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Nostalgiebremse

Nostalgiebremse

Wenn Menschen über 50 alte Bilder betrachten, beschleicht sie gelegentlich die verbreitete Volkskrankheit der Vergangenheitsverklärung, bei deren schweren Verläufen sich die Nostalgiker meist in erster Linie daran erinnern, dass sie selbst früher jünger und dynamischer waren. Dieses starke Trauergefühl um die verblichene Jugend beschattet dann das Vernunftdenken so stark, dass Betroffene gelegentlich zur Erkenntnis gelangen ,dass früher nicht nur manches, sonder gleich *alles* auch besser und schöner gewesen sei. Damit kommt man als nüchterner Stadtchronist nicht weiter, man muss sich zwei Mal kräftig schütteln und den Sand der Tagträume aus den Augen reiben. Können wir?

Im Titelbild sehen wir ein visuelles Antiserum gegen zu viel Erinnerungsverblendung. Das Wiltener Platzl aus der Schauapotheke Kreutz lässt wenige Fragen offen. Zehn Jahre nach dem Krieg ist das im Eigentum des Weingroßhändlers Josef Schwarz befindliche Haus Nummer 32 (heute bisweilen auch Rauscher-Palais genannt) erst notdürftig geflickt, Milchtrinkstube und Speisehaus verströmen wenig kulinarisches Flair, gegenüber besteht noch der Uhrmacherladen des Karl Seewald, dahinter ist eine Trafik zu erkennen und das Schild eines unbekannten Installationsbetriebs. Diese Häuserreihe Leopoldstraße 23, 25, und 27 gehört der Witwe Olga Mayr, deren Mann Franz Oberverwalter im Spital gewesen ist. Ein einsamer wenn auch mondänder Mercedes 190 biegt an diesem Wintermorgen aus der Mentlgasse in die B182, die Brenner-Bundesstraße.
Sie merken die Wirkung bereits? Auch wenn man nicht zum direkten Kundenkreis von Bubble-Tea, X-Double Streetwear und kleinen Häppchen vegetarischer Kost gehört: Früher war nicht alles besser.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare
    1. Ich meine, sie waren viel schlechter!!

      Wer gespart hat, verzichtet, und sich was Eigenes angeschafft hat, hat mindestens bis jetzt alles richtig gemacht!
      Wer liederlich gelebt, das Geld versoffen oder verhurt hat, und nichts aufgebaut hat, nicht.

      Die Immobilienpreise sind überall in den Städten hoch, in allen, europaweit, und weltweit. Wir sind keine Insel, und brauchen auch keine kommunistischen Experimente, um allen Zuzugswilligen ohne Gegenleistungen anzubieten, wofür die Altvorderen ein Leben lang geschuftet haben!

      Die Tirolerinnen und Tiroler sind frei und unabhängig von der Obrigkeit, endlich!!
      Sie müssen keine Existenzängste haben.

      Wir laufen heute Gefahr, eben die Vermögen der Tirolerinnen und Tiroler, die sie ehrlich und anständig aufgebaut haben, wieder zu verlieren, wenn es nach einigen wenigen geht!

      Nein, die Immobilien- und Grundstückspreise sind heute besser, meine ich.

  1. Mich fasziniert immer wieder das Straßenschild „Bundesstraße 182“, die als Hauptstaße von der Brennerstraße quer (oder längs?) durch die Stadt zur Hallerstraße führte.

    Ansonsten ist gottseidank die alte Bausubstanz erhalten geblieben. Die einstens projektierte Beton- oder besser (Beton ist nicht wegzudenken) Architekturorgie „Servicezentrum Wilten“ blieb beim Merkurgebäude am anderen Ende der Engstelle hängen.
    Und ja, es ist schöner. Aber war das Palais Rauscher nicht hinter dem mir unbekannt so benannten Haus mit der Speisewerkstatt? Und die gekappte Straßenbahn möchte ich heute sehr gern benutzen können. Anbei ein Foto von beiden: Dreier und Rauscherpalais nach meiner Variante. Für Nostalgiekranke zum Ausweinen 🙂 .
    https://postimg.cc/ykhBqyTb

  2. Ich darf den Fahrzeugtyp korrigieren, es handelt sich um den noch mondäneren Mercedes 220 S oder gar SE.
    Deutlich am längeren Vorbau der 6-Zylinder Modelle den vorderen Blinkern und den Chromleisten zu erkennen.

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