Das ist ja mal was ganz Neues: Mit den Augen des unbekannten Fotografen XIII
Auch wenn wir nun schon eine ganze Zeit lang mit unserem Fotografen unterwegs sind: Heute gibt es eine Premiere! Denn unsere Ausflüge haben uns bislang eher in die äußeren Stadtteile und ins Umland von Innsbruck geführt, und auch bis nach Imst und Südtirol. Einmal waren wir sogar schon nah dran, da haben wir einen Blick in die Herrengasse geworfen – aber im Herzen der Innsbrucker Altstadt, da waren wir halt doch noch nie.
Den Blick aufs Goldene Dachl können wir getrost den Touristen und Ansichtskartenfotografen überlassen. Auch in Richtung Norden gibt es viel zu sehen. Reges Treiben auf der Straße, der ein oder andere Passant hält zum Glück still, damit ihn die Kamera schön scharf einfangen kann. Oder sie. Wie das Mädchen direkt vor uns, im dunklen Kleid, die helle Puppe fürsorglich an sich gedrückt. Hat unser Fotograf etwa vor einigen Jahren Nachwuchs bekommen? Ist das etwa bereits die nächste Generation? Oder ist das Mädchen nur zufällig vorbeigekommen, auf dem Weg zur anderen Straßenseite, wo ihre beste Freundin bereits wartet, die Puppe ebenfalls fest umklammert?
Hinter eben dieser wartet auch das Helblinghaus mit spannenden Details auf. Seine ganze Ecke „ziert“ – und das ist wohl auf jeden Fall unter Anführungszeichen zu setzen! – eine großformatige Plakatwand. Hier wird links für Arabia-Kaffee geworben, darunter eine Eröffnung angekündigt. Und in der Mitte lockt Palma – was immer das auch gewesen sein mag – und auch noch so manch anderer. Plakatexperten könnten wahrscheinlich die markanten Bildplakate rechts im Bild locker identifizieren. Ein Jäger und ein Sportler? Oder doch zwei Soldaten im Krieg? Die beiden Männer links im Bild scheinen von den Plakaten jedoch herzlich wenig beeindruckt. Bewundern sie den Stuck im ersten Stock? Oder das harmonisch in den Gebäudeschmuck eingefügte Firmenschild von Anton Reiter (der hier laut den Innsbrucker Adressbüchern um 1900 zunächst eine Strumpfstrickerei und später eine Garnegroßhandlung betrieb). Oder hat es ihnen der Schimmel angetan, der geduldig vor seinem Karren wartet, bereit, seine Warenladung weiterzutransportieren? Und was hat wohl die Aufmerksamkeit des Paares im obersten Stockwerk erregt?
Meine Aufmerksamkeit erregt hat auch der linke Bildrand: Ob die mächtige, in einen schön gepflasterten Sockel eingelassene Laterne nicht so manches Foto vom Goldenen Dachl gestört hat? Aber ihre Präsenz hat sicher den Verkehr in etwas geordnetere Bahnen gelenkt, wir müssen uns ja vor Augen halten, dass die Route durch die Herzog-Friedrich-Straße bis weit ins 20. Jahrhundert keine Fußgängerzone sondern eine stark frequentierte Durchzugsstraße war. A propos Verkehr. Den Verkehrsexperten ist bei dieser Aufnahme natürlich als erstes der Wegweiser auf dieser Laterne aufgefallen, der die Reisenden zur 1904 eröffneten Stubaitalbahn dirigierte. Und eben diese Experten werden mich sicher im Nu eines besseren belehren, wenn ich jetzt ganz ignorant frage: Ist es nicht ein bisschen kurios, im Herzen der Altstadt ausgerechnet den Weg zur Stubaitalbahn auszuschildern?
(Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Ph-Pl-765)