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Eine Unscheinbare Villa…

Eine unscheinbare Villa…

…war der Ort für fragwürdige medizinische Untersuchungen. In der Sonnenstraße 44 befand sich bis  1987 die Innsbrucker Kinderbeobachtungsstation, die die erste psychiatrische Beobachtungsstation für Kinder in Westösterreich war. Geleitet wurde die Station von Maria Nowak-Vogl, einer Nervenärztin und Heilpädagogin. Sie übernahm nach dem Tod ihrer Vorgängerin Adele Juda die von ihr eingerichtete psychiatrische Kinderstation an der Universitätsklinik Innsbruck, bevor 1954 die räumlich ausgelagerte Kinderbeobachtungsstation mit Beschluss der Tiroler Landesregierung errichtet wurde. Die Villa sollte als Ort der Beobachtung, Diagnose und Therapie dienen, sie bot Platz für 20 Kinder gleichzeitig. Am Ende waren es 3650 Kinder, die in der Zeit von 1954-1987 dort verweilten. Der Aufenthalt dauerte im Schnitt 52 Tage.

Welche Kinder kamen in die Sonnenstraße? Die Zuweisungen erfolgten durch eine Mischung aus Heimzuweisungen von besonders „schwierigen“ Kindern und Jugendlichen und Zuweisungen durch die Jugendfürsorge zur gutachterlichen Einschätzung der Schützlinge, um nur zwei Beispiele zu nennen. Aber auch über Anfragen von überforderten Eltern und Lehrpersonen kamen die Kinder zur Kinderbeobachtungsstation. Ein Großteil der Kinder kam bereits zuvor mit der Jugendfürsorge in Kontakt, viele lebten in Pflegefamilien oder Kinderheimen. Nowak-Vogl war als Aus- und Fortbildnerin in eine Vielzahl von Vorgänge involviert, die die Jugendfürsorge und Fürsorgeerziehung betrafen. Die Kinderbeobachtungsstation begleitete deren Maßnahmen, beobachtete deren Wirkung und unterstützte mittels medizinisch-pädagogischer „Expertise“. Für die meisten ihrer Patientinnen und Patienten empfahl die Ärztin eine Rückführung in die Ursprungsfamilie oder die Unterbringung in einem Erziehungsheim. Letzteres wird aus heutiger Sicht allerdings als wenig wirksam eingestuft, denn Nowak-Vogl führte in ihren Untersuchungen „anlagebedingte Neuropathien“ (Erkrankungen des peripheren Nervensystems) als Ursache für die Verhaltensauffälligkeiten der Kinder an. So schreibt sie über einen Buben, dessen Vater ihn trotz aller Bemühungen nicht wiederbekam:

„Er hat einen geistigen Defekt, vererbt von Mutterseite … An der charakterlichen Abartigkeit des Buben ist nicht zu zweifeln … Die prognostischen Aussichten scheinen bei der erblichen Belastung durch die geisteskranke Mutter und bei der schweren frühkindlichen Schädigung doch sehr ungünstig.“

Interessant ist jedoch, dass in nur sechs Prozent der Fälle gravierende psychiatrische Symptomkomplexe diagnostiziert wurden. Es überwiegen Diagnosen, wie etwa „auf Veranlagung zurückzuführen“ oder „durch das Milieu geschädigt.“ Die „Sorge“ um die scheinbar verhaltensauffälligen Kinder war geprägt von einer, so schreibt Ralser, „repressiv heilpädagogischen Perspektive.“ Vorherrschend waren ärztliche Dominanz sowie eine defektlogische Auffassung kindlicher Entwicklung und gewalthafte Fürsorgeheimerziehung. Die Vorgänge an der Innsbrucker Kinderbeobachtungsstation wurden in den letzten Jahren von mehreren Kommissionen aufgearbeitet. Für mediale Aufmerksamkeit sorgte bereits in den 80er-Jahren der Dokumentarfilm „Problemkinder“ von Kurt Langbein. Ein Expertenteam veröffentliche 2013 einen Bericht, in dem die Medikamentenverabreichung und die körperliche Gewalt bei der Behandlung der Kinder und Jugendlichen durch Nowak-Vogl thematisiert wurde.

(Verena Kaiser)

Literaturquelle: Michaela Ralser, Die Sorge um das erziehungsschwierige Kind. Zur Rationalität der Arbeitsteilung zwischen Psychiatrie und Fürsorgeerziehung am Beispiel der Geschichte der Innsbrucker Kinderbeobachtungsstation, in: Heiner Fangerau, Sascha Topp, et. al. (Hrsg.), Kinder- und Jugendpsychiatrie im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit. Zur Geschichte ihrer Konsolidierung, Berlin 2017, S.557-575.

Dieser Beitrag hat 5 Kommentare
  1. Diese Villa ist in der Brandjochstrasse Ecke Sonnenstrasse ( die sogenannte „Steyrer Villa“ ), obengenannte Station ist in der Sonnenstrasse weiter westlich auf der rechten Seite gewesen.

    1. Die Autorin hat recht, Herr Feldkirchner. Das Bild ist vom richtigen Haus am Eck Sonnenstraße und Oppolzerstraße, das je nach Jahrzehnt und Funktion Steyrer-Villa, Vogl-Villa oder Villa Kunterbunt (bei uns als Kinder auch Sandler-Villa) genannt wurde.

      1. Die Sandler-Villa,

        als ich vor 30 Jahren auf meinem Schulweg oft an der verfallenen Villa vorbei ging, wohnte Dort ein alter grauhaariger Obdachloser. Irgendein Erwachsener erzählte mir, dass dort ein Kinderkrankenhaus gewesen sei und der obdachlose Mann dort als Arzt tätig gewesen wäre, und nachdem ein Feuer ausbrach wurde der Betrieb des Krankenhauses eingestellt, der Mann verlor seinen Job und blieb dort. Das war demnach wohl nur ein Märchen was man neugierigen Kindern erzählte. Die Punks haben dann wenigstens Leben in die Geistervilla gebracht und den ganzen Müll entfernt , zum Dank wurde die Villa dann geräumt.

  2. Zu Frau Dr. Vogl habe ich auch eine persönliche Erinnerung. In meinem Studienmeldebuch find ich im Wintersemester 1964/65, also vor 58 Jahren als 21jähriger die besuchten Vorlesungen von Dr. Vogl, Jugendverwahrlosung und Übungen dazu, jeweils eine Wochenstunde. Dazu wurde in jeder Stunde der Fall eines Buben oder Mädchens geschildert und in der anschließenden Übung dieses Kind wie auf der Bühne vor uns ca. 50 Studenten vorgeführt, dabei mit Befragungen und Maßnahmen konfrontiert. An Details kann ich mich nicht mehr erinnern, aber an das Gefühl sehr wohl, dass diese Kinder uns völlig ausgeliefert waren, wie Mäuse in einem psychologischen Experiment. Man muss allerdings noch dazusagen, dass damals in der Psychologie und auch im klinisch-psychiatrischen Bereich in deren höheren wissenschaftlichen Sphären, in denen auch wir schwebten, die Faszination einer mechanistischen Betrachtung des Menschen um sich gegriffen hat, Begriffe wie Verhaltenstherapie, programmiertes Lernen usw., so dass wir zu wenig sensibilisiert waren, die Folgen dieser Vorführungen zu realisieren. Meine Frau, zusammen mit ihren Kolleginnen, hat übrigens Jahre später im Rahmen eines heilpädagogischen Kongresses in einem Referat der Frau Dr. Vogl deren These, dass Erziehung ohne Angst nicht funktioniere, eine auch wissenschaftlich fundierte Absage erteilen können.

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