Hofburgnahe Toponomastik
Der Bekanntheitsgrad des dem Altgriechischen entlehnten Wortes Toponomastik (Topos=Ort und ónoma=Name) ist vermutlich in keinem Erdteil größer als in Nord- und Südtirol. So wie der seltsame Deutsche Schulverein des Selbstdarstellers und Malerfürsten eigener Krönung Edgar Meyer und der Tiroler Volksbund in den Jahren nach 1905 für jedes Fleckchen im Trentino eine deutsche Bezeichnung zu finden suchten, tat dies der Faschist Ettore Tolomei in der Zwischenkriegszeit in Südtirol und ersann mit beschränktem Fantasieportefeuille für jeden Berg-, Orts- und Flurnamen eine vermeintlich historische oder lautmalerische italienische Urbezeichnung. Die Resultate des E.T. sind bis heute bei jedem Fahrtl durch Südtirol zu sehen, die Fantasiebezeichnungen der ersten Gruppe haben es durch ein Zeit-Raum-Mirakel auch wieder zu etwas Aufmerksamkeit geschafft: Google Maps glaubt heute im Jahr 2024, dass Menschen, deren Browser oder Handy auf Deutsch eingestellt ist oder eine österreichische SIM-Card benützt, lieber völlig unlesbare und lokal nicht identifizierbare Ortsnamen wie Fersen im Suganertal (statt Pergine Valsugana), Löweneck (statt Levico), Gallnötsch (statt Caldonazzo) oder Terlach (statt Terlago) auf ihre Map gemappt bekommen wollen. Das ist aus meiner Sicht nichts anderes als die unreflektierte Wiederbelebung deutschnationaler Sprachpolizei-Zombies aus der Jahrhundertwende und kein Service.
Zurück nach Innsbruck. Hier waren die 1920er und 1930er-Jahre die großen Umbenennungszeiten. Nicht nach Sprachgruppen vulgo Nationen sondern nach Autokraten, ist man versucht zu sagen. Was dabei eigentlich immer schief geht, ist Straßen und Plätze nach Diktatoren zu benennen, denn per Ablauf ihres Wirkens ist meist auch die Ehrerbietung erloschen. So wurde aus dem Rennplatz, wie hier alle wissen, kurzzeitig der Dollfuß-Platz, um dann via Hitler-Platz als Rennweg wieder zurück zu seiner neutraleren Fassung zurückzukehren. Ähnliches widerfuhr der unschuldigen Holzgasse in Mühlau.
Unsere kleine Sammlung von Stadtplänen auf diesem Blog hatte noch Lücken in besagter Zwischenkriegszeit. Wie im Titelbild ersichtlich, haben wir einige schöne Stücke digital im Hause; diese Pläne sind nun nicht primär für Stadtgeschichtsforschende, sondern für Reisende gemacht und wurden bis 1929 von dem Innsbrucker Hermann Schwaighofer (1883-1933) für die populären Wagner-Führer geschrieben und gezeichnet.
Die Jahre 1923, 1927, 1931, 1937 und 1939 kann man hier interaktiv betrachten und die historische Planebene wechseln. Speziell im Saggen kann man der Straßenbenamsung beim Werden zusehen, in Pradl wandern die Entwürfe und Realisierungen ein bisschen herum, beide halten sich aber im Grunde an die strichlierten Vorhaben der frühen Pläne.
Hier noch zwei Illustrationen, wie sich die Google Map in Innsbruck derzeit darstellt.
Mezzolombardo, Mezzocorona, San Michele All’Adige, eingedeutscht von Edgar Meyer 1905 und Google 2024
Immerhin wissen jetzt alle, wo das geheimnisvolle Castel Madruzzo (Beitrag von Frau Stepanek, https://innsbruck-erinnert.at/eine-italienische-hochschulreise-3/) liegt. Hinfahren zwecklos, da sturer Privatbesitz, höchstens zu italienischen Hochfesten temporär zugänglich.
Das uritalienische Molveno heißt Googlikanisch Malfein (der Lago di Molveno daneben bleibt aber italienisch). Ich erinnere mich auch sicher an Reiff und Turbel für Riva und Torbole. Das wurde – wahrscheinlich nach Protesten dieser Gemeinden – geändert. Fahnenschwenkende Einschlägige können diese Namen aber noch ins Google Suchfeld eingeben und werden dann sicher an diese süddeutschen Plätze geführt. Geht auch mit Karfreit (slowenisch Kobarid), hab ich grad bemerkt.
Große innere Seelenkrämpfe macht derzeit Salzburg durch, wo die selbstgefällige Umbenennung einer nach einem Mitläufer benannte Heinrich Damisch Straße gleich die Mitumbenennung des wesentlich stärker braungefleckten Karajanplatzes ventiliert hat. Ui, das wäre mutig. Die Damischstraße mündet übrigens in die Richard Strauss STraße…
Ha! Reiff und Turbel sind mir entwischt, wahrscheinlich wegen des Trubels dort unten bin ich da nicht so oft. Hoffentlich gleich auch als „Reiff am Gartsee“.
Ui, da ist aber dem Herrn Eindeutscher schon etwas sehr Peinliches passiert. „Terlach“ (gesprochen „Terlagg“) ist nämlich die absolut korrekte Ortsbezeichnung im Dialekt dieser Gegend, die – ich schwöre es! – bis zum fremdenverkehrswerbungs- geschuldeten Namen „Valle dei Laghi“ gar keinen Namen hatte, –
– es sei denn, man denke an den Zusammenschluß der Gemeinden des Gerichtsbezirks Vezzano mit gemeinsamen Satzungen und Vorschriften (einer Carta di regole – ähnlich wie in der Talgemeinschaft „Val di fiemme“ von Cavalese bis Predazzo) an den Namen „Pè de Gaza“ (Berg-Fuß des Gaza, Nachbar der Paganella) – ich hab ihn einmal auf einem alten Stein am Weg von Fraveggio hinunter zum Lago di Santa Massenza entdeckt.“Si, Vezzano faceva parte al ‚pè de gaza'“ bestätigte die alte Lehrerin Cesira Garbari in Vezzano ihrem erstaunten Neffen Cesare (in dessen Buch zwei, drei Fotos von der Militär-Stellung am Dos della Bastia enthalten sind (Oberst Brunner….) )
Unter uns gesagt: Man sollte die Namen der Gegend so aufschreiben und sprechen, wie die dort lebende Bevölkerung sie ausspricht – ohne schulmeisterlich-schulmeisterndes „…und wie sagt man schööööön???“