Die Hirtenstimme
Im Zuge des bewegten Jahres 1848 wurden die Innsbrucker im Mai zu den Urnen gebeten um für den tirolisch-ständischen Kongreß zwei Abgeordnete sowie zwei Ersatzmänner zu Wählen. Anders als heute gab es zwei Wahltage, Samstag und Sonntag, ebenfalls anders als heute gab es noch einige Einschränkungen für das aktive Wahlrecht.
Wahlberechtigt waren nur Staatsbürger, welche die folgenden Voraussetzungen erfüllten:
- Männlich
- Über 24 Jahre
- Seit über einem Jahr in Innsbruck wohnhaft
- Selbstständig
- Volle Rechtsfähigkeit
- Grund- oder Erwerbssteuerzahler oder eine „der Klasse der Intelligenz zugehörigen Beschäftigung“
Das passive Wahlrecht erhielt man erst nach Zurücklegen des dreißigsten Lebensjahres.
Solche Beschränkungen des Wahlrechts blieben auch nach 1848 die Norm in der Habsburgermonarchie. Trotz mehrerer Wahlrechtreformen war nur ein kleiner Teil der männlichen Bevölkerung wahlberechtigt, ebenso wurde in Kurien gewählt, durch welche die Stimmen einkommensschwächerer Bürger weniger Gewicht erhielten. Erst 1907 erfolgte die Einführung des allgemeinen gleichen Wahlrechts – für Männer.
Die starken Beschränkungen erscheinen uns heute selbstverständlich unsinnig, doch im 19. Jahrhundert bestand dieser Konsensus nicht. Auch vielen Liberalen ging das allgemeine gleiche Wahlrecht lange zu weit. Unter anderem wurde diskutiert, in wie weit Bildung und Vermögen ein geeigneter Indikator für die Intelligenz einer Person waren. Doch solche Debatten verfehlten den Kern der Sache – es geht bei der Demokratie schließlich nicht nur um das Treffen von richtigen Entscheidungen, sondern vor allem um Interessensvertretung. Der beste und enthusiastischste Vertreter seiner Sache ist man in der Regel selbst – andernfalls ist man stets auf das Wohlwollen anderer angewiesen, denen mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit doch auf lange Sicht die eigenen Interessen näherliegen.
Der Bischof von Brixen, Bernhard Galura, hier nur Barnard genannt, erhob anlässlich der Ausschreibung der Wahlen seine Hirtenstimme um die Tiroler aufzurufen, sich des von Seiten des Kaisers in sie gesetzte Vertrauens als würdig zu erweisen. Sie sollten das Wahlrecht nutzen, aber nicht die Waffen gegen die Obrigkeit erheben.
(Signatur VO-1431)