Bürgermeister? Nein danke! (II)
Das dachte sich zumindest Joseph von Sölder zu Prankenstein (auch Pranckenstein geschrieben) im Herbst 1857. Aber ich greife vor. Im Herbst 1857 suchte man in Innsbruck bereits recht verzweifelt nach einem Bürgermeister (mehr zu den Hintergründen erfahren Sie hier). So ist im Protokoll der Bürgerausschuss-Sitzung vom 17. Oktober 1857 zu lesen, „daß die größte Zahl der Bürger-Ausschuß-Mitglieder in vorausgegangenen wiederholten vertraulichen Besprechungen sich dahin geeiniget habe, auf die Wahl eines Bürgermeister-Stellvertreters nach § 54 des prov. Gemeindegesetzes dermalen nicht eingehen zu können, weil die zu einer Bürgermeister-Stelle befähigten Ausschuß-Mitglieder eine Wahl für eine ihrer ganze Thätigkeit in Anspruch nehmende Stellung nicht wünschen […].“ Stattdessen wurde – aus nicht näher dargelegten Gründen – der Beschluss gefasst, dem damaligen Vorstand des Grazer Stadtmagistrats, Joseph von Sölder zu Prankenstein (er stammte aus einer alten Tiroler Familie), die Bürgermeisterstelle anzutragen. Zu diesem Zweck wurde eine vierköpfige Delegation, bestehend aus dem Magistratsrat Anton Wallnöfer, dem Ministerialrat Dr. Johann Haßlwanter, dem Gubernialrat Theodor Ritter von Kern und dem Altbürgermeister Dr. Anton Clemann, nach Graz entsandt. Ihre Mission blieb jedoch ohne Erfolg. Sölder, der seit 1850 dem Grazer Stadtmagistrat leitete und in der steirischen Landeshauptstadt hohes Ansehen genoß, lehnte dankend ab. Seinem Bruder Peter, der in Obermais bei Meran lebte, berichtete er im Jänner 1858 brieflich darüber:
[…] Bezüglich Innsbruck Folgendes: Mir wurde telegraphiert, ich sey als Bürgermeister gewählt, der Brief enthalte das Nähere, ich möchte mit Ja oder Nein meine Meinung bekanntgeben. Ich war gerade im Begriffe eine officiose [sic] Reise auf eigene Kosten nach Pest zu machen, was ich an nehmlichen Tag ausführte. Bey meiner nach 9 Tagen erfolgten Ankunft lag der Brief hier, worin man mir 2000 fl. [heute rund 36.000 Euro] und den Titel eines Statthalterey Rathes zusicherte. Meine Antwort war: „Ihr könnt mich nur provisorisch wählen, was ich nie annehme, sollm ich gegen Jedermann gerecht und billig seyn, muß ich ganz unabhängig dastehen.“ Ich glaubte mit dem provisorisch auf die artigste Weise die Sache abgelehnt zu haben, und hielt den Gegenstand um so mehr für abgethan, als man mir schrieb, meine Ansicht habe volle Anerkennung gefunden, und man werde sehen, was zu thun sey. Nach 14 Tagen erhielt ich ein Schreiben, man habe mich definitiv gewählt, und beschloßen mittelst einer Petition an Se. Majestät den Kaiser die Genehmigung zu erwirken. Dr. Cleman [sic], Dr. Haselwanter [sic], von Kern und Mayr hätten als Deputirte die Petition dem hohen Statthalter [Erzherzog Carl Ludwig] überreicht, und aller Vorschub sey zugesichert geworden. Ich war demnach durch 14 Tage wirklich in Ängsten, es könne plötzlich ein Decret erscheinen, wo ich nicht anders könnte, als zu folgen. Am 3ten November erhielt ich endlich vom hiesigen Statthalter [Michael Graf von Strassoldo-Graffemberg] die Aufforderung, mich sogleich zu äußern, ob und unter welchen Bedingungen ich geneigt sey die Bürgermeisterstelle zu übernehmen, indem die Stadt Innsbruck um mich postulirt [= unbedingt verlangt] habe. Meine Antwort erfolgte augenblicklich dahin, Familienverhältnisse erlauben mir nicht diesen Posten anzunehmen, daher ich danke. Seit dieser Zeit weiß ich nicht, was geschah, und kümmere mich auch nicht weiters.
Nicht Arbeitsscheue oder Schrecken vor dem Zustand war die Triebfeder, sondern die Geldfrage hat mich hiezu bestimmt. Die Übersiedlungs- und Einrichtungskosten sammt Uniformirung kosteten mich wenigstens 3500 fl., was ich nie hereinbringen kann. Hier habe ich 1800 fl. und die 200 fl., die ich dort mehr bekäme reichen nicht hin um das kostbilligere Leben zu decken, ich muß dort ein Haus machen, brocke demnach jährlich über 1000 fl. aus Eigenem zu, und zu was? Ferners könnte ich mich dort nie pensioniren laßen, denn mein Ehrgefühl würde nicht zugeben, daß ich dür wenige Jahre der Stadt soviel Kosten verursache, hier habe ich gewirkt, und Vieles geschaffen und meine ganze Kraft angewendet, sohin ich mir auch gar nichts daraus mache, die Pension dann nachzusuchen, wenn ich glaube mit Solcher leben zu können.
Die hiesige Bürgerschaft hat mir eine Petition, gefertigt von 2000 Bürgern durch eine Deputation von 100 Bürgern überreicht und darin auf eine recht gemüthliche Weise gebethen, daß ich hier verbleiben möchte. Der bessere Theil der ganzen Stadt hat mir Beweise geliefert, daß man mein Scheiden sehr bedaure, wie auch daß man mein redliches Wirken ganz genau erkenne. Warum soll ich unter solchen Umständen mich weg wünschen, Feinde habe ich hier, und binnen Monathsfrist bekomme ich Solche dort. Hier kenne ich alle Zustände, man schenkt mir allseitig Vertrauen, was ich dort erst erwerben muß, um thatkräftig eingreifen zu können. Meine Frau wäre ebenfalls mit gebrochenem Herzen von Gratz geschieden, und ich verhehle es auch nicht, der Abschied würde auf mich den sonderlichsten Eindruck gemacht haben. Über 22 Jahre bin ich hier thätig und wirksam, kenne alle Persönlichkeiten, bin vertraut mit allen Zuständen, wende weder von der Gensdarmerie [sic], Polizey noch Geistlichkeit controllirt, weil ich accredirt dastehe, sohin mein Hierseyn Vortheile mir gewährt, auf die ich dort für lange Zeit gänzlich verzichten müßte, und wer kennt die Zukunft, die nicht weniger als günstig sich nach meiner Ansicht zu gestalten scheint? […]
Wie die schier endlose Suche nach einem Bürgermeister für Innsbruck weiterging, lesen Sie im dritten und letzten Teil dieser kleinen Serie.