Fliegeralarm! (I.)
Amerikanische Bomber nähern sich der Stadt, Sie haben fünf Minuten um einen Luftschutzraum aufzusuchen!
Mehr Vorwarnung hatten die Innsbrucker heute vor 79 Jahren nicht – und um 12:40 fielen die ersten Bomben des Zweiten Weltkrieges auf die Stadt. Doch selbst als der Fliegeralarm ertönte waren vielen Innsbrucker*innen noch nicht sonderlich beunruhigt, da schon zuvor Bomber über die Stadt geflogen waren und aber Kurs auf München hielten, ohne Bomben auf Innsbruck abzuwerfen. Bereits 27 mal hatte es Fliegeralarm in Innsbruck gegeben, ohne dass die Stadt tatsächlich ins Visier genommen wurde.
So wurde vielen Bewohner*innen erst klar, in welcher Gefahr sie schwebten, als die ersten Bomben einschlugen – manche, die beim Mittagessen saßen wollten nach dem Fliegeralarm noch fertigessen als die Druckwellen plötzlich ihre Fenster zerrissen; viele waren erst in ihren Luftschutzräumen als der Angriff bereits wieder vorbei war. Manche glaubten zu Beginn auch noch, dass es kein geplanter Angriff gewesen war, sondern die Bomber ihre Ladung nur über der Stadt abgeworfen hatten, weil sie ihr eigenes Ziel nicht erreichen konnten. Doch die großen Schäden ließen keine Zweifel mehr. Über anderthalbtausend Innsbrucker*innen wurden obdachlos und 258 verloren ihren Leben, mit Abstand mehr als bei allen späteren Angriffen.
Literatur
Michael Svehla, Als in Innsbruck die Sirenen heulten. Luftangriffe 1943–1945, Innsbruck 2018.
Horst Schreiber, Innsbruck im Bombenkrieg. Der historische Hintergrund des Stollenbaues, in: Konrad Arnold (Hrsg.), Luftschutzstollen aus dem Zweiten Weltkrieg, Das Beispiel Innsbruck, Von der Geschichte zur rechtlichen und technischen Problemlösung in der Gegenwart, Innsbruck 2002, S. 15–99.
Heute, am 15. Dezember, ist der 79. Jahrestag, an welchem die Kuppel der Jesuitenkirche getroffen wurde, so daß man von der Universitätsstraße aus durch die leeren Augenhöhlen der beiden Fassadenfenster nur mehr den steilen Schuttkegel vor dem Himmel sah….
Ja, heute vor 79 Jahren!
Die Frau Kneringer, die – schwarze Bluse, gestreifte Halbschürze, vor der Wohnungstüre im 4. Stock stand und meinte: Ah! des tuat eh wieder nix!
und ihre Enkelin, die Erika, 12, 13 Jahre alt, volles, kurzgeschnittenes, leicht rötlich braunes Haar, erdbeerrotes Wollwestl, die am Stiegengeländer lehnte, und auf die Aufforderung ‚komm wenigstens du mit, Erika!‘ nur stumm den Kopf schüttelte…
und die junge Frau Kauth, Tochter des Hausherrn Wagner, die uns im Stiegenhaus zwischen 2. und 1. Stock begegnete… sie hatte die „Kleiderkarte“ vergessen …und die kleine Frau Majerotto mit dem Poppele auf dem Arm, die im erstenStock gerade in der Wohnungstüre Verschwand „…das Flaschele!“…
Die alte Frau Schindler war in Ihrer Wohnung geblieben…
…und den Ruck, den es meiner Mutter im Parterre gegeben hat, so daß sie mit uns nicht zur Kellerstiege rannte, sondern … zum Verbindungsgangl … vom Hausgang … zur Durchfahrt von der Straße in den Hof ….
…und drei Schritte waren wir drin und die Flügeltüre hatte hinter uns zugeschlagen…
DA! Dieser grelle anschwellende Pfiff… die Flügeltüre riß auf, schlug an der Wand an – und wieder zu… der grelle Blitz, ich sah noch schemenhaft ein Frauengesicht… der schreckliche Krach… alles schwarz…der erste Aemzug schmerzte tief hinunter, als würden lauter Glassplitter die Luftröhre aufschlitzen… und das Gepolter über dem Kopf, als würde man im nächsten Augenblick von einem großen Steinbrocken erschlagen… und das Gefühl, im STaub zu ersticken – und wegen des Anhaltens der Luft zu sterben…
…bis eine Frauenstimme rief: „Da gehts hinaus“ und wir das Pickeln und Schaufeln hören konnten….
…. und mich meine Mutter aus dieser schwärzesten Finsternis zur Hofdurchfahrt zerrte….
…wo uns beide einigejunge Burschen den ziegelbrocken- und glasscherbendurchsetzten Schuttkegel vor der Hofeinfahrt hinaufschoben…. „!Meine alte Mutter ist noch drin!“ rief meine Mama.
Auf dem Schutthaufen oben stand wie ein Feldherr, der alles im Blick hatte, ein kleiner untersetzter Mann in Uniform mit entsprechender Armbinde.
Und wir drei, Großmutter (die Nonna!), Mama und ich rutschten und stiegen irgendwie den Haufen hinunter (die spitz hervorstechenden Glasscherben!) und sahen … einen noch größeren Schuttkegel von der zerstörten Fassade herunter… und etwas westlich noch einen kleineren… und der Himmel, der fahlblau gewesen war, war dunkelgrau, als käme gleich die Nacht und unsere Gesichter ebenso grauschwarz, bis auf die Stellen um den Mund und die Augen, die wir fest zusammengepreßt hatten….
Wie Automaten gingen wir einige Schritte Richtung Westen.
Da kam eine Frau auf uns zugelaufen. „Kommen Sie mit mir!“ Sie wohnte in der Lieberstraße 1, die Frau Jaklin. In ihrer Wohnung konnten wir uns waschen… und umziehen (der Koffer!)… und Tee trinken… und weiter in die Freisingstraße …wo die Tante gerade alle Glasscherben einkehrte … der Luftdruck von einem nahen Bombentreffer…“I kann euch aa nitt nemmen!“… und weiter nach Hötting zum „Stamser“, wo die Tante im „Stöckl“ wohnte….
Ja, 79 Jahre ist es her … und ich sehe es – sehe sie! – immer noch vor mir….
Das Haus Maximilianstraße wurde vereinfacht wiederaufgebaut.
Und die Jesuitenkirche 1953 wiedereröffnet – sie roch so frisch nach Kalk und Leim!
Aber die 6 Toten der Maximilianstraße – ich vergesse sie einfach nicht…
Das heißt, eigentlich waren es sieben! Denn das erste Kind der Frau Gerda Kauth geb Wagner wäre ja schon Ende Jänner, Anfang Februar zur Welt gekommen…
Danke, Frau Stepanek, dass Sie Ihren eindrucksvollen Bericht von dieser für uns so schrecklichen Zeit aus https://innsbruck-erinnert.at/jesuitenkirche-zur-allerheiligsten-dreifaltigkeit/ nochmals hierher kopiert haben!
Wer hätte jemals gedacht, dass so etwas noch einmal in Europa möglich ist!
Vor einem Jahr habe ich meine, doch etwas harmloseren Erlebnisse vor 79 Jahren in https://innsbruck-erinnert.at/in-unseren-bestaenden/ geschildert.
Den Kommentar oder die Schilderung einer Zeitzeugin wollte ich jetzt mit einer Kommentarpause würdigen.
Bemerkungen zur skurril obenauf gelandeten Nähmaschine laß ich sein, Einzig die neutrale Verwunderung über die riesigen Steinbrocken, mit welchen das Servitenkloster gebaut zu sein schien, sei gestattet. Die Zerstörung der Kirche durch die Bomben wurde nach dem Wiederaufbau des Klosters und der Kirche in einem Deckengemälde von Andre für hoffentlich ewige Zeiten dramatisch illustriert. Die unterhalb der Trümmer hingemalten, offenbar zur Hölle fahrenden, nackten Gestalten kann man wohl als die ihre Strafe erhaltenden Verursacher interpretieren. Und ich meine nicht den 20 jährigen USAAF-Piloten.
Danke, Herr Hirsch!
Übrigens: ich war „wunderbar beschützt“, wie mir meine Mutter später berichtet hat – denn aus der gegenüberliegenden Wand dieses Seiten-Durchganges hatte der Luftdruck den Türflügel vom Hintereingang des Geschäftes herausgerissen – und dieser Flügel sei wie ein schräges Dach über mich gelehnt gewesen.
Die fürchterlichen Schreie, die noch zu hören gewesen waren, und die plötzlich verebbten und verstummten, so daß nur mehr Poltern und Nachrieseln zu hören war… die wollte ich niemandem zumuten…
Danke nochmals für Ihren Kommentar!