengen die Säle mit den Bildern der Geschichte Frankreichs „depuis Clovis jusqu’à nos jours“, welche fast nicht mehr zu enden schienen; entsetzende Schlachtenbilder decken die Wände; alles ist im patriotischem Selbstgefühl dargestellt ein Bild fiel mir besonders auf: Marschall Ney giebt dem 76. Linienregiment seine in Arsenal zu „Inspruk“ gefundenen Fahnen zurück“. Also steht der Name Innsbruck gar in Versailles! – Wunderbar schön ist die Galerie de Bataille, welche erst neuern Ursprungs ist. Wir besuchten nun die Zimmer der französischen Könige, Louis XIV et Lous XV et XVI; die kleinen Zimmerchen der armen Marie Antoinette, deren Bibliothekzimmer als Handgriffe noch österreichische Doppeladler zeigen, dann die einfache Wohnung Napoléons II. Man kann sich gar keine Vorstellung machen von der Größe und edlen Pracht dieses Schlosses! Es würde viel zu weit führen, wenn ich Näheres darüber berichten wollte. Nachdem das Palais besichtigt war, giengen wir in den Garten; die goldne Abendsonne beleuchtete die regennassen Balustraden, die bunten Blumen, den eintönigen Rasenteppich! Das Herz wird mir so weit beim Anblick dieser Schönheit; man könnte die ganze Welt umarmen; ein Sonnenstrahl dringt ins Gemüt hinein! Ein Bassin reiht sich an das andere, dazwischen die idealen Bouquets, dann Porphyrbalustraden, breite Freitreppen, an derem unterem Ende sich die Orangerie ausdehnt, feine Rasenteppiche, hohe Bäume! Rings sieht das Auge nur Parkanlagen, deren hohe Baumspitzen in die schimmernden Wolken hineinragen! O hätten wir nur länger dort bleiben können! Doch es wurde Abend, wir mussten heimfahren. Wir kamen diesmal auf einen andern Weg u. zwar nach Suresnes, was unendlich malerisch am Ufer der Seine liegt. Leider kam ein plötzlicher Gussregen u. ein eisiger Wind; dessenungeachtet kamen wir glücklich wieder ins Hôtel du Louvre, u. konnten nun unsere Gefühle über den französischen Königssitz überdenken, es waren die des Staunens u. der Melancholie.

Text: Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Cod-2072-1 (Transkription: Katharina Schilling)

Bild: Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Slg. Günter Sommer Bd. 26, Nr. 244.

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Dieser Beitrag hat einen Kommentar
  1. Meine Erinnerungen an Versailles kann und will ich mit jenen der Marie nicht vergleichen. Als Aristokratin war sie freilich Royalistin wie man heute zu sagen pflegt. Ein Kind ihrer Zeit  schwelgt sie in melancholischer Erinnerung an eine längst untergegangenen Periode, die sie selbst ja gar nicht kennen gelernt hat. Irgendwie ist sie mir und vielleicht einigen anderen hier in unserem  Forum darin  nicht unähnlich, wie ich  jetzt erst bemerke.
    Sie bertrauert  die arme Königin Marie Antoinette, die ihrer Meinung nach nur deshalb sterben musste, da sie vom Volk nicht geliebt wurde. Irgendwie stimmt das ja auch, nur scheint bei Marie einzig  das Volk dafür verantwortlich zu sein.
    Im Maries Schilderungen erstaunt mich – vielleicht in naiver Weise – wie touristisch Versailles bereits 1902 vermarktet wurde, obwohl ich eine Erwähnung der berühmten Wasserspiele vermisse.
    Übrigens anbei der Link zum erwähnten Bild mit „Inspruk“ Bezug.

    https://www.zvab.com/Marschall-Ney-links-Bild-wiedergewonnenen-Fahnen/19162914198/bd#&gid=undefined&pid=1

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