Ein grenzüberschreitendes Verbrechen (3)
Ursprünglich hatte ich für den Titel dieser Miniserie ja „Kriminalfall“ im Kopf, was zu Teil 1 und Teil 2 wohl etwas besser gepasst hätte. Die Wahl fiel auf „Verbrechen“, weil ich auch den heutigen dritten Teil im Kopf hatte.
Warum beschäftigt sich jemand mit Dr. Richard Kübert und Maria Stanek-Pflichttreu? „Meine biografische Spurensuche findet im Rahmen der Erstellung der Chronik des Schulhauses, in dem ich arbeite (gebaut 1887) und wo seit 1977 das Fremdspracheninstitut der Stadt München (mein Arbeitgeber) untergebracht ist,“ statt, erklärt Loic Masson. (Leider haben wir kein Foto des Gebäudes in unseren Beständen, deshalb muss so wie in Teil 1 der Serie ein Symbolbild herhalten, mea culpa Herr Auer.)
Der Ausgangspunkt war Richard Küberts Vater, „Johann Kübert (1858-1938), der fast 40 Jahre in unserem Schulhaus tätig war“, erläutert Masson. Er war „in München eine etablierte und anerkannte Persönlichkeit, er engagierte sich für den Münchner Lehrerverein, […], Außerdem war Hans Kübert politisch engagiert und kandidierte Anfang der 1900er Jahre bei den Gemeindewahlen in München für den Liberalen Verein, aus dem die spätere FDP hervorging. Er schrieb mehrere Bücher, publizierte Artikel über die Münchner Stadtgeschichte, war Hauslehrer der Prinzessin Hildegard von Bayern und schrieb die erste Chronik der Amalienschule im Jahr 1938, also kurz vor seinem Tod.“
Trotz dieses beachtlichen Lebenslaufs fand Masson kaum biografische Informationen über Kübert und seine Familie. Auch bei Nachfahren war außer vagen Gerüchten kaum etwas bekannt. Die akribische Spurensuche Massons brachte sowohl die Tiroler Episode wie auch das traurige Ende des Paars – das am 4. Mai 1927 in Innsbruck geheiratet hat – zutage:
Ab 1930 waren die Küberts wieder in München gemeldet – Richard zunächst als Dr. Jur., dann als Kunstmaler – und wechselten fast jedes Jahr die Wohnadresse. Dokumenten der Münchner Gestapo aus dem Jahr 1936 ist zu entnehmen, dass ihr Reisepass von den NS-Behörden konfisziert worden war. Richard Kübert wurde im September 1938 als sogenannter Schutzhäftling ins Konzentrationslager Dachau verschleppt, wo er am 1, März 1943 – angeblich an Typhus – verstarb. Seine Ehefrau Maria kam ein Jahr zuvor im KZ Ravensbrück zu Tode. In den von Masson recherchierten Dokumenten finden sich beide auf Verzeichnissen „von politischen Opfern“; aufgrund der Vorgeschichte ist anzunehmen, dass das Paar als sogenannte „Asoziale“ verfolgt wurde.
Der „Grundlegenden Erlaß über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei“ vom 14. Dezember 1937 sah die Vorbeugehaft für sogenannte Berufs- oder Gewohnheitsverbrecher und alle anderen Personen vor, die durch ihr „asoziales“ Verhalten die Allgemeinheit gefährden würden. In der Aktion „Arbeitscheu Reich“ verschleppten die Nationalsozialisten im April und im Juni 1938 über 10.000 Männer in die KZs. Gerade vor einigen Tagen widmete sich übrigens auch der ORF dieser Gruppe „verleugnete[r] NS-Opfer„.
(Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, KR/NE-5192. Der mit Hakenkreuzwimpeln beflaggte Münchner Hauptbahnhf, ca. 1936-1938).