Wohlstandssorgen in Wilten West
Richard Frischauf fliegt an diesem Tag – die Crowd hat sich geeinigt, im Frühjahr 1971 – weiter Richtung Stadt.
Dieses zweite Bild zeigt eine auf den ersten Blick unspektakulären Draufsicht von Wilten; der Weltkrieg ist nun gut 25 Jahre vorbei, die Häuser repariert und fast alle Baulücken geschlossen. Zwei ambitionierte Turmbauprojekte, das Gerichtsgebäude in der Maximilianstraße und das Hotel-mit-den-vielen-Namen werden gerade errichtet. Bei Letzterem steht erst der zentrale Liftschacht. Dahinter grüßt die mittlerweile auch schon wieder aus der Mode gekommene Raiffeisen-Landesbank in ihrer ersten Megalo-Version. Im linken Bildbereich scheint gerade die neue Mensa fertig zu werden. Auf dem Klinikareal wird wie immer ein wenig herumgebaut, statt der Frauen-Kopf-Klinik sieht man noch noch den Innenhof der Inneren.
In den Wiltener Hinterhöfen wird in erster Linie gearbeitet. Die Wäscherei Gasser in der Andreas-Hofer-Straße 16, die Chemiefirma Holluschek in der Schöpfstraße, die Maschinenstrickfabrik in der Andreas-Hofer-Straße 27, sie werden alle bald ihre Standorte an den Stadtrand verlegen oder in die umliegenden Dörfer übersiedeln. Ihnen werden dann die Spengler, die Tischler, die Maler und die Installateure folgen. Bis auf wenige Dinosaurier sind diese Betriebe heute alle ausgezogen, teils aus Parkplatznot (die ja oft genug eher eine gefühlte solche ist), teils wegen der programmierten Konfliktlinien mit der Anwohnerschaft, die nun nicht mehr Hämmern, Kochen, Schneiden oder Sieden hören will sondern das Zwitschern der Vögel. Die städtischen Planer haben es versäumt, diese Konflikte zu moderieren, also wird aus Wilten ein Schlafdorf für Studierende, deren Eltern sich die verrückten WG-Zimmer-Mieten leisten können und ein Spekulationsobjekt für Südtiroler Schwarzgeldparker, die sich die Dach-Ausbauten sichern. Urbanes Leben braucht auch Arbeit vor Ort… sonst wird es hier so fad wie im Villensaggen am Aschermittwoch.
Ein neues Lieblingsbild aus Wilten. Sehr interessant sind auch die Baulücken in der gründerzeitlichen Blockverbauung, welche in den Folgejahren häufig geschlossen wurden. So zum Beispiel an der Unikreuzung, in der Schöpfstraße oder in der Müllerstraße.
Schön auch die Villa Paradies, welche aus der Andreas-Hofer-Straße hervorblinzelt.
Sogar den altehrwürdigen Gasthof zum Templ sieht man rechts im Bild. Der Name stammt vom Gastwirt Gabriel Templ, welcher hier ab den 1820er-Jahren tätig war.
….und wenn ich ergänzen darf: das Dopolavoro ist noch in Betrieb (inklusive Gemüsegarten), die Schüler (!) der Müllerschule drehen ihre Runden in der großen Pause noch im unverbauten Schulhof, das Pathologische Institut hat noch keinen Vorbau, der die Fassade verhässlicht, im Geviert Anich-, Bürger-, Maximilian- und Kaiser-Josef-Straße steht noch sowas wie ein Wald, und der Landhausplatz darf noch mit viel Grün atmen. Natürlich war nicht früher alles besser, aber angesichts solcher Bilder schleicht einem doch – frei nach H. Heine -„Wehmut in das Herz hinein“.
Fast unglaublich: 100 Jahre vor diesem Luftbild waren hier in Wilten noch alles Felder. Der Gasthof zum Templ stand ganz allein auf weiter Flur.
Was mir auch noch auffiel: Die lange Gewerbehallenwurst hinter der ehemaligen Glasfabrik, die ebenfalls durch eine Baulücke in die Schöpfstraße hinausschaut. Man sieht sie als Hinterhofbebauung hinter den Häusern A.Hofer Straße vorbei am damals mit ratternden Relais bestückten Telefonwählgebäude bis fast vor zur Fischerstraße. 1974 sieht man am Luftbild nach das meiste, 1990 ist es schon Parkplatz, um wieder einmal ein Reizwort einzustreuen.
Die Glasfabrik stand übrigens auch einmal allein auf weiter Flur in den Feldern. Später war da glaub ich der Holluschek drinnen, heute ein Wohnhaus mit immer noch erkennbarer Ähnlichkeit mit dem alten Haus.
Ja, in diesem Beitrag sieht man die Glasfabrik mit den umliegenden Feldern:
https://innsbruck-erinnert.at/stadtblick/
In diesem Beitrag gibt es ein besonders schönes Farbbild der Glasfabrik:
https://innsbruck-erinnert.at/nach-der-arbeit/