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Der Bilderblog aus dem Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck
Wer War Therese Matzler?

Wer war Therese Matzler?

Als wir die historischen Unterlagen des Städtischen Wohnungsamtes für unsere aktuelle Ausstellung „Suche Wohnung! Von der Baracke zum Leerstand“ durchsahen, fand Kollege Joachim Bürgschwentner das originelle Schreiben einer erbosten Mieterin, die sich in schillernden Farben über die Zustände im St. Nikolauser Turnusvereinshaus (Innrain 2) bei der Behörde beschwert, alle Nachbarn samt Nachwuchs in ihr Schreiben einbaut und zugleich darum bittet… aber hören Sie selbst. Dieser Text ist in idealer Form als Hörstück zu genießen, so wie ihn unsere phänomenale Sprecherin Michaela Posch interpretiert hat. Ton ab!

Hier das Schreiben, weil es so schön ist auch noch als Text:

„An das löbliche Stadtmagistrat in Innsbruck

Verzeihet bitte! Ich das löbl. Stadtmagistrat wiederholt belästige, da ich mich vor geraumer Zeit brieflich schildernd an den geehrten Herr Bürgermeister Eder wendete in Bitte, betreff einer gesünderen Wohnungszuteilung.
Indem schon einige Parteien von Innstr. 2 Verständigung bessere Wohnungszuteilung erhalten, deren Prinzip mit unserer Wohnung nicht zu vergleichen ist, da ich die Unterzeichnete bittestellende Frau Therese Matzler, bis heute 21. 5. ohne irgendeiner bessere Wohnungszuteilung verharre, ersuche und bitte ich das werthe Stadtmagistrat ganz dringend höflichst mich so wie meine gesamten Familienangehörigen von dieser so sehr gesundheitsschädlich wirkenden, feuergefährlichen, sanitätswidrigen, dunklen, feuchten, ringsumgebend anschließende Handwerkslokale, wovon nur einfache, sehr schlecht verschließende, leichte Magazinstüren grenzen. Dazu kein Abort.
Teils trugen die Vorderen des Hofes den Morast zum Inn, und ich und Familie Singewald trugen den Morast in den Abort der Kantine. Ein schauerlicher Anblick ist uns auch dort zuteil geworden, da die Gäste meist den Boden dazu benützen statt des Klosett. Ein Eingang unsre Küche darstellt, und kein Fenster. Eine Tür, da ist es angebracht. Will ich selber lüften von demelnder, düstrer, oder toten Luft, muss die Eingangstüre offen, durch Wind d. verpesten Sand der durch Hunde welche von Parteien nur der Hof dient. Hühner nur d. Hof dessen Aufenthalt. Menschenkot und Urin bringt man dar. Katzen muss man haben, auffressen würden uns sonst Ratten und Mäuse. Diese haben Anstand, Bildung, sie verbergen den Morast. Im Brunnentrog liegt oft Menschenkot. Grauenhaft ein Graus. Das Koch- und Trinkwasser holet man doch dort. Den Kindern schaut man zu wie selbe den Hof unterminieren. Lüfte ich durch Wind den verpesten Sand d. durchdrängt v. Schweinerei ich an den Lippen fühl und koch ich: So sind auch die Speisen von all den Bazillen natürlich auch gemischt, sonst würd ich sicherlich den klein körnigen Sand unmöglich nicht wenn ich b. Herde stand beim Kochen nicht gefühlt.
Ringsumher anschließend d. Wohnung das Klopfen des Handwerks. Vom Hofe der schrecklich laut drillende Schrei der Kinder. Der Schall der Lautsprecher. Der grelle Schall des Grammophons, stundenlanges Heulen und Bellen der Hunde. Den ganzen Tag bald dies bald jenes als wäre Messe oder Menagerie im Hofe.
[…]
Eine Wohnung für 45 S. ist mir unmöglich aufrecht erhalten zu können. Ich ersuche in Bitte das werthe Stadtmagistrat wenn mir keine bessere billigere Wohnung durch ein Stadtgebäude zugewiesen werden kann mir doch bitte wenn möglich die Wohnung Hatzl, Innstr. 2, Türe Nr. 1 zukommen zu lassen. D. h. wenn selbe frei werden sollte, wenn diese nicht mir bitte doch die freiwerdende Wohnung Schweiger Innstr. 2. Türe 43 als eine verbesserte Wohnung endlich v. d. v. uns sechs Jahr bewohnten Magazin das so sehr gesundheitsschädlich wirkt zukommen zu lassen.
Wenn nicht so weiß ich nicht scheidet der Tod oder noch viel düsterer, düstere Mauern.
[…]
Bitte gebet, lasset mich nicht d. Verzweiflung preis. Bitte gebet mir eine ruhigere Wohnung, bitte gebet Arbeit. Entschuldigen bitte! Ich das löbliche Stadtmagistrat so belästige. Einer werthen Mitteilung hoffend, entgegensehen unterzeichne ich ihrer hochachtungsvollst! Frau Therese Matzler in Innsbruck, Innstr. 2, Hof C Tür 24.
Innsbruck am 21. Mai 1929″

Nach der Lektüre dieses so kunstfertig verfassten Koatlacken-Lamento-Furioso-Rants wollte ich ein wenig mehr über die Autorin herausfinden. Und dabei kommt auch der oben im Titelbild zu sehende Inspektor der städtischen Polizei Martin Stumpf ins Visier.

Frau Therese Matzler wird, so verrät uns die Innsbrucker Heimatrolle, 1887 Kolbermoor in Bayern geboren worden und bleibt doch nach ihren Eltern in die oberösterreichische Heimatgemeinde Schwarzenberg zuständig. Ihr Mädchenname ist Therese Hannesschläger, 1914 heiratet sie in Wattens den Höttinger Hilfsarbeiter Josef Matzler; in der Ehe wird 1920 ein Sohn geboren, Frau Matzler bringt die zwei Söhne Hermann *1910 und Karl Hannesschläger *1908 in die vormoderne Patchworkfamilie mit.

Die beiden älteren Söhne von Therese Matzler sind schon in ihren Jugendjahren immer wieder zu Gast in den Gerichtsspalten der Tiroler und Vorarlberger Tageszeitungen. Sie verüben großteils kleinere und mittlere Eigentumsdelikte, kommen in Jugendheime, später einige Zeit hinter Schwedische Gardinen und gelangen rund um ihre Entlassung recht rasch wieder in die True-Crime-Rubriken. Es sind im Podcast-Sprech 2025 eher B- und C-Verbrechen, die Schadenssummen liegen im zwei- bis dreistelligen Schillingbereich. Die Schilderungen in den Zeitungen sind teils mahnend, teils unterhaltsam, sie berichten von Fluchtversuchen und spektakulären Festnahmen, die Burschen bekommen Arbeitslager und Kerker, als Wiederholungstäter natürlich immer extra.

Die vermeintliche Leichtigkeit der Szenerie ändert sich, als Hermann Hannesschläger 1931, gerade 21 Jahre alt, im Turnusvereinshaus den Polizisten Martin Stumpf mehrfach anschießt. Hannesschläger ist einige Tage zuvor aus seinem Arbeitslager in Niederösterreich entwichen, deshalb hat die Innsbrucker Polizei routinemäßig die Wohnung seiner Mutter Therese Matzler im Turnusvereinshaus überwacht, wo er auch ein paar Tage später gesehen wird. Beim Versuch, den flüchtigen Sträfling zu verhaften wird der Polizist Stumpf von diesem mehrfach angeschossen. Martin Stumpf überlebt schwer verletzt, der Täter flieht zunächst und wird bald in Fiecht erneut verhaftet.

In der außergewöhnlichen Polizeichronik der Stadt Innsbruck – bis 1935 war ja alles Polizeiliche eine städtische Angelegenheit – werden dem Vorfall mehrere Seiten gewidmet.


Im Jänner 1932 wird gegen Hermann Hannesschläger verhandelt. Er bekommt weitere acht Jahre; was aus ihm geworden ist, und ob er die NS-Zeit überlebt hat, ist mir nicht gelungen herauszufinden. Sein Bruder Karl betreibt später im St. Nikolaus einen Zeitungsverschleiß.

Im März 1932 wird Therese Matzler selbst auch noch vor dem Richter stehen. Sie hat im Moment der Verhaftung des Sohnes der ebenfalls in der Wohnung anwesenden Bettgeherin Franziska Gritzner einen Zettel zugesteckt, um die Zeugenaussagen abzugleichen und in einigen ihrer Blumentöpfe findet die Polizei goldene Uhren und silberne Kettchen. Die Mutter von Hermann Hannesschläger wird schließlich fast ein Jahr nach der Schießerei im Turnusvereinshaus zu milden drei Wochen bedingt verurteilt.

Therese Matzlers Brief an das Wohnungsamt des Stadtmagistrats hätte es verdient, ins Goldene Buch der gut geschriebenen Eingaben aufgenommen zu werden, die Gewalttaten ihres Sohnes gehören auf die bleierne Mahnliste sinnloser Gewalt durch entgrenzte Männer; hätte er doch besser den Witz und die verbale Schlagfertigkeit seiner Mutter als Vorbild für sein patschertes Leben gewählt.

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