Die Waggonbewohner:innen #4
Die Macht der Bilder
Die Adressbücher und ihre relativ leichte Recherchierbarkeit haben uns also eine Reihe von Familienvätern genannt, die aber nicht viel mehr sind als eine 60-zeilige Liste mit Namen, Berufen und einer ganze Reihe von Adressen, sowohl während der Waggonzeit der 1920er als auch danach (Frauen und Kinder blieben sowieso unerwähnt). Die späteren Adressen kann man mit einen Augenzwinkern auch heute noch im Stadtplan erahnen… das sind im Grunde die fünf Sprengel mit relativer SPÖ-Mehrheit bei der letzten Gemeinderatswahl.

Als wir die Waggonbewohner:innen als Thema in unsere Ausstellung „Suche Wohnung! Von der Baracke zum Leerstand“ aufnahmen“ hatten wir bereits von einer Kollegin zwei sehr nette Porträts ihrer Großeltern Franz und Maria Jäckel bekommen. Diese Kollegin war es auch gewesen, die bei uns recherchierte und uns erstmals auf das so gänzlich verschüttete Thema hingewiesen hat. Mittlerweile haben wir die Tafel in der Ausstellung ersetzt… mit zwei außergewöhnlichen Ergänzungen: Dem Titelbild dieses Beitrages und einer weiteren heißen Spur…


Die neuen Bild-Unterschriften lauten (Titelbild oben):
Mehrere Monate lang haben wir für diese Ausstellung Fotos von Waggonbewohner:innen in Innsbruck gesucht. Gefunden haben uns dann kurz nach der Eröffnung zwei Bilder aus dem Familienarchiv einer Besucherin. Frau Hannelore Michlmayr kannte die Geschichten der Gleisbewohner:innen von ihrer Mutter Anna geb. Kopriunik (1912–2009). Anna ist auf dem Foto rechts zu sehen, mit dabei auch ihr Bruder Adolf (1914–1945) und die Eltern, der ins Kärntner Eisenkappel zuständige Lokomotivheizer Anton Kopriunik und Maria geb. Sovak. Sie hatten ab 1923 mehrere Jahre auf dem Innsbrucker Hauptbahnhof in einem Güterwaggon gelebt und konnten dann, wie Familie Jäckel, in die Eisenbahnerblocks der Dr.-Ing.-Riehl-Straße übersiedeln. Wann genau dieses so dringend gesuchte Bild entstanden ist und wer es fotografiert hat, ist unbekannt.

Auf der Rückseite des Fotos aus dem Familienarchiv Michlmayr ist der Name der Familie Hemerka notiert. Vater Rudolf (1884– 1932), aus Mähren stammender pensionierter Schlosser der Südbahn, Mutter Veronika geb. Pfeil (1883–1962) und der einzige Sohn Rudolf junior (1910–1984) blicken entspannt in die Kamera des unbekannten Fotografen. Ein Vogelkäfig an der Schiebetür macht aus dem Viehwaggon so etwas wie ein Zuhause. Laut Adressbuch haben die Hemerkas ab 1923 über zehn Jahre zunächst auf dem Hauptbahnhof und dann auf dem Westbahnhof gewohnt. Enkel Dietmar Hemerka (1941–2025), ein bekannter Innsbrucker Sportfunktionär, hat in der Familie nicht viel über diesen Teil der Familiengeschichte erzählt.
Frau Michlmayr ist als interessierte Besucherin in die Ausstellung gekommen. Danach hat sie sich beim Kollegen Andreas Lutz an der Rezeption gemeldet und ihre Telefonnummer hinterlassen. Mit Renate Ursprunger sind wir dann in die Hörmannstraße, wo Frau Michlmayr seit ihrer Geburt wohnt; die Familie hat sich immer viele Geschichten aus der Vergangenheit erzählt und alle wichtigen Dokumente und Bilder über Generationen aufbewahrt. Ein Teil davon kam nun als allererste Bilder der Waggonbewohner:innen ins Stadtarchiv.
Hier noch die Fahrausweise der Südbahn, auf kleine Cartes-de-Visite Porträtfotos montiert. Frau Amalie Kopriunik, die Großmutter von Frau Michlmayr, fehlt auf dem Gruppenbild oben; sie ist im Winter 1924 in einem Waggon auf dem Innsbrucker Hauptbahnhof gestorben.








Natürlich haben wir auch die Heimatrollen der drei Familien herausgesucht und versucht, Kontakt zur Familie Hemerka aufzunehmen. Dazu mehr in der nächsten Folge…



