„Man ist gar kein Mensch mehr“
Diese Zeilen stammen aus einem Brief, den Resi Lawatsch im April 1917 aus Wiesbaden an ihren „lieben Schwager“ Josef Lawatsch (1897-1982) schrieb. Josef hatte im Juni 1916 – wie schon seine beiden älteren Brüder Carl (geb. 1888) und Theodor (geb. 1890) zuvor – zur bayrischen Armee einrücken müssen und gelangte nach der Ausbildung an die ca. 750 Kilomerter lange Westfront, an der auch seine älteren Brüder ihren Kriegsdienst leisten mussten. Im Nachlass von Josef finden sich neben einigen Feldpostpriefen, Karten und Fotografien auch zwei schlichte Notizhefte, die er jeweils mit „Karten und Briefe ins Feld“ betitelte. In diese Hefte übertrug er fein säuberlich alle Zuschriften, die er im Frühjahr 1917 von Familienmitglierdern, Verwandten, Freunden und Bekannten erhielt.
Am 16. April 1917 schrieb ihm Resi Lawatsch aus Wiesbaden:
Lieber Schwager!
Deine Karte und Paket mit vielen Dank erhalten. Habe dem Theo die Zigarren eben zurecht gemacht, da wird er sich freuen. Muß Dir leider mitteilen, daß Theo seit 14 Tagen im Feld ist. Sonntag war er bei uns und Montag sind sie ausgerückt. Und auch noch in eine böse Gegend, ich soll schreiben, daß sie zwischen Arras und Lille liegen, müssen schwer schaffen, schreibt mein gutes Männchen, ich bin gar kein Mensch mehr. […] Kannst Du nicht einmal näheres schreiben, wo Du liegst? Die Granatsplitter leg ich bei Deinen anderen Sachen [dazu]. Theo ist auch zu einem bayr. Regiment gekommen. […].
Es grüßt Dich Deine Schwägerin Resi und Kind.
Einige Tage später schrieb Resi erneut an Josef:
Wiesbaden, den 22.4.17
Lieber Schwager!
[…] Ich bin überhaupt ganz außer mir, da ich schon 6 Tage keine Post von ihm [Theo] habe. Es ist zum verzweifeln, wenn man alle Tage hofft heute kommt sicher etwas und immer ist vergebens. Er mußte aber gerade auch an das böse Eck hinkommen. Hast Du denn noch nichts von Theo bekommen? Man ist gar kein Mensch mehr. Wann wird denn der unglückliche Krieg einmal ein Ende nehmen? Das wissen die Götter. Am besten wärs wenn man von der Welt weg wär. Die vielen Entbehrungen an Nahrungsmittel und die ewigen Gedanken, was wird dein Mann machen, wie wirds ihm gehen und wo wird er sein, das macht einen ja kaputt. Wenn ich von Theo was habe, will ich Dir eine Karte senden. Sei herzlichst gegrüßt von Deiner Schwägerin
Resi und Kind
Hast Du die Hefte erhalten?
Wiesbaden, bayrische Armee, Westfront … vielleicht fragen Sie sich nun, was das alles mit Innsbruck zu tun hat? Und das ist natürlich eine berechtigte Frage. Josef Lawatsch wurde am 19. Juni 1897 in Innsbruck geboren. Sein Vater Theodor Lawatsch senior, ein gebürtiger Preuße, hatte sich vermutlich in den 1880er-Jahreen als Schneider in Innsbruck niedergelassen. Um 1900 betrieb er in Wilten (Heiliggeiststr. 14) bzw. in der Sillgase 21 eine Damen- und Herrenscheiderei.
In erster Ehe war Theodor Lawatsch mit Elisabeth Hupfauf, in zweiter Ehe mit Anna Falch verheiratet – die Kinder blieben aber deutsche Staatsbürger und so mussten die Söhne im Ersten Weltkrieg nicht zur österreichisch-ungarischen, sondern zur bayrischen Armee einrücken. Josef Lawatsch erhielt seinen Einberufungsbefehl im Frühjahr 1916.
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges kehrte er nach Innsbruck zurück, wo er seine Freundin Wilma heiraten und als Schneidermeister ein Geschäft im Rettungsheim (Wilhelm-Greil-Straße 25) führte. Das war wohl kein Zufall, denn im Jahr 1926 war er der Freiwillige Rettungsgesellschaft Innsbruck beigetreten. Dort übernahm er nicht nur die Funktionen eines Zeugwarts und Gruppenführer-Stellvertreters, sondern wurde auch „gemeinsam mit Karl Kačičnik unter Johann Frank in die Uniformierung der 1925 aus der Freiwilligen Feuerwehr Innsbruck ausgeschiedenen Freiwilligen Rettungsgesellschaft Innsbruck eingebunden.“
Im Frühjahr 1935 übernahm er die renomierte Schneiderei Thomas Maresch in der Erlerstraße, musste jedoch zwei Jahre später Konkurs anmelden. Im Dezember 1937 wurde Josef Lawatsch zudem aufgrund eines einstimmigen Beschlusses aus der Freiwilligen Rettungsgesellschaft Innsbruck ausgeschlossen, „weil er vermutlich infolge eines Konkursverfahrens, das im selben Zeitraum gegen ihn eingeleitet worden war, das Geld aus der Kameradschaftskasse, die er seit 1931 betreut hatte, veruntreute und für geschäftliche Zwecke“ verwendet hatte …
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Josef Lawatsch bis ins Jahr 1970 unter der Adresse Defreggerstraße 23 als Schneidermeister tätig.
Vielen Dank an Ernst Pavelka vom Archiv der Freiwilligen Rettung Innsbruck für die Unterstützung bei der Recherche!
(StAI, Kleinsammlung Feldpost Familie Lawatsch)