I wie Imster Schemenlauf: Das Tiroler Fasnachts-Lexikon (Teil X)
Besuch aus der Ferne: In Arzl posierten beim Faschingsumzug 1968 ein Roller (links) und ein Scheller (rechts) vor der Kamera. Die beiden Figuren gehören zum sogenannten Imster Schemenlaufen, einem uralten Fasnachtsbrauch aus dem Tiroler Oberland, und waren offensichtlich nach Innsbruck zu einem Gastauftritt eingeladen worden. Ganz sicher sind wir uns bei der Ortsangabe allerdings nicht. Vielleicht können Sie, liebe Leserinnen und Leser, unsere Vermutung bestätigen oder widerlegen?
Wie bei vielen anderen Brauchtümern auch, ist der genaue Ursprung des Imster Schemenlaufens unklar. Die ersten Volkskundler im 19. Jahrhundert sahen darin einen heidnischen Segenskult aus vorgeschichtlichen Zeiten. So wurden altgermanische Fruchtbarkeitsfeiern, die griechischen Dionysien – Feste zu Ehren des Weingottes Dionysos – oder die römischen Luperkalien – die Hauptfeierlichkeiten für den Herdengott Faunus – als Vorläufer des Schemenlaufens interpretiert. Aus Sicht der heutigen Brauchtumswissenschaft fällt der Beginn der Fasnacht hingegen erst in das Spätmittelalter mit der aufkommenden Lustbarkeit. Im liturgischen Festkalender der mittelalterlichen Kirche soll der Fasching im Zusammenhang mit der nachfolgenden Fastenzeit einen fixen Platz gehabt haben.
Ein früher Hinweis auf die Imster Fasnacht findet sich in einem landesfürstlichen Befehl aus dem Jahre 1667, der an das örtliche Gericht ging. Er besagt, „das […] ietzt bevorstehendte Fasnachtszeit bis abendts auf Ave Mariae Leiten […] offentlichn Dänz, als auch Mascaraten […] zuegelassen sein sollen“ (zit. nach Waltner, 1996, S. 71). In Pfunds fand 1775 ein Schemenprozeß statt, nachdem die Burschen des Ortes sich nicht an das zuvor ausgesprochene Fasnachtsverbot gehalten hatten und gleich fünfmal zum Schemenlaufen ausgerückt waren. Nach dem verheerenden Großbrand in Imst im Jahre 1822, den mündlichen Überlieferungen zufolge nur 14 der damals bestehenden 220 Häuser überstanden haben sollen, konnte so mancher Imster Fasnachtler nur sein „Larvl“ aus den Flammen retten. Vor dem 19. Jahrhundert sind Informationen zur Fasnacht primär in Alltagsquellen auffindbar. Erst im Zusammenhang mit dem aufkommenden Nationalitätenbewusstsein begann die genaue Dokumentation des Brauchtums. Der Dichter und Volkskundler Karl von Lutterotti (1793-1872) fertigte etwa Skizzen zur Imster Fasnacht an; von ihm stammt auch ein bekanntes Aquarell vom Schemenlaufen, das zwischen 1830 und 1840 entstanden sein soll – dazu kursieren in der Literatur und im Internet unterschiedliche Angaben.

Karl von Lutterotti, Imster Schemenlaufen, Wikimedia Commons
Das Wort Schemen stammt aus dem Mittelhochdeutschen und bezeichnet eine spukhafte Erscheinung bzw. ein Trugbild. Der Umzug fand bis ins 20. Jahrhundert jährlich statt, jedoch wurde der Aufwand immer größer, weshalb man schlussendlich zu einem Vier-Jahres-Rhythmus überging. Immer am Sonntag vor dem Unsinnigen Donnerstag findet das Spektakel statt. Die Hauptfiguren der Aufführung sind die Roller und Scheller, wie sie auch auf unserem Beitragsbild zu sehen sind. Beide Figuren zusammen bilden jeweils ein Paar. Der Roller trägt eine jugendliche Larve mit weiblichen Zügen, der Kopfputz ist mit Kunstblumen verziert und hat einen Spiegel in der Mitte, der zur Dämonenabwehr dienen soll. Die Hüften des Rollers ziert das sogenannte Gröll – ein mit 40 bis 48 Rollen besetzter Ledergurt. Mit tänzelnden Bewegungen zieht er am schaulustigen Publikum vorbei und schwingt dabei den Pemsl (Pinsel) aus gehobelten in sich gedrehten Holzspänen hin und her, was im Ort als Schlånz bekannt ist. Der Scheller symbolisiert das Gegenstück zum Roller. Seine Larve hat markantere Gesichtszüge, einen kraftvoll geschwungenen Schnurrbart und ist eher dunkel gehalten. Seine Garderobe besteht aus einer Lederkniehose, einem Tischtusch, das den Oberkörper und den Hinterkopf bedeckt, sowie dem Kopfschmuck, der nach oben spitz zuläuft und mit Seidenblumen, einem Spiegel und anderen Schmuckelementen versehen ist.
Beide Figuren tragen zudem Glöckchen (Roller) und Schellen (Scheller) und verleihen dem Umzug somit einen ganz eigenen Klang, wobei das helle Klingeln des Rollers einen Kontrast zum dunklen Schall der Schellen bildet. Der Scheller symbolisiert den Winter, während der Roller den Frühling verkörpert. Sie treten stets farblich abgestimmt auf: rot, rosa, hellblau oder hellgrün.
(Foto: Stadtarchiv Innsbruck, Ph-5518)
Auf das „I“ habe ich natürlich als „zuagroaster“ Imster gewartet und muss leider schon nach dem Lesen der ersten Zeilen des Textes Protest einlegen! Ein Imster Fasnachtler hat noch nie eine Einladung zu einem Gastauftritt außerhalb von Imst angenommen und wird sie auch nie annehmen – auch nicht im benachbarten Arzl im Pitztal und schon gar nicht im Innsbrucker Stadtteil Arzl zu einem Faschingsumzug! In Imst gibt es extrem strenge Regeln!!
Das Foto wurde übrigens in Imst geschossen! Ich werde versuchen, auf Google Earth den Beweis zu erbringen, ansonsten werde ich morgen eine Fototour unternehmen!
Nun werde ich den Begleittext weiterlesen.
Noch zur Aufnahme: Es handelt sich um das Haus von Dr. Grissemann, meinem langjährigen Hausarzt:
https://earth.app.goo.gl/?apn=com.google.earth&isi=293622097&ius=googleearth&link=https%3a%2f%2fearth.google.com%2fweb%2f%4047.24494828,10.74057402,822.61810303a,0d,37.40686053y,330.5170639h,102.3598411t,-0r%2fdata%3dCgRCAggBIhoKFlI2OVpjZi1reEtMdy0yWkl4UEU0X1EQAjoDCgEwQgIIAEoNCP___________wEQAA
Lieber Herr Roilo,
vielen Dank für die Aufklärung. Dass in Imst ein so strenges Reglement für diese doch recht ausgelassene Zeit im Jahr herrscht, war mir nicht bekannt und auch während meiner Recherche stieß ich nicht auf diese Information.
Wir freuen uns natürlich, wenn Sie das Bild den genauen Entstehungsort zuordnen können. Dann können wir das nämlich auch in der Datenbank ergänzen. Ich bin gespannt auf Ihr Ergebnis. Verzeihen Sie mir den Faux Pas 🙂
Liebe Grüße
Verena Kaiser
Noch ein (älteres) Bild aus dem Imster Fasnachtsbuch (Seite 63) – man sieht hier auch noch dieselbe frühere Eckbemalung wie am Titelfoto!
https://postimg.cc/t7GvSz6M