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Ein Vivat Dem Deutschen Reichsverweser! (I.)

Ein Vivat dem deutschen Reichsverweser! (I.)

Bekanntlich war Tirol 1848 keine Hochburg der Revolution – im Gegenteil, am 17. Mai flüchtete sich der Kaiser mit seiner Familie aus dem unruhigen Wien nach Innsbruck. Als im Juni 1848 die Frankfurter Nationalversammlung eine Provisorische Zentralgewalt für den Deutschen Bund ins Leben rief, wählte sie Erzherzog Johann (1782–1859), den Onkel Kaiser Ferdinands, als Reichsverweser zum Leiter der neu eingerichteten Regierung. Seine Wahl war möglich, weil er den Konservativen als Mitglied des Erzhauses recht war, und den Liberalen, weil er als „Mann des Volkes“ galt. In Tirol wurde seine Wahl mit großem Jubel begrüßt, unter anderem zirkulierte das oben zu sehende Gedicht, das von Hans Obrist (1798–1882), einem Bauern aus Stans verfasst wurde. Aus den Zeilen geht noch ein weiterer Grund für die Freude der von Teilen Bevölkerung über die Wahl des Erzherzogs hervor: Die Deutschnationalen erhofften sich von ihm eine Eindämmung der nationalen Forderungen der Italiener und der Tschechen, denen sie feindlichen gegenüberstanden.

Dort zu Frankfurt an dem Maine
Sitzt das deutsche Parlament;
Und sie wählten im Vereine
Den Verweser! – Sapperment!
Alle hoben hoch die Gläser.
Freudig schallt das Echo noch:
Deutschland’s neuer Reichverweser,
Hanns von Oestreich, lebe hoch!

Guter alter, deutscher Michel!
Du behältst die Oberhand.
Mancher Herr bekommt ein Strichel
Weil zu viele sind im Land
Zwar weiß dieß der Hannes besser,
Wieviel Er wird brauchen noch.
Deutschland‘s neuer Reichsverweser
Hanns von Oestreich, lebe hoch!

Wir Tiroler Bauern lachen
Jeder fühlt sich nun beglückt!
Hanns wird alles recht schon machen
Er weiß, wo der Schuh uns drückt.
Steuern kleiner, Nudeln größer,
Unsere Wünsche kennt Er doch!
Deutschland‘s neuer Reichsverweser
Hanns von Oestreich, lebe hoch!

Ließen doch die wälschen Narren,
Statt zu opfern Gut und Blut
Ihren Eigensinn jetzt fahren,
Alles würde wieder gut.
Doch sie machen sich’s nicht besser,
Bleiben sie rebellisch noch.
Deutschland‘s neuer Reichsverweser
Hanns von Oestreich, lebe hoch!

Auch mit jenen falschen Czechen
Die uns gerne aufgehetzt,
Ließe sich ein Wörtchen sprechen,
Weil die Treue sie verletzt.
Machen sich’s wohl auch nicht besser
Wie die Wälschen. Höret doch!
Deutschland‘s neuer Reichsverweser
Hanns von Oestreich, lebe hoch!

Freuet euch! Ihr deutschen Brüder,
in dem neuen Staatsverein;
Und bestrebe sich ein jeder,
Seiner Pflicht getreu zu seyn!
Alles wird bald wieder besser,
Darum rufet Alle noch:
Deutschland‘s neuer Reichsverweser
Hanns von Oestreich, lebe hoch!

Mag der Herr das Werk nun segnen,
Das in Frankfurt sie vollbracht
Und kein Unheil Ihm begegnen,
Ihn beschütz‘ des Himmels Macht!
Deutschland werde fester, größer,
Einig, so wie niemals noch!
Deutschland‘s neuer Reichsverweser
Hanns von Oestreich, lebe hoch!

Geschrieben den 10. Juli 1848

Hans Obrist Bauer von Stans bei Schwaz in Tirol

Falls sich der eine oder andere über den Begriff des Reichsverwesers wundert, weil es so klingt als hätte man einen Abdecker für das Reich bestellt – der Verweser hat nichts mit verwesen zu tun, sondern kommt aus dem althochdeutschen firwesan, was jemanden vertreten bedeutet. Man könnte das Amt also auch gewissermaßen als Reichsstatthaltero.Ä. bezeichnen.

(Signatur Div-5439)

Dieser Beitrag hat einen Kommentar
  1. „Schon Zeitgenossen spotteten über die scheinbare Machtlosigkeit der Zentralgewalt und bezeichneten Erzherzog Johann etwa als „REICHSVERMODERER“ oder „Johann OHNE LAND“.
    (Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag,
    Aktueller Begriff:
    Die Regierung der Paulskirche / Reichsverweser EH Johann und die Prov.Zentralgewalt 1848/49

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