Sonderzug nach Kopenhagen
Heute ist es für uns kaum mehr vorstellbar, aber nach Ende des Zweiten Weltkriegs war die Ernährungssituation in Tirol noch für Jahre katastrophal. Die letzten Lebensmittelmarken konnten erst etwa zehn Jahre nach Kriegsende abgeschafft werden.
In den ersten Nachkriegsjahren war die Kalorienversorgung minimal. Vor allem für Kinder in der Wachstumsphase war dies gesundheitsgefährdend. Schon in den ersten Jahren wurden Kinder für Wochen oder Monate ins Ausland gebracht und dort aufgepäppelt. Vor allem die Aufenthalte in der Schweiz sind im kollektiven Gedächtnis haften geblieben.
Aufenthalte in Dänemark sind weniger bekannt. Hier sehen wir die sehr glücklichen Kinder der 2 a Klasse einer Schule in Hall, die offenbar bei der Abfahrt nach Kopenhagen fotografiert wurden. „Hurra, nun gibt´s Butter“ ist hier eine vielsagende Aufschrift. Diese Schriften wurden aber eher von den Eltern oder Lehrern aufgemalt. Oder ist die Bemalung nur auf der Fotoglasplatte aufgebracht?
Gibt es unter unseren LeserInnen jemanden, der oder die im Zuge einer solcher Aktion im Ausland war und uns davon berichten kann? Ich bin sicher, das würde Viele sehr interessieren.
(Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck)
Meine Mutter hatte mir immer erzählt, dass sie nach dem Krieg in die Schweiz zum „Aufpäppeln“ gebracht wurde.
Sie kam bei einer Familie unter, welche eine Konditorei in der Schweiz führten.
Sie war einige Monate dort und verbrachte nach ihren Erzählungen eine sehr schöne, kalorienreiche Zeit.
Ich würde ihr noch sehr gerne viele Fragen darüber stellen, was leider nicht mehr möglich ist….
Die Beschriftungen dürften in der Tat auf die Glasplatte gepinselt worden sein. Ein Indiz ist die Umrahmung des Wortes „Sonderzug“, welche die Frisur des Mädchens teilweise zu überdecken scheint.
Ist mit Sicherheit so, ja. Man sieht es auch an anderen Stellen, zum Beispiel beim α-Zeichen links unten, das sich unter die Unterkante des Wagenkastens fortsetzt, was Photoshop gut sichtbar macht. Deshalb gehe ich auch davon aus, dass Bild links noch weitergeht.
Meine Mutter, 83 Jahre alt, war mit ihren Geschwistern in der Nähe von Bern im Rahmen einer solchen Kinderverschickung. Die dabei geknüpften Bande in die Schweiz halten bis heute. Ich werde meine Mutter fragen, ob sie davon mal im Detail erzählen will. Ich denke, es gibt auch Fotos.
Fun fact: in einem anderen Zusammenhang habe ich darüber mit meiner Mutter schon ausführlicher gesprochen. Es gab dort eine 1952 eingestellte Überlandstraßenbahn mit einer spektakulären Gebirgsstrecke hoch über dem Seeufer des fjordartigen Thuner Sees, die Rechtsufrige Thunerseebahn (https://de.wikipedia.org/wiki/Strassenbahn_Steffisburg%E2%80%93Thun%E2%80%93Interlaken). Von dieser Bahn haben die IVB 1953 je sechs Trieb- und Beiwagen gekauft, die in Innsbruck eingesetzt werden hätten sollen, sich aber als ungeeignet erwiesen haben. Meine Mutter ist in dieser Bahn und diesen Fahrzeugen vor deren Einstellung noch mitgefahren.
Wie angekündigt, habe ich meine Mutter als Zeitzeugin gebeten, über die Kinderlandverschickung etwas zu erzählen. Heute, am 16.4.2023, hat sich spontan die Gelegenheit ergeben.
Hier ist das Interview (nur Audio): https://youtu.be/NleDmKML1mU
Gut gemacht, Herr Schneiderbauer, von Beiden!
Danke Herr Roilo, ich werde Ihr Lob gerne an meine Mutter weitergeben! – Vielleicht kommen ja von Anderen im Lauf der Zeit noch mehr Erfahrungsberichte.