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Der „böse“ Ludwig (Teil I)

Der „böse“ Ludwig (Teil I)

Wäre der Begriff Shitstorm 1908 bereits ein fester Bestandteil des deutschen Vokabulars gewesen, so hätte man ihn definitiv für die Ereignisse rund um die Person Ludwig Wahrmund (1869-1932) verwenden können. Aber was hat der Gute verbrochen? War er ein Dieb, ein Heiratsschwindler oder ein Serienmörder? Nein. Hatte er lediglich eine andere Meinung, die dem katholischen Tirol sauer aufstieß? Ja.

Wahrmund war ein gebürtiger Wiener und verbrachte seine Schul- und Studienzeit auch dort. Nach seiner Habilitation wurde er an die Universität Czernowitz berufen, wo er als Kirchenrechtler tätig war, bis er 1897 an die Universität Innsbruck wechselte, was sowohl beim damaligen Brixner Bischof Simon Aichner als auch beim konservativen Landeshauptmann Theodor von Kathrein (1904-1916) Zustimmung fand, zumindest zu Beginn.

Das böse Erwachen ließ nicht sehr lange auf sich warten. 1902 verhöhnte Wahrmund während einer Vorlesung die Sieben Sakramente und kritisierte den Priester und Journalisten Georg Jehly, der den Papst als höchste Instanz der Weltordnung bezeichnete. In einer anderen Lehrveranstaltung forderte Wahrmund die Studenten auf, sich vom Konservativismus zu lösen, um die Differenzen zwischen der Kirche und der modernen Welt abzubauen. Das Skript zu seiner Vorlesung übergab er dem Tiroler Tagblatt und der Jagdinstinkt der konservativen Presse wurde geweckt. Sie attackierten Ludwig Wahrmund und behaupteten, dass seine Publikationen eine „Verspottung der katholischen Lehre darstellten“ (IN, 29.4.1908, S.7). Die deutschfreiheitlichen Studenten hingegen begrüßten Wahrmunds Unterrichtsstil. Die Wahrmund-Affäre war somit geboren. Der konservative und national-liberale Flügel stritten sich nun darüber, ob Wahrmunds Vorlesungen ein Symbol für die Lernfreiheit oder lediglich antikatholisches Geschwätz darstellten. Inmitten der Streithähne befand sich der scheinbar überforderte Unterrichtsminister Gustav Marchet (siehe Karikatur). Hier schien ein Konflikt herangewachsen zu sein, der sich nicht eben einmal beim täglichen Kaffeekränzchen lösen lässt. Fortsetzung folgt.

(Verena Kaiser)

(Foto: Kikeriki, 14.6.1908)

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