Die Phantomstraßenbahn des Ottmar Zieher – Teil 2/3
Eine sehr verdächtige Linie
Postkarten, die eine unerklärliche Phantomstraßenbahn vor dem Südbahnhof kurz nach der Jahrhundertwende zeigen und nahverkehrshistorische Rätsel aufwerfen – lesen Sie bitte den ersten Teil dieser Serie, falls Sie gerade keine Ahnung haben, worum es hier geht.
Sind Sie im Bilde? Dann werfen wir doch gemeinsam einen Blick auf die folgenden Postkartenmotive.
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Ich entwickelte nun eine gewagte These, die ich in einem Whatsapp an Werner Schröter formulierte. Meine These begründete sich in der Tatsache, dass am Südtiroler Platz im Ersten Weltkrieg am östlichen Rand vor dem Aufnahmegebäude, unweit der Position der Phantomstraßenbahn, vorübergehend eine Gleisabzweigung mit einem Abstellgleis existiert hatte. Dieses vom Militär gebaute Gleis wurde verwendet, um verwundete Soldaten aus der Eisenbahn in Lazarettzüge der Tram „umladen“ zu können. Es wurde u.a. hier bereits thematisiert. Ich schrieb an Werner:
Da hat also ein Künstler ein Foto farbig nachgemalt und kann sich dabei natürlich auch was aus den Fingern gesaugt haben, was nicht existiert, das ist ja oft genug gemacht worden. Aber dafür ist die Darstellung m.E. zu präzise, und warum sollte man ausgerechnet dort einen Triebwagen hinsetzen wollen, der nicht existiert? [Der monochrome Kupfertiefdruck zeigt ihn ja auch, Anm.] hätte ich nur die kolorierte Künstlerkarte gesehen, hätte mich das gar nicht weiter interessiert und ich hätte alles für Fake gehalten. […] Ich hab‘ jetzt nochmal nachgesehen: das Stockgleis für Verwundetentransporte wurde laut Kreutz im Mai 1916 in Betrieb genommen und hat bis mindestens Juni 1919 existiert, denn da wollte die Militärverwaltung es abtragen. Die LBIHiT wollten es aber als Kostenpfand behalten. Es könnte also noch eine Weile länger existiert haben und z.B. zum Abstellen von Reserve- oder Schadwagen genutzt worden sein, weil es am Hbf zu dieser Zeit nur eine Ausweiche, aber kein Abstellgleis gab. Und das könnte vielleicht genau das sein, was hier festgehalten wurde. Es würde in die Zeit passen, in der die Karte höchstwahrscheinlich produziert wurde. Der „Bahnhof-Platz“ wurde erst 1923 zum Südtiroler Platz, wir sind also m.E. mit ziemlicher Sicherheit kurz nach Ende WW1, 1918-1922. […]
Manni Schneiderbauer an Werner Schröter
Werner war (Spoiler: ganz zu Recht!) skeptisch und wollte meine These nicht so recht teilen. Das Gleis für die Verwundeten-Züge dürfte fahrleitungslos gewesen sein, argumentierte er, denn auf keiner zeitgenössischen Fotografie oder Postkarte sei dort eine Fahrleitung zu sehen. Die Lazarettwaggons dürften seiner Vermutung nach von Hand oder mittels Zugtieren verschoben und an die auf der vorbeilaufenden Strecke der Linie 3 kurz zum Kuppen haltenden Triebwagen gehängt worden sein.
Wir wühlten also erneut in unseren Archiven und suchten nach Hinweisen auf ein Gleis mit Fahrleitung an dieser Stelle, das zudem eine Aufnahme im entsprechenden Winkel ermöglicht hätte, denn das Schienenphantom ist auf Ziehers Abbildungen etwa 20° von links zu sehen.
Nirgendwo fand sich eine Spur eines solchen Gleises oder einer Fahrleitung.
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Jetzt machte sich zumindest bei mir langsam Ratlosigkeit breit. Den entscheidenden Hinweis fand dann Werners geschulter Blick im monochromen Kupfertiefdruck. Er whatsappte mir:
Kann mir nicht erklären, warum man sich diese Arbeit antut. Aber die gesamte Hälfte ab rechts vom Hotel ist dazugesetzt. Am Berg passt nichts und ich erkenne eine Trennlinie. […] Wenn man vom linken Rand aus (Gehsteig, zweites oder drittes Haus) eine Aufnahme macht und die dazusetzt […] erklärt sich auch die Haus-Verzerrung.
Werner Schröter an Manni Schneiderbauer
Es stimmte – im Farblitho war diese kaum sichtbare Linie überpinselt und damit eliminiert worden, aber im monochromen Druck war sie noch erkennbar.
Die Linie war mir aufgefallen, aber nicht erklärlich. Nach Vergleich mit einigen anderen Bildern: die Struktur des Gebäudes stimmt, aber die vertikale Position stimmt im oberen Bereich nicht ganz. Unten stimmt sie. D.h. die Skalierung passt nicht. Die Schatten stimmen auch nicht, gut zu sehen oberhalb der Fenster, und die Fassade ist etwas heller. Der Berghintergrund ist für mich kaum beurteilbar. Auf anderen Bildern sieht das schon ähnlich aus mit diesem nach unten verlaufenden Bergkamm, aber wirklich beurteilen könnte man das nur mit genau der selben Perspektive. Ich stimme dir zu, das rechts ist dazugesetzt. Für mich sieht das so aus, als hätte man ein unvollständiges Foto ohne den rechten Gebäudeflügel und hat daher ein weiteres gemacht und dazugestückelt.
Manni Schneiderbauer an Werner Schröter
Ganz schlüssig erschien mir das dennoch nicht. Eine Erklärung für das Vorhandensein der Phantomstraßenbahn fehlte noch. Sollte sie vom Verlag Zieher doch hineinretuschiert worden sein? Aber wozu ein Bild stückeln und dann noch aufwändig neue Objekte hinzufügen, die es nicht wirklich aufwerten?
Den Triebwagen an dieser Position erklärt das aber auch nicht. Und die Bäume & Masten in der heutigen Brunecker Straße rechts neben dem Gebäude scheinen zu stimmen, die sind auch auf anderen Bildern. Für mich bleibt das ein Rätsel.
Manni Schneiderbauer an Werner Schröter
Werden wir im nächsten und letzten Teil dieser Serie den entscheidenden Beweis finden, oder bleibt Ziehers Phantomstraßenbahn doch ein ungelöstes Rätsel?
Manni Schneiderbauer
Ich mag kein Spielverderber sein, vorallem wo ich doch auf den Schultern von Riesen stehe und jetzt weiß, was man suchen muß. Ehe ich da was verlinke, kann es sein, dass das Team Manni & Wernerwas Passendes mit Tram und Buben gefunden haben?
Angenommen, die Postkarte wurde während des 1. Weltkrieges veröffentlicht. Könnte z.B. die Militärbehörde etwas dagegen gehabt haben, Fotos von kriegswichtigen Details wie dem Stockgleis für Verwundete zu veröffentlichen? War Hr. Zieher gezwungen, den rechten Gebäudeteil des Hotels durch eine Aufnahme zu ersetzen, die bspw. vor dem Krieg gemacht wurde?
Stimmt, guter Einwurf, Herr Scheitnagl. Das könnte auch die Erklärung dafür sein, dass es keine Fotos von der Tramstrecke zur und in der Krankenverteilanstalt in Pradl gibt. In Italien gab es ja auch Jahrzehnte später noch ein generelles Fotografierverbot für Eisenbahnen aus militärischen Gründen. Hier war es aber nicht der Grund; weshalb, wird in Teil 3 klar werden.
Herr Hirsch: da kam was zutage, ja. Verlinken Sie nur, ich bin gespannt. 🙂
Der Beweis, dass da bei der „Ergänzung“ geklotzt und nicht gekleckert wurde indem man die Szenerie als Ganzes vom Boden bis zu den Bergen übernahm, hat mich in ebay „Innsbruck Vereinigungsbrunnen“ suchen und prompt finden lassen.
https://tinyurl.com/yc7b57u9
Für den Fall, dass es nach Verkauf verschwindet, es geht ja immer blöd her:
https://postimg.cc/8FsmtxCG
Der Mostviertler Ansichtskartenversand hat es in seinen Beständen, verkauft hat es seinerzeit der Fürrutter.
Soweit so gut. Es bleibt aber immer noch die Frage nach dem Warum und Wieso?
Es scheint mir jetzt hauptsächlich um die Ergänzung einer (müßte man auch noch finden) linken Hälfte, auf der das Hotel Tirol nicht komplett zu sehen ist, zu gehen. Die Straßenbahn ist also Zufall und es wäre umgekehrt eine zu größe Mühe gewesen, sie aus dem Bild zu entfernen. Wird schon 100 Jahre brauchen ehe es einer merkt 🙂 .
Eile? Irgendeine „foto bomb“ auf dem Original? Manni & Werner werden mehr wissen. Man kann gespannt sein.
Ich würde sagen, der entscheidende Beweis ist damit erbracht. Gratuliere! DIe linke Hälfte gehört dann zur Beweisführung in Teil 3, sie wurde auch aufgefunden, genauso wie dieses Bild sogar in beiden Sammlungen, dem Tiroler BahnArchiv und meiner. Man muss halt zuerst einmal wissen, wonach man suchen soll.