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8 Monate Anno 1902 (36)

8 Monate anno 1902 (36)

So sehr ich die Berge liebe und Marie ihre Sommerfrische gönne – ehrlich gesagt freue ich mich schon darauf wenn die Familie ihren Aufenthalt in der Wetterburg und in Andlklaus abbricht oder zumindest unterbricht.

Unser Fokus als Stadtarchiv Innsbruck ist nun einmal das entsprechende Stadtgebiet, dementsprechend ist auch das Bildmaterial zum Voldertal etwas rar. Zumindst das digitalisierte und katalogisierte. Im Bestand der nur analog verwahrten Fotoalben schlummern sicher noch zahlreiche Schätze, die von Outdoor-Forscherinnen noch gehoben werden können.

Noch rarer als das Bildmaterial erscheinen mir nur die Ansatzpunkte im heutigen Beitrag, zu denen man nachrecherchieren könnte. Doch ein kleines Rätsel birgt er doch: Warum wachsen im Heiligen Land Tirol „Lutherstauden“? Und welche Pflanze verbirgt sich dahinter? Das große weite Web kennt nur einen Lutherbaum in Worms-Pfiffligheim sowie den aus den 1930er/40er-Jahrenden Begriff von „Luthers Apfelbäumchen“. Auch Anno brachte mir nur einen einzigen mickrigen Treffer: im Feuilleton der Bauernzeitung vom 17. April 1947 machen Reiser, Heidrich und Lutherstauden die Hochwiese zur Wildnis. Immerhin schließt sich damit der Kreis: im Heiligen Land Tirol kann ein nach Luther benanntes Gewächs natürlich nur ein Ärgernis sein…

26. Juli 1902, Fest der Hl. Anna,

Namenstag der liebsten Tante Anna. Vor 1/2 6h stand ich auf u. half dann Hrn. Muigg beim Verfertigen der Tannendekorationen. Um die Hausthür wurde eine Waldesguirlande genagelt; oberhalb derselben prangte in Rosen das Wort: Anna! Auch ein Pfeiler in der Veranda wurde mit Kränzen verziert. L. Onkel Nicolaus kam gegen 7h von der Jagd heim; nun wurde zum Kaffee gedeckt u. vordenselben brachten wir nochmals unsere Glückwünsche dar. Gegen 8h giengen l. Tante Anna, Onkel Nicolaus, Herr Muigg und ich in die „Fagweid’n“. Zuerst giengen wir nach Stallsins, dann bergauf, links schwenken. Hie und da fand ich eine Brunelle, dann wieder zöttige Schließfrüchtchen der Bergnelkenwurz, blühenden Quendel u. Einhaken. Wir überstiegen das Gitterchen; immer schmäler wurde der Steig, nur hie u. da fand man unter „Lutherstauden“ eine handbreit Weg. Endlich erschien der längstbeschriebene „Schrofen“. Nun, schwindlig war’s genug; ich möchte nicht hinabfallen, gieng aber doch, wenn es sein müsste, darüber. Wir setzten uns am Felsen selbst nieder u. betrachteten unsere Umgebung; ober und unter uns graues Schiefergestein, eine einzige, große, senkrechte Felsplatte, die in eine grüne Wiesenrinne abfällt. Zirbeln, kleine, verkrüppelte, drangen aus den Spalten hervor u. boten genehmen Anhaltspunkt. Unter uns quoll ein Büschel weißer Narzissen heraus; die hohen, lanzettförmigen Blätter hüllten die Blüten fast ein. Ich habe noch nie in solcher Höhe wild wachsende Narzissen gesehen u. konnte selbe nicht genug bewundern. Jenseits des großen Schrofens bauten sich noch andere Felskolissen (sic!) in die schimmernde Bläue hinauf, Felsen, an denen das blendende Edelweiß seine Heimaat hat; wir aber giengen nicht hinauf. Unter unsern Füßen ragten halbkreisförmige Felsen ins Thal; ganz nahe lag der versandete Schwarzbrunnen innen. Nachdem wir einige Zeit hier geweilt, kletterten wir heimwärts u. kamen in der Wetterburg um 1/2 12h an. – Nachmittags copierte ich viele Fotografien.

Wetter herrlich; abends selten schöne Beleuchtung. Die Berge des innern Volderthales strahlten bleigrau, während das Tulferjöchl sich saftig grün vom intensiv blauen Himmel abhob, der gegen Norden ganz roth, gegen Osten aber blass, jedoch deutlich grün spielte. Wir giengen zur Lärche, es bewundern.

27. Juli 1902, Sonntag.

Unsern anfänglichen Plane nach, sollten wir heute schon unten sein im grünenden Andlklaus; aber das herrliche Wetter hielt uns zurück auf den idealschönen Höhen des Tulferberges. Heute aber wanderten wir zum 4 mal ins Volderthal. Wie gehofft, war’s Wetter schön; Margreth blieb nach Rothlauf halber daheim, l. T. Anna, Onkel Nicolaus, Madeleine, Herr Schmarl und ich, traten den Abstieg um 5 1/4h an, u. eilten den dämmernden Hängen der Stiftsalpe entlang, über die noch kein Sonnenstrahl funkelte. Als wir ins alte Kirchlein des Volderthals traten, war gerade das Offertorium der 6h Messe, wir blieben dort und wohnten auch der hl. Messe um 1/2 7h bei. Alsdann stärkten wir uns in der Veranda u. eilten heimwärts der lieben Wetterburg zu. Herauf war es sehr heiß.

28. Juli [1902], Montag. Angenehm und schön.

29. “ [1902], Dienstag, Detto.

30. “ [1902], Mitwoch. Heute nachmittags traten wir den Abstieg an; wir waren nur unser 5 Personen. Der Weg wurde in größter Langsamkeit zurückgelegt, beim Martl in Tulfes sogar zu 1 Flasche Bier unterbrochen. Gegen 4h langten wir glücklich in Andlklaus an, bewillkommt von der guten Frau Mutter und Jörgl; mich erwarteten 2 Briefe von Martha. Alle bis auf Madeleine übernachteten hier.

Text: Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Cod-2072-1 (Transkription: Katharina Schilling)

Bild: Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Slg. Gottfried Newesely, Nr. 16 (Blick gegen Voldertal, 1927).

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Dieser Beitrag hat 6 Kommentare
  1. Laut der „Österreichischen Botanischen Zeitschrift“ von 1880, Band 30, Seite 47 handelt es sich bei den Lutherstauden um das Gebüsch der Grünerle.

    Die strauchförmige Grünerle (Alnus alnobetula bzw. Alnus viridis) ist auch als Alpenerle bekannt. In Tirol und Kärnten wird die Grünerle wegen der schlechten Holzqualität spottweise auch als Lutherstaude bezeichnet.

  2. Die Lutherstaude hätte sich in der Tat einen besseren Namen verdient, weil sie einen wertvollen Dienst zur natürlichen Sicherung von Rutschungen auf gefährdeten Hängen beiträgt. Sie stabilisiert sowohl den Boden als auch den Schnee vor Abrutschen.

  3. Von den 8 Monaten des Tagebuchs sind jetzt schon 4 1/2 Monate vorbei, mehr als die Halbzeit ist also schon um! Es wird bestimmt spannend, was Marie in den weiteren 3 1/2 Monaten noch alles erlebt.

    1. Lieber Herr Auer, das ist eine sehr treffende Beobachtung. In der Tat, wir sind über der Hälfte. Auch was den Umfang betrifft: Etwa 80 Doppelseiten haben wir schon zusammen gelesen, 50 warten noch auf uns.

  4. Was im Kalkgebiet die Latsche (Pinus mugo) in Sachen Hangsicherung leistet, tut die Grünerle im Urgestein. In tieferen Lagen, wo sie dann baumförmig wächst, ist sie forstwirtschafltlich betrachetet, verzichtbar. Der Ökologe in mir sieht das freilich etwas anders.

  5. Herzlichen Dank für die fachkundige Auflösung und Erläuterungen! Als Kinder haben wir die Grünerle natürlich besonders geschätzt. In höheren Höhenlagen der einzige Busch/Strauch/Baum, wo man sich relativ leicht halbwegs gerade aber biegsame Äste abschneiden konnte (Wanderstock, Bogen, Würstelgrillspieß…).

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