Geschichten, die der Urlaub schreibt
Vor kurzem habe ich die Aufnahmen von Vito gezeigt, die er uns von seinem Campingurlaub gesandt hat. Dazu gibt es aber auch noch eine nette Geschichte, die er uns geschrieben hat und an der wir Sie nun alle teilhaben lassen dürfen. Es war einmal vor langer, langer Zeit: Ein wunderbarer Sommer im Jahr 1970. Aber lassen wir doch die Protagonistin und den Protagonisten – Päivi und Vito (siehe Titelbild oben) – selbst zu Wort kommen:
Päivi: „Ich lebe in Kuopio (Finnland), und im Sommer 1970 war ich ein sehr junges Mädchen. Meine Mutter sah die Anzeige einer Busreise durch Europa. Ich bin mir nicht sicher, aber ich denke, die Reise kostete etwa 370 Finnische Mark. Ich versprach, dafür zu arbeiten und pflückte Erdbeeren. Für diese Arbeit bekam ich 660 Finnische Mark, konnte damit die Reise bezahlen und hatte zusätzliches Geld zur Verfügung. Mein Vater gab mir altes deutsches Geld und in Deutschland kaufte ich mir meinen allerersten Marsriegel. Ich reiste mit einer Gruppe junger Lutheraner. Wir starteten unsere Busreise am 1. August 1970 von Kuopio aus. Dann fuhren wir zuerst nach Turku und von dort nach Schweden, Dänemark und Deutschland. In Österreich besuchten wir Kitzbühel, Zell am See, Salzburg und dann ging es nach Innsbruck. Ich war die Jüngste in der Gruppe und deshalb haben sich unsere Jungs die ganze Zeit um mich gekümmert. Ich denke, dass diese Art von Campingleben Geschichte ist. Heutzutage fahren die Leute lieber in ihren eigenen Wohnmobilen. Innsbrucks Campingplatz war sehr modern. Wir hatten nicht so viele schöne Campingplätze mit Duschen in Finnland. Auf diesem Campingplatz traf ich einen italienischen Jungen, wir verbrachten Zeit zusammen, und er machte zwei Fotos als Andenken an unsere Freundschaft. Aber schon nach zwei Tagen begann meine Heimreise: Wir tauschten noch unsere Adressen aus und verabschiedeten uns dann voneinander.“
Vito: „1970 lebte ich in Bari in Süditalien. Nach bestandenem Abitur begab ich mich auf eine Reise nach Deutschland und Österreich. Nach einem Besuch in München verbrachte ich einige Tage auf dem Campingplatz Reichenau in Innsbruck. Auf diesem ersten Teil meiner Reise war ich eigentlich allein, denn mein Freund Nicola kam erst am 20. August nach. Aber eines Tages traf ich auf dem Campingplatz ein junges finnisches Mädchen, das mit einer Gruppe junger Lutheraner eine Busreise quer durch Europa machte. Wir verbrachten nur zwei Tage zusammen, weil sie danach wieder auf dem Weg nach Hause waren. Ich machte ein paar Fotos, und nach meiner Rückkehr nach Bari schickte ich ihr die Fotos und ein paar Karten und Briefe. Im November 1970 begann ich mein Studium an der Universität Venedig, und unsere Korrespondenz brach ab.“
Und so vergingen die Jahre und Jahrzehnte….
Päivi: „Vor etwa zehn Jahren gab mir meine Mutter ein paar alte Briefe, Karten, Fotos und Papiere. Sie hatte all diese Dinge viele Jahre lang aufbewahrt. Darunter waren die Karten und Fotos von dem italienischen Jungen, den ich im Sommer 1970 in Innsbruck kennengelernt hatte. Eine alte Kollegin und Freundin erzählte mir die Geschichte eines Italieners, der nach 40 Jahren seine alte finnische Brieffreundin wieder gefunden hatte, und so beschloss ich, den italienischen Jungen zu suchen, den ich in Österreich kennengelernt hatte. Meine Kollegin half mir bei der Suche, und wir fanden in den Pagine Bianche, dem italienischen Online-Telefonbuch, tatsächlich seinen Namen und seine Adresse: Er lebte nun in Venedig, und ich erinnerte mich nun sogar, dass er mir 1970 etwas über seine Pläne erzählt hatte, in dieser wunderbaren Stadt zu studieren. Ich schrieb ihm einen Brief, aber dann zögerte ich eine Weile, bevor ich ihn tatsächlich nach Venedig abschickte. Nach ein paar Tagen jedoch begab sich mein Brief auf seine Reise in die Lagunenstadt…“
Vito: „Eines Tages, vor ein paar Jahren, öffnete ich meinen Briefkasten und fand einen Brief aus Finnland, ohne Absenderadresse. Zuerst dachte ich, es sei ein Fehler, aber mein Name stand deutlich lesbar darauf. Dann sah ich auf den Poststempel, las „Kuopio“ und nun war mir sofort klar, wer diesen Brief geschickt hatte. Ich erinnerte mich sehr gut an ihren Namen, an die Stadt, in der sie lebte, und sogar an das Outfit, das sie in Innsbruck getragen hatte, vor so vielen Jahren. Also öffnete ich den Brief: Ja, sie war es, die ihn geschickt hatte. In dem Brief gab es eine E-Mail-Adresse, und so begann eine – in jeder Hinsicht, auch technologisch – neue Korrespondenz zwischen dem Mädchen und dem Jungen, die sich im Sommer 1970 in der Nähe des Flusses Inn kennengelernt hatten. Es tut mir leid, ich habe es fast vergessen: In der Zwischenzeit, waren aus ihnen beiden bereits Großeltern geworden.“
Das offensichtliche, Happy End der Geschichte: 2016 beschloss Päivi, mit zwei Freundinnen nach Norditalien zu reisen. Es war die ideale Gelegenheit, um auch ihren alten – „nun in jeder Hinsicht“, wie Vito meinte – Freund, den sie 46 Jahre zuvor in Innsbruck kennengelernt hatte, wiederzusehen. Es war ein schönes Treffen: Beide tauschten sich über ihre Jugend aus und ließen vieles Revue passieren. Und es entstanden neue Fotos.
Im August desselben Jahres beschloss Vito, noch einmal nach Innsbruck zurückzukehren. Er spazierte zum Inn, weil er ein paar Fotos machen wollte. Es gibt natürlich schon lange keinen Campingplatz mehr, an seiner Stelle befinden sich nun Wohnbauten. Aber Vito erinnerte sich an den Ort und versuchte, die gleiche Perspektive wie vor fast einem halben Jahrhundert festzuhalten. Wieder aufs Neue beeindruckt vom imposanten Hintergrund der Nordkette…
Päivi und Vito haben ihre Korrespondenz miteinander bis heute aufrechterhalten. Natürlich. An ein Wiedersehen vor Ort in Innsbruck anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums ihres Kennenlernens war im August 2020 nicht zu denken. Aber wer weiß, vielleicht eines Tages… ?
(Fotos: Privat)
Schreckliche Lovestory ohne Happy End. Anfangs romantisch ❤️ , aber dann…nö nö …