Der Badewaschl als Moralist
Ein Bild aus der Sammlung Kreutz hat den Autor dieser Zeilen den Begriff Damenschwimmbad Anno-googlen lassen, und erschienen ist die Institution am Ende der Museumstraße, bereits jenseits der Bögen, in der sich viele Jahre die Innsbrucker Damenwelt ungestört von männlicher Zudringlichkeit den einfachen Vergnügungen des Schwimmens und Sonnenbadens widmen konnte; Kinder waren erlaubt. Dieses Konzept ist bis heute sowohl bei religiösen Gruppen als auch in feministischen Kreisen immer wieder im Gespräch – und löst bei Menschen, die offenbar darauf warten, dass einer dieser Teile unserer Gesellschaft etwas gänzlich Neues fordert, was es scheints so noch nie gegeben und gebraucht hat, aufrichtige Scheinempörung aus.
Weit gefehlt: Schon vor 98½ Jahren, im August 1923, wurde hier um des Kaisers Bart gestritten. Konservative Sittenwächter und -wächterinnen stellten die hier von freigeistigeren Frauen geübte Praxis, bisweilen die Sonnenanbetung so weit zu treiben, dass Teile der Haut sichtbar würden, in einen großen Kontext von Moral, Körperlichkeit, vormoderne Endzeitstimmung und Verfall besagter Sitten. Vordergründig richteten sich die Gattinen und Schwägerinnen der Stadtpolitiker Unfreundlichkeiten aus, im Hintergrund werkten Exponenten der hier nicht zugelassenen katholischen Geistlichkeit und die Männer der Stadtpolitik links und rechts der Mitte.
Zunächst fasste sich eine (von der [stehen gelassener Tippfehler, s.u.]) Leberbriefschreiberin der sozialdemokratischen Volkszeitung ein Herz:
So eine Frechheit konnte natürlich im konservativen Allgemeinen Tiroler Anzeiger nicht unbeantwortet bleiben. Dieser nicht unterzeichnete Artikel dürfte dem Ton nach von einem Mann geschrieben worden sein.
Hier, zu Beruhigung der Gemüter, noch die Badeordnung von 1916 aus unseren Adressbüchern.
Herrlich! Ein ähnliches, aber nicht identisches Schwesternbild des Schwimmbads kann man auch in diesem Beitrag bewundern:
https://innsbruck-erinnert.at/eine-horde-nixen/
1915 fungierte das Damenschwimmbad interessanterweise als Sammelstelle für Wolle, Stoffe und Kautschuk. Organisiert wurde die Sammlung vom Kriegsfürsorgeamt:
„Die Woll- und Kautschuksammlung des
Kriegsfürsorgeamtes findet in Innsbruck
Samstag, den 30. Oktober, statt. In der Zeit
zwißben 8 bis 12 Uhr vormittags und 2 bis
6 Uhr nachmittags werden Volks- und Bürger-
schüler unter Leitung und Aufsicht ihrer Lehrer
die bereitgehalienen Gaben in den Wohnungen
abholen. Die Bevölkerung wird dringend ersucht,
die als Spenden bestimmten Kleider, Stoffe und
Stoffabfälle usw. nur in gut verpacktem Zustande
den Knaben zu übergeben; die Annahme nicht
verpackter Gegenstände ist den Sammlern unter-
sagt. Sollte aus irgend einem Grunde der Weiter-
transport der Spenden durch die jugendlichen
Sammler nicht möglich oder nicht erwünscht sein,
so wird ersucht, den Knaben bekannt zu geben,
wo und wann die Abholung auf andere Weise ge
nehm ist; gegebenenfalls können Spenden. auch
direkt an die Sammelstelle im Damenschwimmbad
in der Fabriksallee geleitet, werden.“
Lieber Herr Hofinger, Sie haben da mit „Leberbriefschreiberin“ wirklich ein drolliges neues Wort kreiert. Eine köstliche Wortschöpfung, welche wohl impliziert, dass sich manche Leserbriefschreiber*innen etwas von der Leber herunter schreiben.