Tragisches Schicksal – Eine Nachricht und ihre Vorgeschichte
Am 20. Dezember 1941, also mitten in der NS-Zeit, wurde der 22-jährige Gottlieb Sinn in Wien hingerichtet. Was war geschehen?
Am 13. September 1941, also nur etwa zweieinhalb Monate zuvor, wurde kurz nach 21.00 Uhr die Betriebskanzlei des Stubaitalbahnhofes überfallen. Ein maskierter Mann verlangte vom anwesenden Beamten mit vorgehaltener Waffe die Öffnung der eisernen Kasse. Diese enthielt 1.200,- Reichsmark, nach heutiger Währung etwa € 8.000,-. Danach riss der Täter die Hörmuschel vom Telefon ab. Für die jüngeren LeserInnen darf das kurz erläutert werden: Früher gab es Telefone, die mit Kabeln mit einander verbunden waren. Also nix mit telefonieren auf der Straße. Und nochmals vorher, also fast schon vor ewigen Zeiten, war der Telefonhörer zweigeteilt. Es gab einen Teil, in den man hineinsprach und einen zweiten, an dem an einem Kabel der Hörer hing. Zwei Hände statt Galaxy Buds.
Mit der braunen Aktentasche des Beamten verschwand der Täter „im Dunkel der Nacht“ wie die Innsbrucker Nachrichten damals schrieben.
Weiters schrieb die Zeitung: „Der Mann wird folgendermaßen beschrieben: mittelgroß, Gestalt mittlerer Stärke, rundlicher Kopf, Alter zwischen 30 und 40 Jahre. Er war bekleidet mit heller Schildkappe, vorne eingedrückt, mit Stoffschild, altem glänzenden schwarzen Gummimantel mit schrägen Seitentaschen, dunkelgrauer langer Hose, unten versehen mit Radfahrspangen und mit Sportschuhen aus braunem Segeltuch mit kleinen schwarzen Kappen aus Leder oder Gummi. Über das Gesicht hatte er eine Maske aus braunem dünnen Stoff gespannt, die oben durch die Schildkappe und um den Hals mit einem farbigen Tuch mit Blumenmuster befestigt war.“ Entweder dauerte der Überfall doch etwas länger oder der überfallene Beamte der Stubaitalbahn hatte ein fotografisches Gedächtnis.
Bereits wenige Tage später wurde in der „Neuste Zeitung“ vom 25. September 1941 die Aufklärung des Überfalls gemeldet. Als Täter wurde der 22jährige Gottfried Sinn überführt, der sich des Sachverhaltes als geständig zeigte. Noch dazu wurde er mit einem Komplizen in Zusammenhang mit mehreren weiteren, kleineren Delikten in Verbindung gebracht. Als besonders strafverschärfend wird mehrfach angeführt, dass der Überfall unter Ausnutzung der Verdunklungsvorschriften ausgeführt wurde.
Das Verfahren war ein sehr Kurzes. Verhörmethoden? Das Verfahren? Anwaltliche Unterstützung? Bedenkzeit? Rechtsmittel? Davon wissen wir nichts. Man kann sich aber des Verdachts nicht erwehren, dass es mit unseren modernen Vorstellungen einer Strafrechtspflege ganz weit divergiert. Ganz abgesehen davon, dass die Todesstrafe als Solches schon denkunmöglich sein sollte. Archaische Rache ist mit modernen Gesellschaften nicht vereinbar.
Ob der Strafakt erhalten ist, habe ich jetzt nicht geprüft, ist aber eher unwahrscheinlich. „Gewohnheitsverbrecher“ ist eine Bezeichnung des Nationalsozialismus. Wir kennen die familiäre, soziale und wirtschaftliche Situation von Gottfried Sinn nicht. Es geht hier auch nicht um eine Bewertung. Aber Opfer der nationalsozialistischen (Strafrechts-)Judikatur haben keine Lobby und sind so meist nicht erforscht.
(Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck; Bi-1769)