Norwegische Wale und Tiroler Wetter
Wenn man diesen Titel liest, dann muss man sich wohl zwangsläufig fragen, wie das alles zusammenpasst. Aber keine Sorge, es geht diesmal nicht um einen präparierten Meeressäuger, der ins Gebirge wanderte. Nein, wir befassen uns mit einer interessanten Episode des Wissensaustausches ein halbes Jahrhundert früher.
Am 27. Mai 1909 lieferte der Allgemeine Tiroler Anzeiger seinem Lesepublikum alles mögliche Wissenswerte „Vom heutigen Wallfischfang“. Entgegen dem Titel standen die Fischer aber weder am Hadrianswall noch an der Wall Street – sondern fuhren von „der Küste Finmarkens bei Tromsö“ aus mit kleinen Dampfern zu kurzen Streifzügen aufs Meer. In Tirol kennt man sich eben doch besser mit Wall- als mit Walfahrten aus. Auf die Technik und Bedeutung will ich jetzt nicht näher eingehen, sie entspricht ganz dem, was später auch zu Jonas erklärt wurde. (Harpune. Sprengstoff. Bumm. Gesamter Wal wird anschließend effizient verarbeitet.)
Der (anonym erschienene) Artikel ließ einiges zu wünschen übrig, sodass der aus Hall stammende, in Norwegen lebende Missionar Andreas Alexis Dietrich sich veranlasst sah, einige Ergänzungen und Korrekturen nach Tirol zu übermitteln, die einen Monat später unter dem gleichen – jedoch um das überflüssige „L“ reduzierten – Titel erschienen. Insbesondere nämlich, dass der Walfang an der norwegischen Meeresküste schon seit etwa einem halben Jahrzehnt verboten worden war. Zum Schutz der Wale, die von den anderen Fisch-Fischern nämlich lebend benötigt wurden.
„Die norwegische Nationalversammlung (Storting) wurde zum Beschlüsse eines Walfisch-Schongesetzes von den Fischern gedrängt, welche den Niedergang der Fischerei im nördlichen Norwegen der Ausrottung des Wales zuschrieben. Der Wal jagt nämlich den Häring und ebenso die Lodde (einen kleinen, häringähnlichen Fisch, eine leckere Lockspeise für den Dorsch) vor sich her der Küste zu. In demselben Grade, als der Wal ausgerottet oder von der Küste immer weiter weg verscheucht wird, nimmt der Häring und Dorschfang ab, behaupten die Fischer.“
Weil aber „Wissenschaftsmänner in Christiana“ Zweifel an diesem Zusammenhang äußerten, beriefen sich die Fischer nicht nur „auf die Erfahrung„, sondern holten sich auch wissenschaftliche Unterstützung von anderswo, etwa aus Tirol. Sie „verwiesen u. a. auf das Wetterschießen in Oesterreich, welches seinerzeit (unter der Regierung Maria Theresias) von den Vertretern der Wissenschaft als abergäubischer Brauch bezeichnet wurde, jetzt aber infolge gemachter Erfahrungen wirklich als nützlich anerkannt wird, erprobt und begünstigt vom hervorragenden Meteorologen Dr. Pernter.„
Der 1848 in Neumarkt in Südtirol geborene Josef Maria Perntner war unter anderem von 1892 bis 1897 als Professor an der Universität Innsbruck tätig. 1902 war er in die Abhaltung einer internationalen Expertenkonferenz zum Wetterschießen in Graz involviert. Die Mehrheit der anwesenden Wissenschaftler zweifelte übrigens an dessen Wirksamkeit oder stellte zumindest den wirtschaftlichen Nutzen infrage. Auch hier waren also die „Wissenschaftsmänner“ der landestypischen Tradition nur bedingt hilfreich.
Da die norwegischen Fischer zunächst kein Gehör fanden, machten sie übrigens einige Walfangstationen dem Erdboden gleich und wählten anschließend die ersten Sozialdemokraten in den Storting, was wiederum die anderen Parteien überzeugte, das entsprechende Gesetz zu beschließen.
Wie die Geschichte dann weiterging, steht auf einem anderen Blatt (Zeitungs)Papier. Zum Leidwesen der Wale fand man wohl irgendwann heraus, dass es doch nichts nützt, mit Kanonen in die Wolken zu ballern und konzentrierte in der Folge den frei gewordenen Sprengstoff wieder auf die Meere…
(Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Slg. Günter Sommer, Bd. 40, Nr. 52: „Norweg. Landschaften“, gemalt von Friedrich Perlberg)
Wie klein die Welt doch ist:
Prof. Josef Maria Pernter ist ja der Ururgroßvater des hier wohlbekannten Historikers N.H. wie man in diesem wunderbaren Beitrag entdecken kann:
https://innsbruck-erinnert.at/ich-bins-dein-foehn/