8 Monate anno 1902 (12)
Aus den bisherigen Tagebucheinträgen ging bereits mehr als offensichtlich hervor, dass Religion in Marie Grass-Cornets Leben eine große Rolle spielte. Besonders deutlich zeigt sich das auch am Karfreitag, an dem sie nicht weniger als acht Kirchen und Kapellen besuchte (wenn ich richtig gezählt habe). Der Großteil davon in Hall; der Eintrag illustriert damit einmal mehr die enge Bindung Maries zur Heimatstadt ihrer Kindheit. (Das heute Titelbild zeigt dementsprechend ein Panorama aus dem Jahr 1907, also fünf Jahre nach dem hier beschriebenen Besuch. Freunde von Suchspielen können gerne sämtliche Kirch- und Kapellentürme zählen und benennen. :))
28.III.02 Hl. Charfreitag.
Wie alljährlich an diesem Tage wohnte ich um ½ 8 Uhr in der Hofkirche den heiligen Ceremonien bei. Es war sehr ergreifend u. der Altar, wo seit gestern das Sanctissimum aufbewahrt war, glich einem herrlichen Garten. Heute steht die Monstranz hoch oben in einem Wolkenkranz, verhüllt von einem goldgestickten Schleier!
Es goss auch heute in Strömen; dennoch unterließ ich meine jährliche Hallerfahrhrt [sic] nicht. Wirklich hörte es auf zu regnen und um 1 Uhr schritt ich zum Landhaus, um auf die Tram zu warten. Glücklich langte ich in Hall an und eilte zu den l. Großtanten, denen ich einen süßen Ostergruß brachte u. die ich, Gottlob, ganz frisch auf fand. Sie bewirteten mich mit Kaffee; leider verließ ich sie schon um 3 ¼ Uhr, da ich ja noch viel zu thun habe. Zuerst gieng ich von hier in die nahe Pfarrkirche u. empfahl mich und die Meinen dem Herrn und der lieben seligsten Jungfrau in d. Kapelle. Nun gieng ich zu Madeleine und hatte das Vergnügen, sie und ihre Schwester zu treffen. Doch auch hier blieb ich nur kurz, um noch vor der Mette dem Hw. Herrn Oberkaplan im Namen aller gute Feiertage zu wünschen.
Leider traf ich nur Louise, der ich für ihre Gratulation zu meinem Namenstag dankte u. alles entrichtete. Nun begann meine Kirchentour. Zuerst gieng ich in das so schöne, traute Salvatorkirchlein u. dann in die ebenfalls wohlbekannte Schulkirche. Über die einst so oft und oft betretene „lange Stiege“ gelangte ich wieder in die obere Stadt, wo ich zunächst die Jesuitenkirche besuchte. Ich fühle mich zu derselben immer so hingezogen! Ist’s Erinnerung an die Xaverius-Andacht od. an jene Nachmittage, wo ich im Vorbeigehen mit der lieben Großmutter fast täglich zukehrte, um ein „Salve“ Regina zur Mariahilf zu senden? – Von hier eilte ich direct nach Thurnfeld; bei der geöffneten Klosterpforte rief ich einer Windenschwester* zu, sie möge an Bonne Mère meine Osterwünsche entrichten. Dann verrichtete ich in der trauten Kirche ein kurzes Gebet zu dem, der schon so oft in diesen heiligen Hallen mein Flehen gnädig hörte, in der Kindheit Wonnetagen! – Den Weg zur Stadt wählte ich übers „Coreth-Kappellchen“; von hier ließ ich meine Blicke hinauf gleiten nach den Thürmen Innsbruck’s, dann empor zu den schneebedeckten Gebirgen! – Nun galt mein Besuch der Franciscanerkirche; wie alljährlich, zeigt selbe auch heuer den reichsten Blumenschmuck. Überhaupt mag der Eindruck des hellerleuchteten Presbyteriums, wo das heilige Grab ja ist, von der schwarz verhängten Kirche aus, der mächtigste in der Stadt sein! Nach einer kurzen aber herzlichen Andacht, verließ ich die Kirche u. stattete nun der guten Frau Mutter meinen Ostergruß-Besuch ab u. verweilte beiläufig ½ Stunde bei ihr, worauf ich zu Familie Bechtold wanderte u. dort die noch übrige Zeit bis zur 6 Uhr Tram verbrachte, zu welcher mich Martha begleitete. In meinem Waggon befanden sich u.a. Herr Bezirksrichter Jenewein von Hall mit seiner Tochter Wilma u. Anna Offer; ich hatte also eine ganz interessante Reisegesellschaft u. langte, Gott sei Dank, wohlbehalten um ¾ 7 Uhr zuhause an.
* „Für Teilaufgaben und wichtige Dienste bestellt die Äbtissin besondere Amtsschwestern, so z.B. die Windenschwester, die die Aufsicht über das Sprechgitter und die dort angebrachte Winde führt.“ (Quelle)
Text: Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Cod-2072-1 (Transkription: Katharina Schilling); Bild: Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Slg. Günter Sommer, Bd. 4, Nr. 103).
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Beim genannten Bezirksrichter Jenewein handelt es sich um Dr. Gottfried Jenewein, welcher ab 1901 Richter in Hall war. Später war er Richter in Steinach.