8 Monate anno 1902 (11)
Praktisch von Beginn ihres Tagebuchs an – genauer gesagt ab dem zweiten Teil dieser Serie – erwähnt die 19-jährige Marie ihre Privatstunden: Mandoline, Französisch – und nun auch Fotografie. (Interessanterweise malt und zeichnet sie zwar regelmäßig, allerdings ohne Hinweis auf eine fachkundige Unterweisung.) Wer waren Maries Lehrerinnen und Lehrer?
Ihre Französischlehrerin, Mme. Orieux konnte 1902 bereits auf 40 Jahre Erfahrung zurückblicken. Am 24. Mai 1862 annoncierte Caroline Orieux, damals Mitte 20, dass sie per Dekret der Statthalterei die Bewilligung erhalten habe, „in Innsbruck eine Mädchen-Schule für französischen Sprachunterricht zu eröffnen“. Diese sollte im sogenannten „Grasser’schen“ Haus (Neustadt 194) starten. Eine fixe Institution scheint dies nicht gewesen zu sein. Orieux war als Sprachlehrerin an der Lehrerinnenbildungsanstalt tätig und bewarb in (un)regelmäßigen Abständen ihre Konversationsstunden. Wohnhaft war sie im Eckhaus Maria-Theresien-Straße 32 (Zelgerhaus), das wir im Titelbild sehen. Damit war der Weg von Marie zu Mme. Orieux ein recht kurzer.
Am 5. März 1909 verstarb Fräulein Caroline Orieux im Alter von 71 Jahren als „bekannte, alte Dame, die in den Innsbrucker Familien Privatstunden in Französisch gab“. Die Todesnotiz wies sie als „gebürtige Französin“ aus. Orieux dürfte ohne Familie und Testament verstorben sein: ihr gesamter Nachlass wurde einen Monat später gerichtlich versteigert. Wie es sie nach Innsbruck verschlug, ist unbekannt. Aus der Todesanzeige für ihre am 31. Dezember 1882 verstorbene Mutter, ebenfalls Caroline Orieux, geht hervor, dass diese eine 66-Jährige „Schiffskapitänswitwe“ gewesen war. Laut Sterbebuch war sie aus Feldkirch gekommen und stammte aus Nantes, wo auch Caroline jr. geboren worden war.
Der Mandolinlehrer ist auch für Überraschungen gut. Ab 1896 loben Berichte über den „Innsbrucker Zitherclub“ die Mandolin-Darbietungen des Herrn Fabiani, ab 1900 übrigens Dr. Fabiani. Der Vorname wird dabei aber nie genannt. Um diese Zeit finden wir in den Zeitungen einen Arzt, Dr. Alfons(o) Fabiani aus Segonzano im Trentino, der 1905 zum Doktor der Gesamtheilkunde promovierte. Er war zunächst Gemeindearzt in Seefeld und ab 1909 in gleicher Funktion in seinem Heimatort Segonzano tätig. 1915 verstarb er im Alter von nur 39 Jahren an den Folgen seines Kriegsdienstes. Hätte ein Herr Doktor med. Privatstunden in Mandoline erteilt? Und hätte die so höfliche Marie ihn in ihrem Tagebuch nur als Herrn (ohne Doktor) bezeichnet? Die Antworten dürften wohl „Ja“ lauten.
Im Zitherclub war nämlich ab 1894 auch ein Fräulein Scarello aktiv. In einem Bericht vom 2. April 1898 heißt es: „Auch die Mandoline, die bei uns weniger bekannt ist, fand in Frl. Scarello und Herrn Fabiani ihre Meister, und das harmonische Zusammenspiel der beiden Künstler versetzte die Zuhörer einige Momente nach dem fernen Süden.“ Wie man der Todsanzeige von 1915 entnehmen kann, hinterließ Dr. Alfons Fabiani neben den drei Kindern Ida, Gretchen und Alfons seine Witwe Ottilie, geb. Scarello. Das kann wohl kein Zufall sein…
Zum unten erwähnten Optiker, sage ich jetzt aber nichts mehr. Vielleicht will jemand anderer detektivisch aktiv werden?
26. März, Mitwoch [sic]. Heute war das Wetter trüb; nach der ½ 11 Uhr Messe holte ich die liebe Tante Anna ab, worauf sie mir zum Optiker Preckel gieng, der mir den ersten Unterricht im Fotografieren ertheilte. Leider durchbrach während des ganzen Nachmittags kein einziger Sonnenstrahl die graue Wolkenschicht, daß ich eine Aufnahme im Zimmer hätte wagen können.
27.III.02. Grüner Donnerstag.
Um 6 Uhr wohnte ich in der Servitenkirche der Conventmesse bei; um 9 Uhr nahm ich die vom Dienstag verlegte leçon française. Nachmittags besuchte ich die Pfarr u. Servitenkirche. Alsdann bügelten wir die Pathenkleidchen u. packten sie ein; draußen regnete und schneite es wieder.
Text: Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Cod-2072-1 (Transkription: Katharina Schilling); Bild: Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Ph-6316).
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Ich würde meinen es handelt sich um die Ecke Anichstraße /Maria-Theresien-Straße (Mode Zelger)
Das war damal die Zeit der Hochblüte der Firma Foto Gratl. Später war nur noch das Geschäft neben der CA Bank in Betrieb.
Rechts im Hintergrund das Möbellager der Firma Möbel Brüll in der Anichstrasse.
Also, Frau Uschi hat richtig gedippt Ecke M. Theresien- Anichstrasse.
Ich beuge mich für diesen wunderbaren Sujet, Herr Bürgerschwentner.
Aber, ab der dritten Zeile gibt es das Wort „annoncierte“. Im französischen gibt es nicht, so ein Wort.
Sollte nicht besser der Wortlauf so sein?:
Am 24. Mai 1862 gab die damals etwa zwanzigjährige Caroline Orieux bekannt, dass sie per Dekret der Statthalterei die Genehmigung erhalten habe, „in Innsbruck eine Schule für Mädchen zum Unterrichten der französischen Sprache zu eröffnen“.
Und das ganze in französischer Sprache:
Le 24 mai 1862, Caroline Orieux, alors âgée d’une vingtaine d’années, „annonce“ avoir reçu l’autorisation par décret de la Lieutenance d’« ouvrir une école de filles pour enseigner la langue française à Innsbruck ».
Ein Mirakel: denn aus „annoncierte“ wurde „annonce“ ( das e wird nicht ausgesprochen) umschrieben. Das Wort: „annoncierte“ wurde als Habsburger-Französisch verwender. Warum nicht als ein „Jargon“ oder als eine „Mundart“.
– Annonce = Bekannt geben
Aber das wichtigste ist die Bekanntgabe das Leben von Herrn Fritz Gratl Senior ! 🙂
Lieber Herr Arnold! Danke für Ihren Kommentar. Sie mögen Recht haben, dass es das Verb im Französischen nicht gibt, im Deutschen als Lehnwort aber schon https://www.duden.de/rechtschreibung/annoncieren So wie man halt neudeutsch sein Handy checkt. 😉