Abschied vom Führer
Ich erinnere Sie nur ungern an schlimme Zeiten, aber heute ist der letzte Tag unserer Ausstellung „Gebt dem Führer euer Ja!“ in der Stadtbibliothek, Amraser Straße 2. Besonders in den letzten beiden Wochen haben sich noch überraschend viele Innsbrucker*innen dazu entschlossen, diese Sommerschau über die Apriltage 1938 zu besichtigen. Am Dienstag wird die Ausstellung abgebaut, die von besorgten Bürgern befürchtete Bücherverbrennung wird nach Rücksprache mit der Berufsfeuerwehr doch nicht stattfinden. Sie können sich aber noch bis Ende Oktober unsere Haupt-Ausstellung im Stadtarchiv (Badgasse 2) ansehen, die sich der interessanten Geschichte der Innsbrucker Feuerwehren widmet.
Zu einem zentralen Teil der Ausstellung über die Innsbrucker Volksabstimmungen 1938 hat sich unser Wahlurnenkino entwickelt. Daher hier als Service für Stubenhocker*innen der kurze Amateurfilm, der erst 2022 aufgetaucht ist und doch wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge unseres Ausstellungsthemas gepasst hat. Weil man das heutzutage offenbar machen muss, eine Triggerwarnung für Empfindsame: Es werden Hakenkreuze gezeigt.
Ein Amateurfilm, der die Propaganda entzaubert.
Das wichtigste Element von Propaganda ist die totale Kontrolle der Bilder. Niemals wurde ein Bild von Adolf Hitler publiziert, bei dem ihm Schweiß auf der Stirn steht oder der Scheitel nicht perfekt sitzt. Die Bilderprofis der NSDAP machten genaue Vorgaben, was in den unzähligen illustrierten Blättern des Reiches erscheinen durfte – und was nicht.
Weil man private Fotografien und Filmdrehs nicht so leicht kontrollieren konnte, kommt ihnen bei der späteren Betrachtung von durchgestalteten Veranstaltungen eine besondere Rolle zu. In der Ausstellung läuft ein kürzlich über eine amerikanische Internetplattform aufgestöberter Farbfilm, den wohl ein Nazi- Funktionär mit privilegiertem Zugang zu den Ereignissen privat gedreht hat. Dabei lugt er auch hinter die Kulissen und zeigt Details, die bei Propaganda streng genommen nicht ins Bild sollen: Er filmt gelangweilte Funktionäre, aber auch Kollegen, die Einstellungsdetails proben, einen anderen, der auf dem Dach des Hotels Tyrol sichtbar unter Höhenangst leidet, und auch den Kameramann auf dem Balkon des Führers, der doch selbst laut Regieanweisung stets unsichtbar bleiben sollte.
Das Stadtarchiv wird versuchen, mehr über den noch unbekannten Filmautor herauszufinden.
Auch beim groß aufgezogenen Kleinbild aus der Sammlung des Innsbrucker Fotoamateurs Jörg Thien, das wir auf der Fensterscheibe Richtung Viaduktbögen platziert haben, sieht man neben dem (ob der Bewegung des Zuges etwas unscharfen) Führer einen Propaganda-Kameramann bei seiner Arbeit: aus dem Fenster nebenan die triumphale Einfahrt drehend.
(Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Digitalkopie eines Farbfilms ungeklärter Provenienz vom 5. und 6. April 1938, 7 min 45 sek)
Der unbekannte Amateurfilmer könnte vom Hotel Victoria oder Hotel Europa zum Hitlerbalkon herübergefilmt haben. Möglicherweise ist er auf diesem fotografischen Gegenschuss aus dem Fotoarchiv Heinrich Hofmann im Bestand der Bayerischen Staatsbibliothek zu erkennen:
https://bildarchiv.bsb-muenchen.de/metaopac/search?id=bildarchiv90321&View=bildarchiv