Unscharf, aber gut. Besonderes aus der Sammlung Kreutz – VII
Ich kenne mich mit Straßenbahnen nicht aus, aber das wundert sogar mich. Eine Garnitur bestehend aus neun Wagons – eigentlich eine „Straßenbahn-Lokomotive“ und acht Beiwägen, das kann nicht gottgewollt sein. Kein Bahnsteig in Innsbruck ist lang genug, dass Menschen ein- und aussteigen können. Vielleicht ist das ein Grund, warum keine Passagiere zu sehen sind. Aber was könnte der Anlass dieser seltsamen Prozession gewesen sein? Vielleicht rätselt der Uniformierte auch darüber.
Was sind eigentlich die länglichen „Bretter“, die parallel zur Fahrbahn knapp über dem Boden montiert sind? Wofür bzw. wogegen dienten sie? Assoziativ dazu fällt mir ein, dass es zumindest vor gut 40 Jahren ein beliebtes Hobby junger Knaben war, die entlang der Westbahn aufgewachsen sind, 10-Groschen-Stücke auf die Schienen zu legen. Nachdem der Zug darüber gefahren war, waren die Münzen echt platt und lustig aufgewellt. Das Problem war, dass man sie nur eher selten wieder gefunden hat. Meist eine endlose Sucherei, immer mit einem Aug auf mögliche herannahende Züge oder schreiendes Bahnpersonal. Ich kenne das nur aus der Literatur…
Zurück zu diesem Foto: Laut handschriftlicher Notiz von Walter Kreutz befinden wir uns im März 1959.
Ach ja, es braucht nicht erwähnt zu werden, dass die Unschärfe dieser Aufnahme leicht ausreicht, um einen Platz in dieser unrühmlichen Rubrik zu finden.
(Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck; Slg. Kreutz)
Da gab es schon einmal ein besseres Foto in einem anderen Beitrag samt einer Erklärung von Herrn Schneiderbauer https://innsbruck-erinnert.at/unterwegs-mit-pfarrer-goehlert-xii/
Die Bretter bleiben halt noch übrig, Herr Schneiderbauer
Hier ist der Fall etwas anders gelagert. Wir sehen vermutlich sechs Beiwagen für die Linie 4 und einen Einschubzug der Linie 1 mit zwei Beiwagen, die alle am Abstellgleis warten.
Das Abstellgleis ist mit den neun Fahrzeugen sozusagen gefüllt bis zum Rand, der Triebwagen ragt schon sehr weit ins Streckengleis, ein aus der Salurner Straße kommender vorfahrender Zug passt da wohl nur noch sehr knapp vorbei.
Der Lichteinfall lässt einen frühen Sommermorgen vermuten, der 1er-Zug ist also bereitgestellt als Frühverstärker, und bald werden die Massen aus dem Hauptbahnhof strömen und der Zug seinen Einsatz haben. Dann werden sich auch die nächsten drei ankommenden 4er-Züge je zwei zusätzliche Beiwagen mitnehmen.
Side fun fact: dieser winzige Beiwagentyp aus der Dampftram-Ära mit offenen Plattformen, es gab davon 43 Stück mit den Betriebsnummern 101 bis 141 (ja, 43, nicht 40), wurde wegen der zu geringen Kapazität eines einzelnen Beiwagens so gut wie immer paarweise verwendet. Die „Paare“ blieben miteinander verkuppelt, auch wenn sie nie fix verbunden wurden (das war in Diskussion, wurde aber nie verwirklicht). Deshalb sieht man auf alten Fotos meistens eine gerade Anzahl davon.
Tragischerweise für die Fahrgäste, zumindest bei Minusgraden und Überfüllung, musste mit diesen uralten, kleinen Wägelchen bis in die 1950-er hinein ein Großteil des Straßenbahnverkehrs der Linien 1, 3, 4 und 6 abgewickelt werden, auf der Linie 4 sogar noch bis 1974 und auf der Linie 6 gar bis 1981.
Nach dieser Jammerei hier zum Ausgleich noch ein paar schöne Porträtfotos ebendieser Beiwagen an ebendieser Stelle (Archivbilder Otto Slezak, ca. 1960):
https://postimg.cc/DSDCW5WY
https://postimg.cc/GThPgs8y
https://postimg.cc/tYRyDRrG
https://postimg.cc/dknN0FGG
Die Bretter scheinen eine an den Fahrzeugen angebrachte einfache Schutzvorrichtung zu sein damit niemand so leicht unter die Räder kommen kann. Auch keine Haustiere. Auch keine Hennen.
Schutzvorrichtung ist richtig, aber es ist vor allem ein Entgleisungsschutz, der größere, harte Gegenstände vom Gleis wegschieben soll, bevor sie unter die Räder geraten und Schaden anrichten können. Die alten Hochflurstraßenbahnen in Wien der Typen E2 und C5, die immer noch im Einsatz sind, haben das heute noch.