Hyperion in Innsbruck
Historische Reiseberichte, die Innsbruck berühren, gibt es bekanntermaßen einige. Durch die verkehrsgünstige Lage am Weg nach Italien überrascht dies nicht. Vielfach ist Innsbruck in diesen Berichten ein Durchgangsort, von dem man schnell weiter will. Jene von Goethe oder Heinrich Heine sind in dieser Hinsicht wohl die bekanntesten und müssen daher auch am öftesten herhalten, wenn es um ein knackiges Zitat geht.
Weniger verbreitet sind die Eindrücke, die Henry Wadsworth Longfellow in seinem Reiseroman Hyperion schildert. In diesem reist der fiktive Protagonist, der junge Amerikaner Paul Flemming, durch Deutschland, die Schweiz und Tirol zu den Stätten der deutschen Literatur und Romantik. Dieselbe Reise hatte Longfellow selbst im Jahr 1835 unternommen und verarbeitete nun im Reiseroman seine Erlebnisse. Das Buch begründete Longfellows Ruhm in Amerika und prägte gleichzeitig das Bild von Deutschland und den österreichischen Ländern, die er besucht hatte, in den USA. Wie bei so vielen Reisenden vor und nach ihm, war Innsbruck jedoch nur eine Zwischenstation – bei ihm jedoch nicht auf dem Weg nach Italien, sondern auf dem Weg von der Schweiz nach Salzburg.
Der erste Eindruck von Innsbruck war allerdings nicht der beste: Von Landeck kommend, begleitet von einem Gewitter und entlang des tosenden Inns („einem Gebirgsbach, der so wild und unruhig dahinrauschte, wie er in der Einsamkeit Engadins seiner Wiege entsprungen war; ein Sinnbild seiner selbst“) traf er als erstes auf eine Gruppe Kirchgänger, die einen Toten zu Grabe trugen.
Am nächsten Morgen streifte der Protagonist des Romans mit seinen Begleitern durch Innsbruck. Seine Eindrücke, gebe ich Ihnen (in meiner Übersetzung) hier wieder:
Am nächsten Tag hielten sich die Reisenden nicht lange in Innsbruck auf. Sie versäumten es aber nicht, das Grab Maximilians in der Franziskanerkirche zum Heiligen Kreuz zu besuchen und mit einiger Bewunderung die achtundzwanzig riesigen Bronzestatuen von Gottfried von Bouillon, König Artus und Ernest dem Eisernen, Friedrich mit der leere Tasche, Königen und Helden und anderen zu betrachten, die auf ihre Schwerter gestützt zwischen den Säulen der Kirche stehen, als würden sie das Grab des Toten bewachen. Diese Statuen erinnerten Flemming an die bronzenen Riesen, die auf dem Glockenturm von San Basso in Venedig die Stunden schlagen, und an die mit Dreschflegeln bewaffneten Ungeheuer, die das Tor von Angulaffers Schloss in Oberon bewachten. Nachdem sie eine Weile auf diese unbeweglichen Wächter gestarrt hatten, gingen sie weiter und schlenderten durch die öffentlichen Gärten, die zerklüfteten Berge direkt über ihren Köpfen, ringsum hohe, melancholische Kiefern, wie Tiroler Bauern mit zotteligem Haar, und zu ihren Füßen der wilde Strom des Inn, der mit trüben Wellen mitten durch die Stadt floss. Am Nachmittag fuhren sie durch die herrlichen Gebirgspässe von Waidring und Unken weiter in Richtung Salzburg.