Auf Entdeckungsreise
Als ich das Foto das erste Mal gesehen habe, war mein erster Gedanke:
Wieso stehen so viele Fußgänger auf der Seite? Können diese aufgrund des Verkehrs die Straße nicht passieren?
Beim genaueren Hinschauen kamen mir dann Zweifel. Vielleicht sind sie stehen geblieben, um etwas zu beobachten. Nachdem viele Fahrradfahrer die Innbrücke überqueren, findet vielleicht ein Velorennen statt?
Je länger ich mir das Foto anschaue, umso mehr kann ich entdecken:
die Frau mit dem Sonnenschirm, Menschen mit Arbeitsschürzen, nicht entzifferbares Schild am Pfosten, Soldaten auf der Innbrücke, abgeteilte Gehwege auf der Innbrücke, nicht befestigte Innstraße, Brückenlaternen, Fahrradfahrer, der seinen Hut festhalten muss, gepflasterter Weg zur Brücke, ein Einspänner, Männer in Anzügen, Plakatsäule, Fahnen am Stadtturm, ….
Was fällt Ihnen noch alles auf?
(Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Sammlung Walter Kreutz, KR/Pl-344, um 1900)
hier schon ein gepflasterter Fußgängerüberweg.
Das große Gebäude visavis des Inn die sogenannte Innkaserene.
Noch etwas Schnee am Berg, Fahnen am Stadtturm zeugen von einem Feiertag, könnte der 1.Mai sein.
2 Strommasten mit je 2 Drähte gibt’s auch bereits. Vermutlich noch vom Mühlauer Kraftwerk. Ab dem Sillkraftwerk gab es meist 4 Drähte.
Folglich wäre die Aufnahme zwischen 1890 und 1904 entstanden.
Bis auf die Frau mit weißem Kopftuch und den Lausbuben im Vordergrund scheint die Devise zu lauten:
„Man trägt Hut!!! (oder zumindest sportliche Schildkappe)
Der erwähnte Einspänner hat nicht mal Platz für eine Kiste Bier, selbst Mitfahren wird eng. War wohl nicht für jedermann, obwohl Preis und Spaß der Ausfahrt in erster Linie vom Pferdchen abhängen mag. Dieses hier erscheint schon mal recht elegant.
Auf der Brücke kommt’s bald zu einer Begegnung mit einem weiteren Gespann. Falls es kein Begleitfahrzeug des Strada del Inn Giro sein sollte wird’s eng für die Velos.
Der Einspänner ist ein Gig, der sich mit Kea, Ara und Ern die Kreuzworträtsel Dreifelderfragen teilt. Verzeihung, wenn es doch DIE Gig heißen sollte. Der Besitzer dürfte das Vehikel aus den selben Beweggründen (buchstäblich Beweggründen) gefahren haben als die späteren Besitzer englischer Zweisitzersportwagen.
Critical Mass war es damals nicht.
Vielleicht hat es mit dem was zu tun: https://innsbruck-erinnert.at/frischluft-freiheit-fahrrad/
Wobei diese Radfahrer eher „casual“ daherkommen
Radfahrer sind zwar einige unterwegs, für ein Rennen aber bestimmt zu langsam, es sei denn, dass hier der/die Letzte gewinnt. Soll’s auch schon gegeben haben. Bei der damaligen Belichtungszeit müssten sonst alle verschwommen sein, wie der Arm der eben zum Hut fährt. Auch warten die Leute eher nicht bis sie rüberkommen, den der Spitzbub in der Mitte spricht dagegen. Ich denke da kommt noch irgendein Ereignis über die Brücke heran und bilde mir ein hinter dem Gespann dort viele Köpfe zu erkennen.
Irgendwas festliches vielleicht, wie es auch die Fahnen am Stadtturm andeuten? Der langen Rede kurzer Sinn: Nix genaues weiß man immer noch nicht.
Ich habe versucht, das Aufnahmedatum mit Hilfe der Asphaltierungsfrage herauszufinden. Die Innstraße wurde 1927 asphaltiert. Für die Innbrücke habe ich bisher nur einen Hinweis gefunden. Demnach wurde sie 1932 asphaltiert, was ich nicht recht glauben kann, weil das knappe 60 Jahre (!) nach ihrer Einweihung gewesen wäre.
Herr Pechlaner konnte das mit seiner Methode (Stand der Elektrifizierung) ohnehin bedeutend näher eingrenzen, was auch mit der Kleidung der Menschen besser überein stimmt. Aber ob zwischen 1890 und 1904 der 1. Mai schon ein Feiertag war?
Evtl. machten die schneidigen Radler einen Vereinsausflug. In Sachen Ausflüge waren die zahlreichen Innsbrucker Radfahrerclubs recht rege, wobei der Treffpunkt Innbrücke ein beliebter gewesen sein dürfte:
Am 15. 8. 1901: „(Radfahrer-Club Union.) Morgen Verbandesfahrt, resp. Entgegenfahrt. Abfahrt morgens mit dem Verbande nach Silz oder mittags nach Telfs, von der Jnnbrücke.“ (IN, 14. 8. 1901, S 7)
Am 29. 3. 1902: „(Radfahrerverein »Veldidena.«) Morgen Vereinsausflug nach Telfs. Zusammenkunft halb 2 Uhr Innbrücke, Abfahrt 2 Uhr.“ (IN, 28. 3. 1902, S 8)
Am 24. 8. 1902: „Radf.-Klub (»Jnnsbrucker Schwalben.«) Morgen Ausflug nach Telfs Treffpunkt bei Seiser 2 Uhr Abfahrt von der Jnnbrücke“ (IN, 23. 8. 1902, S 7) usw. usw.
So wie die Fahnen am Stadtturm flattern und nicht nur ein Radfahrer seinen Hut festhält, fand das Ereignis bestimmt an einem klassischen Innsbrucker Föhn-Tag statt.
Frau Stolz hat sicher recht, auch wenn es bereits Maiaufmärsche gegeben haben mag, war der 1.Mai erst 1929 ein Feiertag. Beflaggt man den Stadtturm übrigens auch an katholischen Feiertagen?
Die Jahreszeit schätze ich der, an manchen Bäumen noch fehlenden Belaubung nach auf Frühling. Auch liegt noch Schnee am Kili.. nein, am Glungezer. Augusttermine scheiden dann schon mal aus.
Ostern war im Jahr 1902 der 30.März. Der Radausflug am 29. März könnte dann mit der Beflaggung und der Jahreszeit zusammen passen.
Hatte mich vertippt. Der 1.Mai ist nicht erst seit 1929 sondern bereits seit 1919 ein Feiertag in Österreich
zum Kommentar von Herrn Pechlaner, das Jahr 1904 stimmt nur teilweise. Die Werke in Mühlau versorgten noch länger mit ihrem Zweiphasenstrom einen Teil von Innsbruck. Der Grenzbereich der Stromversorgung war um den Burggraben. In der Stainerstrasse/ Marktgraben befand sich die erste Schaltzentrale der städt. E-Werke. Mühlau, Saggen, Altstadt und Teile von Hötting wurden von Mühlau versorgt. Der südl. Teil von Innsbruck vom Sillwerk. Es gab aber auch eine Zweiphasen- und Drehstrom Trafo-Verbindung zwischen beiden Netzen. Spätestens 1923 wurde alles auf Drehstrom umgestellt.