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Ein Notarztwagen Auf Abwegen

Ein Notarztwagen auf Abwegen

„Was ist das?“ habe ich letzte Woche gefragt und der heutige Titel enthält bereits die Kurzkurzantwort. Im Nachhinein vielleicht ein Rätsel der „Marke „Ihr werdet es nie erraten“ für mich war es eines der Marke „Wenn man es weiß…“ Es hätte ja sein können, dass sich jemand an die mediale Berichterstattung erinnert…

Die Kurzantwort: Das Foto aus dem Jahr 1984 zeigt die pensionierte Krankenschwester und Logopädin Wiltrud Neuner mit einem zum Campingwagen umfunktionierten Notarztwagen wohl vor ihrem Haus in der damaligen Höhenstraße 25.

Die etwas ausführlichere Antwort zum Hintergrund dieses Bildes: Vor fast genau 50 Jahren, im Herbst 1972 bekam das Amt der Tiroler Landesregierung vom Österreichischen Herzfonds einen leeren Wagen geschenkt, der als erster Innsbrucker Notarztwagen dienen hätte sollen. Auflage war, dass dieser von der Medizinischen Universitätsklinik betrieben würde. Weil diese aber laut Tiroler Krankenanstaltengesetz nicht Träger eines solchen Unternehmens sein konnte, und das Rote Kreuz dem Geschenkgeber – aus medial nicht überlieferten Gründen – offenbar nicht genehm war, forderte dieser den Wagen nach etwa einem Jahr des bürokratischen Hickhacks wieder zurück. (vgl. u.a. TT vom 14.7., 8.9. und 12. 9. 1973). Ein erboster Leserbriefschreiber fragte daraufhin, „Sollen die Tiroler wegen der Wiener sterben? Jetzt geht es um uns alle, daß wir zusammenstehen und diesen Wagen sobald als möglich finanzieren. Das Motto soll lauten: ‚Jetzt erst recht 1809.'“ (TT, 15.9.1973).

Der nationale Tiroler Rettungsschulterschluss im Geiste Andreas Hofers zeigte natürlich sofortige Wirkung: „Jetzt Notarztwagen für Innsbruck gesichert“, vermeldete die Tiroler Tageszeitung nur wenige Monate später, am 9. November 1973. Die Gebietskrankenkasse hatte nämlich zugesichert, 350.000 der 700.000 erforderlichen Schilling zur Anschaffung bzw. Ausrüstung eines Notarztwagens für das Rote Kreuz zur Verfügung zu stellen. „Jetzt“ erwies sich dabei allerdings als äußerst dehnbarer Begriff. Am 5. November 1974, also fast exakt ein Jahr später, hieß es nämlich fast exakt gleich: „Innsbrucks Notarztdienst jetzt gesichert“. Dem Roten Kreuz war nämlich „vor ungefähr einem halben Jahr ein Notarztwagen kostenlos zur Verfügung gestellt“ worden. „Da die erforderlichen Betriebskosten bis vor Tagen jedoch von keiner öffentlichen Stelle flüssiggemacht wurden, steht das Fahrzeug noch ungenützt herum.“ Nun habe aber der Lions-Club Westtirol 100.000 Schilling aufgebracht, weitere Spenden würden gesammelt und auch das Land Tirol habe seine Unterstützung zugesichert.

Aber: Noch im Dezember stand der Notarztwagen in der Garage. Und daran sollte sich auch in den folgenden Monaten und Jahren nichts mehr ändern. Warum? Weil sich Politik, Klinik, Rotes Kreuz und Versicherungsträger nicht über eine Organisationsform, Trägerschaft und Betriebsfinanzierung einigen konnten. Es sollte noch sage und schreibe ein Jahrzehnt dauern, bis der Notarztwagen tatsächlich in Innsbruck eingeführt werden konnte. Ob in diesen Jahren jemals jemand die Frage „Sollen die Tiroler wegen der Tiroler sterben?“ stellte, ist nicht überliefert.

Anlässlich der tatsächlichen Inbetriebnahme der Notarztwägen 1983/84 ging der Journalist Gerd Sallaberger, der sich sehr für diese Sache engagiert hatte, dem Schicksal des ersten Fahrzeugs nach: Also, eigentlich nicht des allerersten, denn der war ja ein wankelmütigen Wiener, der nach kurzem wieder von dannen zog. Im Gegensatz zum zweit-ersten, der sich als deutlich treuer erwies, sicher ein Tiroler (auch wenn andere behaupten mögen, er sei ein Franzose) und dem Land und seinen BewohnerInnen langjährige gute Dienste erwies. Nachdem er ausreichend lange in einer Garage herumgestanden hatte, ging er zunächst in den Besitz des Trickskifahrers Heinz Lutz und dann eben von Wiltrud Neuner über.

Bericht zum Titelfoto des Beitrags, beides veröffentlicht in der TT vom 2. Oktober 1984

(Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, NL 06.46.03.04-10, TT vom 2. Oktober 1983, Foto und Text: Gerd Sallaberger)

Dieser Beitrag hat 8 Kommentare
  1. Ich spiele den advocatus diaboli und flüstere ins Ohr: Psst! Das ist nicht das Haus Höhenstraße 25. Das sieht ganz anders aus, hat keinen Balkon und Fenster anstelle der durchgehenden Mauer auf dem Titelbild.
    Wenn jetzt Frau Neuner mit dem Auto zu anderen Wassersportlern gefahren ist, um sie (oder sie oder ihn) zu einer Fahrt zum Gardasee „auhocken“ zu lassen, und diese Person noch schnell ein Erinnerungsfoto gemacht hat….irgendwo in Innsbruck (oder Tirol),,. Oder sie hat irgendwo in Hötting eine Garage für ihren Bus gehabt, beim Haus dabei ist keine. Also nach wie vor, wo ist das, samt dem Spiegelbild?

    1. Lieber Herr Hirsch! Ist das tatsächlich Ihr Ernst? Müsste ich den Beitrag jetzt genau genommen erst wieder als Rätsel kennzeichnen?

      1. Lieber Herr Bürgschwentner,

        ich konnte halt im besten Willen keinerlei Ähnlichkeit zwischen dem Haus hinter dem Auto und dem Haus, wie man es auf Google Earth 3D sieht, erkennen. Es sei denn, der Balkon wurde entfernt, bzw verkleinert und großteils durch eine durchgehende Blumenbank ersetzt sowie nachträglich Fenster eingebaut. Es ist ja auch ein Dachausbau erfolgt, vielleicht? Hoffnungsschimmer: Neben dem Haus steht immer noch eine Birke, in 35 Jahren wie sichs gehört deutlich gewachsen.
        Südwestseite
        https://postimg.cc/grv1j2ZX

  2. Eine wahrhaft tragische Geschichte!
    Spontan ist mir der Tod eines Nachbarkindes 1976 eingefallen, welches in der Badewanne verunglückt war. Vielleicht …….

    Ganz sicher sind in all den Jahren Todes- oder Langzeitfolgen aufgetreten, welche bei – damals – bestmöglicher Versorgung vermeidbar gewesen wären! Niemand kann es beweisen, zählen oder einem jener zuordnen, welche als Mitschuldige in allen Ehren in Pension gegangen sind.
    Es nützt niemandem mehr, – aber diese interessante Geschichte macht schon sehr nachdenklich …

  3. Da wiehert der Amtsschimmel! Im Nachhinein erscheint es natürlich skandalös und unglaublich fahrlässig, dass die Bevölkerung über 10 Jahre auf einen Notarztwagen warten musste. In diesen Jahren sind bestimmt viele Menschen gestorben, welche bei rascher notärztlicher Hilfe noch gerettet hätten werden können.

  4. Ich habe Heinz Lutz mal über den Beitrag hier informiert – vielleicht mag er ja selber auch ein paar alte Geschichten zu dem Fahrzeug zum Besten geben. 😉

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