Map Stories: #Lueger City
Eine beliebte Unterhaltungsform des frühen und mittleren 20. Jahrhunderts war das Fantasie-Format: So wird die Welt/Österreich/Meine Stadt im Jahr 2000 aussehen. Eine originelle und politische gefärbte Variante davon wollen wir heute betrachten: Ein (hier interaktiv zu besichtigender) imaginierter Stadtplan von Innsbruck im Jahr 2000, falls sich die Ideen des mittlerweile völlig zu Recht etwas ins Schiefe gerutschten Wiener Stadtdenkmals Karl Lueger als ideologische Wirkmacht durchgesetzt hätten. Die zwei Karten im „Scherer“, dem auf ulb-digital und nun auch anno online zu konsultierenden Tiroler Brachial-Humorblattes mit stark deutschnationaler Färbung machen sich in diesem Fall über die Rom-Treue der Luegerianer lustig. Dass genau dieser Lueger den christlichsozialen Antisemitismus in die österreichische Politik eingeführt hatte, störte die „Scherer“-Macher nur insofern, als er ihnen damit die Deutungshoheit in dieser verirrten Geisteshaltung streitig machte. Waren die Christen nur so lange gegen Juden, als sich diese nicht taufen/bekehren ließen, so blieben es die völkisch-rassischen Antisemiten auch bei christlichen Konvertiten, vorausgesetzt, die Großeltern hatten sich nicht taufen lassen. Die ganze „Rassentheorie“ basiert auf einem um zwei Generationen versetzten religiösen Antisemitismus, auch weil sich blöderweise für die Theorie der Menschenrassen bis heute in der Naturwissenschaft keine Belege finden ließen; die Überlegenheit der eigenen, weißen/arischen/christlichen Rasse zu illustrieren fiel mit Ignoranz und Fanatismus leicht – Humor kam dabei selten ins Spiel.
Nun zu etwas leichterer Kost. Die Karte ist schon recht unterhaltsam… ich gebe freimütig zu, sogar mir als ehemaligem Ministranten sind auf diesem Zukunftsplan zu viele Kirchen gebaut worden in den letzten 100 Jahren. Aber nicht nur wegen der akuten Messdienerknappheit würde diese Szenerie dem pluralen Stadtgefüge wohl nicht allzu gut tun. An der Stelle des Ferdinandeums stünde nun eine Bibelsammlung in der Museumstraße; auf dem Boznerplatz ein Lueger-Denkmal. Daneben ein Propaganda-fidei-Haus, im Saggen ein Prennplatz für Ketzer, am Domplatz ein Pranger, in Wilten ein Ghetto mit Synagoge. Alle Orden des christlichen Bilderbogens hätten ihre Kirchlein, Piaristen, Minoriten, Trappisten, Malteser, sogar Methodisten… you name it. Dazu eine zentrale Marianische Kongregation, eine Stella Matutina und zwei Jesuiten-Convente. Der Bischof ist ins Rathaus übersiedelt. Überall Redaktionen katholischer Tageszeitungen und päpstliche Bildungseinrichtungen, am Bahnhof „nach Rom“ ein Rosenkranz-Lager und im Badhaus Salurnerstaße die Centrale Abgabe von Weihbrunnen.
Nun, da das für die Karte erdachte Jahr 2000 schon wieder 25 Jahre hinter uns liegt, kann man getrost sagen, dass es anders gekommen ist als sich der Zeichner das vor 120 Jahren ausgemalt hat. Weder Luegerianer noch Schönerianer bestimmen die Innenstadtgestaltung, die Sorgen der Bewohner:innen drehen sich mehr um Wohnungsnot und Verkehrsproblematik