Einspruch, Euer Wohlgeboren!
Als kleine Einstimmung auf Maries Rückkehr am Sonntag möchte ich heute das obenstehende Fundstück aus unseren Beständen teilen. Am 29. April 1920 erhielt die inzwischen verwitwete Marie Posch Post. Einer ihrer Mieter beehrte sich ihr mittzuteilen, dass er gegen Umbauarbeiten im Haus Einspruch eingelegt habe „und die Einhaltung der Mietsvertrags-Bestimmungen verlangte“. Das Schreiben ist mit dem Briefkopf des Advokaten Carl Pusch in der Fallmerayerstraße 9 versehen, das Kuvert hingegen trägt den Namen von Arthur Atz, ebenfalls Rechtsanwalt ebendort. An der Frage, wer sich die anwaltliche Unterstützung verschaffte und das Schreiben unterzeichnete, sind mein hochlöblicher Kollege und ich leider gescheitert. Ob wohl jemand aus der wohlgeborenen Leserschaft das Rätsel lösen kann?
(Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, FW-M-794)
Das Schreiben scheint falsch adressiert zu sein. Nach dem Tod von Onkel Nikolaus Posch war ja seine Witwe Anna Posch geb. Fuchs die Erbin und neue Hausbesitzerin. Eine Person mit dem Namen Marie Witwe Posch gab es wohl nicht.
Auf diesem wunderlich-drolligen Hundefoto sieht man die Filiale der Mercurbank im Mietshaus der Familie Posch:
https://innsbruck-erinnert.at/barryparade/
Dass eine Privatperson, in diesem Falle ein Mieter, auf dem Briefpapier einer Anwaltskanzlei an seine Vermieterin schreibt, scheint mir ungewöhnlich.
Für mich eher wahrscheinlich: Die Hausbesitzerin Anna Posch hat die Kanzlei Pusch beauftragt, die Mercur-Bank daran zu erinnern, dass für Umbauarbeiten das im Mietvertrag festgehaltene Einverständnis der Vermieterin im Vorfeld einzuholen ist. Die Kanzlei ist dem nachgekommen und hat die Bank diesbezüglich kontaktiert. Der Bankdirektor hat sich scheinbar einsichtig gezeigt und wird die erforderliche Umbau-Genehmigung nun nachträglich einholen.
Mit dem im Titelbild gezeigten Schreiben aus der Kanzlei Pusch wird nun die Klientin Anna Posch über den Stand der Dinge informiert. So macht für mich auch die Bitte, bei Bedarf weitere Weisungen zu erteilen, mehr Sinn.
Die Unterschrift stammt vermutlich von einem Rechtsanwaltsanwärter, der den Brief für den Kanzleichef verfasste und in dessen Vertretung unterzeichnete. Weil sie für mich absolut unleserlich ist habe ich sie mit sämtlichen „Advokaturskonzipienten“ aus den Adressbüchern des in Frage kommenden Zeitraumes verglichen, um den Schriftzug evtl. so jemandem zuordnen zu können. Negativ. Sowohl die Kanzlei Carl Pusch als auch die Kanzlei Arthur Atz (später Pusch & Atz) haben Konzipienten eingestellt. Möglicher Grund für die Partnerschaft: Arthur Atz hat seine Berufsanwärterschaft ebenfalls in der Kanzlei Pusch absolviert.
In diesem Sinne: Einspruch, Euer Wohlgeboren 😉
Sehr scharfsinnig analysiert Frau Stolz. Chapeau! Damit ist es sogar unerheblich wer das Schreiben tatsächlich fertigte. Auf alle Fälle eine schwungvollen Unterschrift die – wenn ich es richtig lese- mit „iV‘ also in Vertretung gefolgt mit „Dr.“ beginnt. Wäre es die Vornamensabkürzung „W.“ , stünde der Titel davor. So zumindest mein Eindruck.
Viel befasst hat sich der Verfasser mit dem Fall wohl nicht, sonst hätte er Frau Wohlgeboren mit ihrem richtigen Namen Anna anstatt mit Marie angesprochen. Das sagt ja auch schon einiges aus.
Werte Frau Wohlgeboren! Herzlichen Dank für Ihren überaus scharfsinnigen Einspruch! In der Tat, mit dieser Erklärung macht das ganze natürlich mehr Sinn. Ich habe mich ja auch etwas über die Weisungen gewundert, aber – im Gegensatz zu Ihnen – konnte ich es mir nicht sinnvoll erklären und die richtigen Schlüsse ziehen. Dem Einspruch wird somit dankend stattgegeben und ich beuge mein Haupt in Demut!
Ja, Einspruch, lieber Herr Bürgschwentner! Kein Mieter, sondern ganz im Gegenteil die Hausbesitzerin Frau Witwe Posch hat als Vermieterin Einspruch gegen die Umbauarbeiten der Mercur-Bank eingelegt. Ich sehe das genauso wie Frau Stolz.