A black matter for the king that led them to it… (I.)
Für gewöhnlich verbindet man die Kriegsschulddebatte nach dem Ersten Weltkrieg mit internationalen Diskussionen. Es wurde gefragt, welche Staaten denn den Krieg herbeigewünscht hatten – nicht nur Zeitgenossen neig(t)en oft dazu, Ländern bestimmte Intentionen oder Interessen zuzuschreiben: „Deutschland wollte den Krieg“ – „Frankreich suchte den Konflikt“ etc. Bis heute hält sich hartnäckig im politischen Diskurs die Vorstellung, auch wenn sie oftmals nicht explizit artikuliert wird, dass ein Staat dieses oder jenes Interesse hätte, oder gewisse Verlangen hegen würde (Wenn man es gleich auch moralisch legitimieren will, ohne einen wirklichen Grund dafür zu liefern, kann man noch von „natürlichem“ Interesse sprechen)
Natürlich haben Staaten aber weder Interessen noch Intentionen oder sonst irgendwelche mentalen Dispositionen, das sind Dinge, die allein Wesen mit einem Nervensystem vorbehalten sind. Nur die Menschen, die in einem Staat leben, haben wirkliche Interessen – und diese können beträchtlich voneinander divergieren. Freilich wäre es unsinnig zu leugnen, dass geopolitische Gegebenheiten Menschen in einem Staat in eine bestimmte Richtung leiten können und gewisse Interessen von der Mehrheit der Bevölkerung oft geteilt werden, aber die Verwechslung von Menschen und Staaten kann dazu führen, Szenarien als unabwendbar zu sehen, die sich in Wahrheit völlig anders entwickeln könnten.
Ebenso wie es innerhalb der kriegsbeteiligten Länder vor dem Ersten Weltkrieg beträchtliche Differenzen bezüglich der Außenpolitik gab, so wurde auch die Frage der Kriegsschuld nach dem Krieg intern heftig debattiert. Ein Beispiel in Österreich war die „Landesheimkehrfeier“, die im November 1919 stattfand.
Die Volks-Zeitung veröffentliche auf ihrer Titelseite am 23. November 1919 „Unsere Rede an die Heimkehrer“. Das sozialdemokratische Blatt nahm dabei keines vor den Mund:
Wir hoffen, daß alle, die vier Jahre draußen gestanden und für das Habsburgergeschmeiß, das den Krieg entfacht hat, ihr Leben einsetzten, ihre Gesundheit und die geraden Glieder opferten, in der neuen Heimat mannhafte Bürger werden, die mit aller Entschiedenheit die Republik als die einzige Errungenschaft des Krieges verteidigen wollen […]
Volks-Zeitung, 23. November 1919.
Der Allgemeine Tiroler Anzeiger, den man wohl einer gewissen Nähe zum christlich-sozialen Milieu bezichtigen könnte, empörte sich entschieden über diese Töne. Zur aller erst wurde die Kriegsschuld entschieden von der Donaumonarchie abgewiesen:
[…] der Krieg, insbesondere für Österreich-Ungarn, [stellte] die geradezu zwangsmäßige Notwendigkeit dar, den bis zur Erdrosselung geschlossenen feindlichen Ring zu zersprengen.Allgemeiner Tiroler Anzeiger, 25. November 1919.
Die Entente-Mächte hätten die Mittelmächten eingekreist und ihnen durch ihre Aufrüstung das Messer an die Kehle gesetzt. Um diese These zu untermauern, wurden linke Stimmen aus anderen Ländern angeführt, die ihre eigenen Regierungen kritisiert hatten, darunter George Bernard Shaw (1856–1950) und Jean Jaurès (1859–1914). Letzterer wurde für seinen Einsatz für den Frieden während der Julikrise von einem radikalen Nationalisten ermordet – ein extremes Beispiel dafür, dass über die „Interessen“ eines Staates innerhalb des besagten Staates keine Meinungseinheit herrschen muss.